Kipping und Riexinger über Die Linke: „So schlecht ist unsere Bilanz nicht“

Die Parteivorsitzenden wollen Wähler von der AfD zurückgewinnen. Wie geht das? Ein Gespräch über Grenzen, Ängste und die Strategie der Linken.

Eine Frau, Katja Kipping, und ein Mann, Bernd Riexinger

Gemeinsam seit 2012 an der Spitze der Linkspartei: Katja Kipping und Bernd Riexinger Foto: David Oliveira

taz.am wochenende: Herr Riexinger, Sie führen seit vier Jahren mit Katja Kipping die Linkspartei. Welche Stärken hat Ihre Kovorsitzende?

Bernd Riexinger: Sie hat gute Ideen. Sie engagiert sich für die Erwerbslosen. Und sie spricht Gruppen an, die für uns wichtig sind: junge Menschen, Frauen, Leute aus dem Piraten-Spek­trum.

Frau Kipping, was schätzen Sie an Bernd Riexinger?

Katja Kipping: Er ist ein kämpferischer Gewerkschafter und verfolgt Theoriedebatten. Und er lässt nicht locker, wenn er von einer Idee überzeugt ist.

60, führt seit dem Göttinger Parteitag im Jahr 2012 gemeinsam mit Katja Kipping die Linkspartei. Zuvor war er Geschäftsführer der Gewerkschaft Ver.di in Stuttgart, wo er zum linken Flügel gezählt wurde, und saß im Landesvorstand der Linkspartei in Baden-Württemberg. Er unterstützte soziale Bewegungen wie Attac ebenso wie Proteste gegen die Agenda 2010 der Schröder-Regierung.

Hat Katja Kipping Schwächen?

Bernd Riexinger: Vielleicht eine gewisse Ungeduld.

Und bei ihm?

Katja Kipping: Bernd wägt manchmal lange ab, ob wir einen Konflikt eingehen müssen …

geboren 1978 in Dresden, wuchs dort auf, war Mitglied im Stadtrat und des Sächsischen Landtags. Seit 2012 ist sie Bundesvorsitzende der Linken.

Also ist er konfliktscheu?

Katja Kipping: Nein, wenn die Entscheidung gefallen ist, dann steht er dazu.

Die Wahlbilanz Ihrer Partei ist seit 2012 trübe. In Brandenburg 8 Prozent verloren, in Niedersachsen 4, in Sachsen-Anhalt 7. Was machen Sie falsch?

Bernd Riexinger: So schlecht ist unsere Bilanz nicht. Bodo Ramelow regiert in Thüringen. Und wir sind in Hessen wieder in den Landtag eingezogen. Die Partei ist stabilisiert.

Katja Kipping: Als wir 2012 ins Amt kamen, lagen wir in Umfragen unter 5 Prozent. 2013 sind wir Oppositionsführerin geworden. Im urbanen Milieu haben wir gut zugelegt. Wenn sich die Debatten um Terror, Flucht und Eurokrise drehen, ist es eine Herausforderung, soziale Themen stark zu machen.

Die Grünen haben eigene Themen gesetzt. Warum gelingt das der Linkspartei nicht?

Bernd Riexinger: Wir haben das Thema prekäre Arbeit und prekäre Lebensverhältnisse gesetzt, weil wir nicht akzeptieren, dass 30 Prozent der Menschen von sozialer Teilhabe ausgegrenzt werden. Unsere Basis ist – gegen den medialen Trend – erfreulich aktiv, das treibt uns an, und das treiben wir weiter voran.

Katja Kipping: Wir kämpfen für soziale Garantien und wollen massiven Reichtum begrenzen. In einem Unternehmen sollte beim Zwanzigfachen der niedrigsten Einkommensgruppe Schluss sein. Und wir müssen frecher und widerständiger werden. Was Greenpeace mit der Veröffentlichung der TTIP-Papiere geleistet hat, das hätten wir tun müssen.

Europas Botanische Gärten werden nach und nach geschlossen. Ob sie noch zu retten sind, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 28./29. Mai. Außerdem: Elf kongolesische Blauhelmsoldaten stehen vor einem Militärgericht – wegen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs im Rahmen der UN-Friedensmission in der Zentralafrikanischen Republik. Kann nun Recht gesprochen werden? Und: Am 5. Juni stimmen die Schweizer über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Wie lebt es sich damit? Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Inwiefern?

Katja Kipping: Die Linksfraktion hätte der Whistleblower sein müssen.

2012 war die Linkspartei in Fundis und Pragmatiker gespalten. Sie haben die Partei befriedet. Aber vielleicht zu sehr. Es war nach den Wahlschlappen totenstill in der Partei.

Bernd Riexinger: Wir haben lebendige Debatten. Aber es ist der AfD gelungen, die soziale Unzufriedenheit mit der Flüchtlingsfrage zu verschränken. Und es ist schwierig, das nach links zu wenden. Wir müssen die Erwerbslosen und die Arbeiter zurückgewinnen. Wegen unserer klaren Haltung in der Flüchtlingsfrage haben wir bei Jüngeren gewonnen. Die Linke ist der richtige Ort für Leute, die nicht mit 20 an die Eigentumswohnung denken.

Sie gewinnen bei jungen Akademikern viel weniger dazu, als Sie bei Arbeitern verlieren.

Bernd Riexinger: Wir reden das ja nicht schön. Wir müssen deutlich machen, dass wir Erwerbslose und Arbeiter, anders als die SPD, nicht vergessen. Und wir müssen mehr in die sozialen Brennpunkte und in die Betriebe gehen.

Arme erleben Migranten als Konkurrenz.

Katja Kipping: Konkurrenz gibt es auch, wenn die Grenzen zugemacht würden. Den Beschäftigten wird ebenso gedroht, dass Werke in Billiglohnländer abwandern, oder man spielt Belegschaften gegeneinander aus.

Mit den Flüchtlingen kommt noch eine Konkurrenz hinzu.

Katja Kipping: Das Kapital betreibt Ausbeutung und Konkurrenz. Außerdem: So manche Schule im ländlichen Raum wurde nur darum nicht geschlossen, weil dort Geflüchtete unterrichtet werden, so manches Krankenhaus funk­tio­niert doch nur noch, weil dort Migranten arbeiten. Pegida behauptet, dass es mehr Konkurrenz durch Flüchtlinge gibt. Das ist nicht bewiesen. Die Bundesregierung tut nichts gegen solche Ängste. Sie hätte längst eine Sozialgarantie aussprechen können und deutlich machen: Sozialkürzungen wird es wegen der Geflüchteten nicht geben. Das Regierungsversagen in der Flüchtlingspolitik hat der AfD Auftrieb verschafft.

Aber die Linkspartei hat im Kampf gegen die AfD mit dem Slogan „offene Grenzen“ doch schlechte Karten. Oder?

Katja Kipping: Nein, wenn wir in dieser Frage opportunistisch wanken würden, hätten wir ein größeres Problem.

Bernd Riexinger: Wir müssen deutlicher machen, dass unsere Position nicht lautet: Alle sollen kommen. Wir wollen vielmehr Bedingungen, damit Menschen gar nicht erst fliehen müssen. Also konkret: Waffenexporte in Krisengebiete stoppen und der UN-Flüchtlingshilfe mehr Geld zur Verfügung stellen, um Flüchtlinge grenznah unterzubringen. Wenn der politische Wille dazu da wäre, ließe sich das schnell umsetzen.

De facto ist Ihre Position trotzdem: Grenzen auf. Warum fordern Sie keine Kontingentlösung für syrische Flüchtlinge?

Katja Kipping: Wir dürfen keinesfalls die Problembeschreibung der Rechtspopulisten übernehmen, dass Flüchtlinge, die alles verloren haben, eine Bedrohung sind. Wir müssen die Gegenfrage stellen: Selbst wenn wir keinen Flüchtling mehr ins Land lassen würden – gibt es dann bessere Renten und Jobs und keine Steuergeschenke für Millionäre? Mitnichten.

In Sachsen-Anhalt haben Arbeiter und Erwerbslose in Scharen AfD gewählt. Ziehen Sie denn gar keine Schlüsse da­raus?

Bernd Riexinger: Immer mehr Menschen haben Abstiegsängste und leben in Unsicherheit. Die Politik der Großen Koalition spaltet die Gesellschaft. Die Rechten haben dieses Gefühl „Wir bekommen nicht, was uns zusteht“gegen die Flüchtlinge gewandt. Wir haben es nicht geschafft, mit der Benennung der tatsächlichen Ursachen durchzudringen. In Deutschland ist die soziale Spaltung extrem. 25 bis 30 Prozent fühlen sich an den Rand gedrängt. Die Linkspartei muss versuchen, ein gesellschaftliches Bündnis zwischen der Mitte und unten zu schmieden. Denn sonst grenzt sich die abstiegsbedrohte Mitte nach unten und grenzen sich beide wiederum nach außen ab.

Auch ein Teil Ihrer Klientel glaubt, dass für Flüchtlinge viel getan wird, aber für sie nichts. Was antworten Sie denen?

Bernd Riexinger: Es gibt gerade bei Ausgegrenzten das Gefühl: Alle reden über Flüchtlinge, niemand kümmert sich um uns. Diese Stimmung kann man nicht nur als Rassismus abtun. Diese Leute müssen spüren, dass wir etwas für sie tun.

Die Linkspartei kann aber nur bessere Renten und Jobs fordern. Umsetzen kann sie das als ewige Oppositionspartei nicht.

Bernd Riexinger: Ja, das ist ein Problem. Es gibt derzeit kein linkes Lager – und das ist für uns kein Anlass zum Jubeln. Sigmar Gabriel hätte für seine Gerechtigkeitsrede auch bei unserem Parteitag Applaus bekommen. Aber es folgt nichts Konkretes. Die SPD entscheidet sich nicht. Wir können SPD und Grüne ja nicht zwingen, ein linkes Lager zu bilden.

Daran ist die Linkspartei auch selbst schuld. Die Partei hat unter Ihrer Führung die Abgrenzung von der SPD und den Grünen „wie ein religiöses Dogma“ betrieben und sich in die Bedeutungslosigkeit manövriert, sagt Ihr Vorgänger Klaus Ernst.

Katja Kipping: Das ist keine persönliche Kritik von Ernst an uns …

Eine Kritik an der Partei, die Sie führen.

Katja Kipping: Wir haben schon 2013 klargemacht, dass wir bei Rot-Rot-Grün dabei sind, wenn Selbstverständlichkeiten erfüllt sind: keine Sozialkürzungen, keine Kriegseinsätze und wenn es wirkliche Verbesserungen gibt wie eine Millionärssteuer, sanktionsfreie Mindestsicherung und gute Renten. An uns liegt es nicht. Eine Linksregierung ohne Rückhalt in der Gesellschaft wird wenig ändern können. Deshalb kämpfen wir für gesellschaftliche Mehrheiten und wollen Kristallisationspunkt des Lagers der Solidarität werden. Das wird nicht gelingen, wenn wir uns in vorauseilendem Gehorsam anpassen und mit SPD und Grünen Kaffeekränzchen machen.

Die SPD muss sich ändern, die Linke bleibt, wie sie ist – da wird jede Koalition schwierig …

Bernd Riexinger: Unser Vorschlag ist: Wir bilden vor der Wahl ein linkes Lager und versuchen, gesellschaftlichen Rück­halt für eine Gerechtigkeitswende zu schaffen. Wir haben der SPD angeboten, uns über Kernthemen zu verständigen. Zum Beispiel über Löhne, prekäre Arbeit, Rente, Frieden. Aber nur abwarten, wie die Wahl 2017 ausgeht, und dann verhandeln, das ist zu wenig.

Warum?

Bernd Riexinger: Was wird in dieser Republik los sein, wenn unsere Steuerpläne in Koalitionsgesprächen verhandelt werden? Es wird enormen Widerstand vonseiten der Eliten und der Reichen geben. Man muss daher den erklärten Willen und die Kraft haben, das durchzukämpfen. Sonst braucht man es gar nicht zu probieren.

Katja Kipping: Wir erwarten von der SPD nicht, dass sie so­zialistisch wird, nur dass sie sozialdemokratisch ist.

Das ist das Mantra der Linkspartei. Nur: Die SPD hat sich mit dem Mindestlohn und der Rente mit 63 inzwischen bewegt, die Linkspartei nicht.

Bernd Riexinger: Die Rente mit 63 hilft einer kleinen Gruppe von Facharbeitern – das Gros wird mit einer Armutsrente abgespeist. Die SPD begreift nicht, wie groß das Ausmaß der Prekarisierung ist und dass es mit kleinen Korrekturen nicht getan ist. Wir können nicht noch mal zehn Jahre auf die SPD warten.

Es wird kein linkes Lager geben, solange die Linkspartei die SPD erziehen will.

Bernd Riexinger: Das tun wir nicht. Wir machen ihr Angebote. Der Ball liegt jetzt im Feld der SPD. Wenn Gabriel glaubwürdig sein will, muss er nicht nur seine Kommunikation, sondern seine Politik ändern.

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