Knesset-Abgeordneter über Jerusalem: „Das Ergebnis kann neue Gewalt sein“

Seit Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat, droht eine Eskalation in Nahost. Der linke Abgeordnete Dov Khenin über seine Befürchtungen.

Junge Männer verbrennen ein Trump-Poster

Aufgeheizte Stimmung: Nach Trumps Statement kommt es zu Konfrontationen in Jerusalem Foto: reuters

taz am wochenende: Herr Khenin, US-Präsident Donald Trump will in Kürze seinen Plan für einen „Jahrhundertdeal“ und für Frieden im Nahen Osten vorstellen. Wie passt das zusammen mit der Erklärung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen?

Dov Khenin: Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass Trump, wenn er von einem Jahrhundertdeal spricht, selbst genau weiß, wovon er eigentlich spricht. Trump liebt Slogans. Sehr oft sind sie völlig inhaltslos.

Dass die USA Jerusalem als Hauptstadt akzeptieren, ändert konkret vor Ort erst einmal gar nichts. Wie erklären Sie sich den großen Unmut?

In der internationalen Gemeinschaft bestand über viele Jahre die Haltung, dass beim Thema Jerusalem, einem der empfindlichsten Punkte, eine alle Seiten zufriedenstellende Lösung gefunden werden muss. Auf internationaler Ebene gilt Ostjerusalem als besetztes Gebiet, und solange das so ist, wird der Status von Jerusalem nicht verändert, man schafft dort keine Tatsachen, war die Übereinkunft. Die Erklärung Trumps weicht radikal von dieser Position, die im Übrigen auch die USA bislang vertraten, ab.

Der Konflikt

Israel beansprucht ganz ­Jerusalem als seine Hauptstadt, während die Palästinenser Anspruch auf den Ostteil als Hauptstadt eines künftigen unabhängigen palästinensischen Staats erheben – ein bedeutender Streitpunkt im Nahostkonflikt.

Die Anerkennung

Am Mittwoch hat US-Präsident Donald Trump Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels anerkannt. Die US-Botschaft soll 2019 von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt werden. International wird Jerusalem von keinem anderen Staat als Hauptstadt anerkannt.

Die Folgen

In der gesamten arabischen Welt kam es seit Mittwoch zu Protesten. Am Freitagnachmittag sind bei Unruhen in Jerusalem 250 Menschen verletzt und zwei getötet worden. Die Hamas hat zu einem neuerlichen Palästinenseraufstand aufgerufen.

Trump spricht von Westjerusalem, wo Israels Regierung ohnehin schon seit fast 70 Jahren sitzt.

Nein, eben nicht. Er spricht nicht nur von Westjerusalem. Das ist genau das Problem. Würde er von Westjerusalem reden, hieße das, dass er Ostjerusalem als besetztes Gebiet anerkennen würde. Das wäre ein komplett anderes Bild. Tatsache ist, dass er von Jerusalem insgesamt spricht. Deshalb wird seine Erklärung auf internationaler Ebene als so problematisch empfunden.

Der Status Jerusalems stand, eben weil eine Einigung so schwer ist, bei Friedensverhandlungen immer ganz hintenan. Trotzdem haben die Verhandlungen nicht funktioniert. Sollte man es nicht einmal umgekehrt versuchen: Erst eine Einigung für Jerusalem und danach für den Rest?

Es ist völlig klar, dass es am Ende zwei Staaten geben wird, die Seite an Seite koexistieren, Israel und Palästina. Beide Seiten haben Forderungen, was Jerusalem betrifft, und auch legitime Ansprüche. Deshalb wird die Zweistaatenregelung auch eine Regelung der zwei Hauptstädte, Ostjerusalem für Palästina und Westjerusalem für Israel, beinhalten. Das ist ein simples Prinzip. Natürlich gibt es Widerstand und Gegner einer Teilung. Wenn wir eine Lösung wollen, ist das der einzige Weg.

Israels Regierung sitzt in Westjerusalem. Rund 150 Staaten haben Palästina während der UN-Vollversammlung 2012 schon anerkannt. Warum gibt es nicht jetzt schon interna­tionale Anstrengungen zur Anerkennung Ostjerusalems als Hauptstadt Palästinas?

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Die internationale Gemeinschaft muss auf jeden Fall eine viel aktivere Rolle im Nahen Osten spielen, denn wir reden hier von einer extrem empfindlichen Region. Wenn es uns nicht gelingt, ein Friedensabkommen zu erreichen, laufen wir Gefahr, in Gewalt abzurutschen. Ein Krieg im Nahen Osten birgt das Potenzial einer Explosion, die Folgen für die gesamte Welt haben wird, deshalb sollte es das Interesse der gesamten internationalen Gemeinschaft sein, auf die Entwicklungen hier einen größeren Einfluss zu nehmen und darauf hinzuwirken, dass es zwei Staaten mit zwei Hauptstädten in Jerusalem gibt.

Was könnte die Welt, die EU oder Deutschland tun?

Ich würde gern sehen, dass die europäischen Staaten Palästina anerkennen und in diesem Rahmen auch Ostjerusalem als palästinensische Hauptstadt. Das würde den Prozess, der auf die Zweistaatenlösung abzielt, sehr stärken.

Was halten Sie von einem Boykott der Produkte, die in Siedlungen hergestellt ­werden?

Die internationale Gemeinschaft betrachtet die Siedlungen als Verletzung der Genfer Konvention. Besatzungsmächten ist eine Besiedlung der eroberten Gebiete verboten. Der interna­tio­nale Protest gegen die Siedlungen ist deshalb logisch – einerseits politisch, weil sie ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden darstellen, und zum zweiten juristisch, denn mit den Siedlungen verstößt Israel gegen internationales Recht. Deshalb ist es sinnvoll, zwischen den Siedlungen und Israel zu unterscheiden.

Die Palästinenser lehnen Trump nun als Vermittler im Friedensprozess ab. Welche Alternativen hat die PLO?

Dov Khenin

„Ich fürchte, es wird am Ende zu einer Explosion kommen“

Ich glaube nicht, dass Trump diese Rolle aufgibt, tatsächlich hat er sie nie erfüllt. Er war nie ein fairer Vermittler, sondern er unterstützte die Politik von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Wenn die Palästinenser hier Illusionen hatten, dann wird sie sein letzter Schritt eines Besseren belehrt haben. Die Palästinenser müssen ihren Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit fortsetzen. Das sollte ein legitimer politischer Kampf sein, ohne Gewalt, die nur noch mehr Schaden anrichtet. Parallel dazu sollte man auf diplomatischer Bühne agieren, um internationale Rückendeckung für dieses Ziel zu erwirken.

Die Palästinensische Autonomiebehörde stellte in der Vergangenheit wiederholt in Aussicht, die Verantwortung für das besetzte Westjordanland an Israel zurückzugeben. Halten Sie das für möglich, und wenn ja, welche Konsequenzen würde das nach sich ziehen?

Die Autonomiebehörde befindet sich in einer sehr schwierigen Situation. Auf der einen Seite trägt sie Verantwortung, auf der anderen hat sie keine Zuständigkeit, keine Souveränität. Vor diesem Hintergrund sind die Stimmen innerhalb der palästinensischen Führung verständlich, die dazu aufrufen, die Behörde aufzulösen. Meine Aufgabe ist es nicht, den Palästinensern Ratschläge zu erteilen, sondern ich muss mich in Israel dafür starkmachen, ein Chaos in den palästinensischen Gebieten zu verhindern, denn das wäre nicht nur für die Palästinenser schlimm, sondern auch für Israel. Wir müssen tun, was nötig ist, um die Verhandlungen voranzutreiben, um den Palästinensern eine Perspektive, eine Hoffnung, zu geben und die Auflösung der erreichten Abkommen zu verhindern.

Dov Khenin, 59, ist Abgeordneter der sozialistischen Partei Chadasch in der Knesset. Der Jurist ist zuständig für Interne Angelegenheiten und Umwelt.

Der palästinensische Chefunterhändler bei bisherigen Friedensverhandlungen, Saeb Erekat, hat diese Woche die Zweistaatenlösung für tot erklärt. Ist sie das?

Ich kann die Frustration der Palästinenser, die seit Jahren versuchen, eine Lösung voranzutreiben, und damit bei der israelischen Führung auf komplette Ablehnung stoßen, gut verstehen, aber ich sehe noch immer keine Alternative zur Zweistaatenlösung.

Ihre Partei Chadasch, die Teil der Vereinten Liste ist, setzt sich eine Neudefinierung Israels zum Ziel, nach der Israel kein jüdischer Staat wäre, sondern Staat aller seiner Bürger. Wie viele Israelis könnten damit leben?

Das stimmt so nicht. Chadasch unterstützt das Recht Israels, sich selbst zu definieren. Was wir ablehnen, ist, dass dieses Recht zum Instrument wird, um eine Volksgruppe zu diskriminieren. Wenn in Israel von einem jüdischen Staat gesprochen wird, dann bedeutet das, dass die Araber zu Bürgern zweiter Klasse werden. Dem stimmen wir nicht zu. Ich bin überzeugt, dass sich eine breite Öffentlichkeit in Israel einen demokratischen Staat wünscht, in dem das Recht, die Nation selbst zu definieren, nicht zur Diskriminierung der arabischen Minderheit führt.

Nicht nur Erekat spricht vom Ende der Zweistaatenlösung. Immer mehr Palästinenser präferieren die Einstaatenlösung. Was halten Sie davon?

Die Einstaatenlösung wäre keine Option. Ich glaube nicht, dass die Israelis und die Palästinenser in einem Staat zusammenleben wollen. Der Konflikt sitzt zu tief.

Die Fronten im Nahen Osten verschieben sich. Die Bedrohung durch einen erstarkten Iran, möglicherweise eines Tages Atommacht, führt zu einer Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien. Hat dieses neue Bündnis ohne Lösung des Besetzungsproblems Überlebenschancen?

Die Besetzung bleibt ein Hindernis, das eine Zusammenarbeit zwischen Israel und einem Teil der arabischen Staaten verhindern wird, obwohl derzeit Anstrengungen unternommen werden, verstärkt zu kooperieren. Solange das Palästinenserproblem nicht gelöst ist, wird das kaum gelingen.

Die Hamas hat gedroht, die Intifada wieder aufleben zu lassen. Rechnen Sie mit einer neuen Welle der Gewalt?

Wenn es uns nicht gelingt, eine Lösung zu erreichen, die beiden Seiten, den Israelis und den Palästinensern, eine Hoffnung gibt, dann fürchte ich, wird es am Ende zur Explosion kommen. So wie jetzt kann es auf die Dauer nicht weitergehen. Wenn wir nicht vorankommen, wird es Rückschläge geben, und das Ergebnis kann eine neue Runde der Gewalt sein, bei der viel, viel Blut vollkommen unnütz vergossen wird.

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