Kolumne Die eine Frage: Die Borderliner von Österreich

Wie gewinnt man rechtspopulistische Wähler zurück, Robert Menasse? Ein dringlicher Anruf bei einem linken Wiener Intellektuellen.

Ein zerfetztes Wahlplakat

Ein altes Wahlplakat von FPÖ-Kandidat Norbert Hofer Foto: reuters

Wie kann man denn nun bitteschön mit denen umgehen, die rechtspopulistisch wählen? Soll man ihre Sorgen und Nöte „ernst nehmen“ (Politikertalk) oder gar zu den eigenen machen wie diverse FAZ-Leitartikler – oder halten wir es mit dem Wiener Schriftsteller und europäischen Intellektuellen Robert Menasse? Der sagte im kurier: „FPÖ-Wähler sind Faschisten. Oder Idioten.“ Er rät dringend dazu, Haltung zu bewahren und aufzuklären, statt zuzustimmen.

In Wien nimmt keiner ab. Menasse, 61, ist gerade in Brüssel. Zwischen Mittagessen und Schreibarbeit. Also, hier ist das Problem: Wenn 49,7 Prozent bei der Bundespräsidentenwahl die FPÖ wählen, muss man die „Faschisten“ oder „Idioten“ mit einem Angebot in die Mitte zurückholen?

„Man muss ihnen kein Angebot machen“, brummt Menasse. Erst mal. Er sagt: „Wer ihnen recht gibt und entsprechende Angebote macht, sagt, dass ein bissl Faschismus okay ist. Das ist verrückt. Man kann 20 Prozent zurückholen, wenn man ihnen Chancen bietet. Das ist politisch machbar. Demokratie ist institutionalisierter Verteilungskampf. Verlierer werden antidemokratisch.“

Es entwickelt sich ein langes Gespräch, in dem Menasse erklärt, wie der Austrofaschismus bis heute die österreichische Mentalität prägt und als Inbegriff des Patriotismus gilt. Wer das kritisiert, ist ein Nestbeschmutzer. Die Idioten sind in Wahrheit Opfer des österreichischen Bildungssystems. Er wisse nicht, sagt er, ob es in Europa ein anderes Land gebe, in dem so viele Schulabgänger Analphabeten sind. „Das sind bildungsferne Menschen, in zum Teil unverschuldeter Blödheit.“

Europas Botanische Gärten werden nach und nach geschlossen. Ob sie noch zu retten sind, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 28./29. Mai. Außerdem: Elf kongolesische Blauhelmsoldaten stehen vor einem Militärgericht – wegen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs im Rahmen der UN-Friedensmission in der Zentralafrikanischen Republik. Kann nun Recht gesprochen werden? Und: Am 5. Juni stimmen die Schweizer über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Wie lebt es sich damit? Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Sie wollten nationales Heil, Sicherheit auf ihrer kleinen Insel, aber verstünden nicht, dass es kein Problem gibt, das innerhalb ihrer Insel souverän gelöst werden oder an den Grenzen ihrer Insel abgehalten werden kann – die Finanzströme, die Wertschöpfungskette, die ökologischen Probleme. „Das alles ist längst transnational, deshalb muss zumindest europäische Politik gefordert werden und nicht nationale. Staatspolitik muss dafür einstehen und das argumentieren.“

Versuchslabor Europas

FPÖ-Wähler „ernst“ nehmen, das ist Menasses entscheidender Punkt, darf auf keinen Fall bedeuten, die menschenfeindlichen Positionen der FPÖ zu übernehmen und umzusetzen mit der Begründung, dass „die Menschen“ das wollten. Österreich ist für ihn in der Frage des Umgangs mit Rechtspopulisten ein Versuchslabor Europas. Wer sich mit ihnen und ihren Forderungen einlässt, verliert und stärkt sie (rot-blaues Burgenland). Wer sich deutlich und kompromisslos gegen sie stellt, gewinnt und schwächt sie (schwarz-grünes Oberösterreich, rot-grünes Wien).

In jedem Land gebe es 20 bis 30 Prozent an autoritären Charakteren und faschistoiden Wählern, das werde seit Jahren in etwa von der FPÖ parlamentarisch abgebildet. Aber nun waren es fast 50 Prozent? „Ob Reaktion oder Avantgarde, das entscheidet sich extrem knapp.“ Hätte Hofer die Wahl gewonnen, sagt er, wäre Österreich heute das erste westeuropäische Land mit einem faschistischen Präsidenten. Nun ist Österreich das Land, das mit Alexander Van der Bellen den ersten grünen Bundespräsidenten in Europa hat.

Gibt das Hoffnung? Ja, sagt Menasse: „Es gibt denen Hoffnung, die gerne hoffen.“ Und was sind nun die 20 bis 25 Prozent der Hofer-Wähler, die man eventuell zurückholen kann? „Das sind Borderliner“, sagt Menasse. Das müsse Politik einmal begreifen: Mehrheit sei ein abstrakter Begriff. Konkret gehe es, unter Voraussetzung glaubwürdiger Positionen, um ein paar Prozent, die in die eine oder andere Richtung ausschlagen.

Das ist hart für die weltoffenen Leute, aber ihre Aufgeklärtheit wird sich auch darin beweisen müssen, sich mit den Borderlinern zu arrangieren. Sonst tun es die anderen.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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