Kolumne Schlagloch: Der entfesselte Kulturkampf

Die rechtspopulistische Verschwörung trägt Züge einer Kulturrevolution. Der Vergleich mit Mao und seinen Fehlern hilft, ihr entgegenzutreten.

Mao-Porträt in Peking

Was Mao entfesselte, hinterließ tiefe Wunden Foto: AP Photo/Andy Wong

Die rechtspopulistische Propaganda steht auf drei Säulen: die Vorstellung von den linksliberalen „Eliten“, die „das Volk“ verraten, die Grenzen öffnen und auf die „Heimat“ scheißen. Dann die Flüchtlingsströme aus Kopftuchmädchen, Terroristen und Messermigranten sowie islamistischen Wirtschaftsschmarotzern, die unsere Jobs und unsere Frauen wollen und Deutschland per Umvolkung abschaffen wollen.

Und schließlich der „Kulturkampf“ gegen die grünlinksversiffte Theater- und Musikszene, die von unseren Steuergeldern bezahlt wird, gegen nestbeschmutzende Literatur und „artfremde“ Kunst, die unsere gute Leitkultur zersetzen, und die Lügenpresse, den öffentlich-rechtlichen Staatsfunk und seine linke Brut.

Im Jahr 2018 erklärten die Politiker der italienischen Regierung aus rechtspopulistischer Lega und irgendwie „links“-populistischem M5S einhellig, ihr Angriff auf die „elitäre“ Presse, die dem Volk „unsaubere“ Gedanken einrede und natürlich nur vom Ausland gesteuert sein könne, sei eine „kulturelle Revolution“.

Diese Propaganda für eine Kulturrevolution von rechts funktioniert, weil sie auf ein vages Gefühl von Unsicherheit, Enttäuschung und Kränkung mit einer geschlossenen Erzählung reagiert, in der zwar nichts stimmt, aber alles perfekt auf­ein­ander bezogen ist. Sie funktioniert aber auch wegen der Schwäche der Angegriffenen.

Der superfreie Markt der Narrative

Jeder dritte Kulturdepp jammert, dass die liberale Kultur ja an alledem mit schuld sei. Und jeder/jede dritte Linke möchte am liebsten noch auf einen Populismuszug aufspringen, bevor gar nichts mehr geht.

Ganz zu schweigen von einer Kultur, bei der Theater, Museen und Sendeanstalten sofort klein beigeben, wenn von rechts gedroht wird. In der sich eine Junge Union nicht zu schade ist, gegen die künstlerische Zweckentfremdung eines Coca-Cola-Plakats als Anti-AfD-Statement zu protestieren. Eine Kultur, in der so viel Schiss, Opportunismus und vorauseilende Selbstfaschisierung am Werk sind, bietet leichte Beute für die kulturelle Revolution von rechts.

Eine Kultur, in der so viel Schiss und Opportunismus am Werk sind, bietet leichte Beute für die Revolution von rechts

Die Vertreter einer demokratischen Kultur sehen sich in einer Zwickmühle: Von den Rechten werden sie ideologisch attackiert, von den neoliberalen Medienkonglomeraten ökonomisch.

Bemerkenswerterweise treffen sich da, im Angriff auf das „Zwangsgebührenfernsehen“ und die „Subventionskultur“, scheinbar unterschiedliche Impulse: Was den einen als willkommenes Objekt im „Kulturkampf“ vor der Machtübernahme gilt, ist den anderen ein brachliegender Markt, der sich dem superfreien Markt der Narrative entgegenstellt. In der Kulturrevolution von rechts wird allzu deutlich, wie Rechtspopulisten dem neoliberalen Kapital die Drecksarbeit erledigen.

Machtkampf innerhalb der Oligarchie

Diese Allianz ist offensichtlich. Wie viele Vertreter der ökonomischen Oligarchie sind in den Führungsriegen der Rechtspopulisten? Wie viel Geld und Organisationskraft wird „aus Wirtschaftskreisen“ in Wahlkämpfe, Parteistrukturen und rechte Medien gepumpt? Wie viele Wirtschaftsvertreter in aller Welt ziehen ein Bündnis mit postdemokratischen, autokratischen und halbfaschistischen Regimes jeder demokratischen Kontrolle vor? Und wie viele Vertreter kleptokratischer Clans bringen es zu politischer Macht, von den USA bis Brasilien?

Und andererseits: Wer gehört zu den meistgehassten, meistverleumdeten Feindbildern der Rechten? Ein Milliardär namens George Soros, dessen Vergehen, abgesehen antisemitischer Verschwörungsfakes, darin besteht: Er gehört zu den wenigen Vertretern der globalen ökonomischen Elite, die sich explizit gegen die neoliberale Agenda aussprechen. Er erinnert daran, dass es auch im internationalen Kapitalismus eine Fraktion gibt, die die destruktiven Züge des Neoliberalismus erkennt und nach einer Gegensteuerung sucht.

Derselbe Kampf zwischen einer neoliberalen Mehrheit und einer dissidenten Minderheit findet in der Ideologieproduktion statt, die sich als Ökonomie wissenschaftlich maskiert. Allein für die Forderung nach „Methodenpluralismus“ gegen die neoliberale Agenda, die sich hier „Neoklassik“ nennt, kann man seine Karriere an deutschen Unis gefährden.

Kurzum: Es findet nicht nur ein Kampf der mehr oder weniger neuen ökonomischen Eliten gegen den Rest der Bevölkerung statt, der viel zitierte „Klassenkampf von oben“, es gibt auch einen Machtkampf innerhalb der ökonomischen Oligarchie selber. Und das erinnert uns an etwas.

Gewalt, Demütigung und Unterdrückung

Die „Kulturrevolution“ in Mao Zedongs China wurde 1966 ausgelöst, um einer internen Schwächung des Systems zu entgehen und die politischen Gegner der Führung sowie eine mögliche Opposition auszulöschen. Die damit einhergehende Entfesselung von Gewalt, Demütigung und Unterdrückung, die Bekämpfung von „bürgerlichen“, „dekadenten“, „elitären“, „volksschädlichen“ und „ausländischen“ Strömungen, konnte abstruser kaum sein.

Aber die zehn Jahre, in denen die Kulturrevolution wütete, warfen die Entwicklung der chinesischen Gesellschaft um mindestens ein halbes Jahrhundert zurück. Sie kosteten, vorsichtig geschätzt, etwa 600.000 Menschen das Leben, hinterließen tiefe Wunden. Was Mao im Kampf gegen seine „liberalen“ Widersacher entfesselte, waren paradoxerweise die Energien derer, die sich durch das Scheitern des „großen Sprungs nach vorn“ um ihre Hoffnungen betrogen sahen: Im internen Machtkampf rekrutieren die Eliten ihre Opfer, um Konkurrenz und Kritik auszuschalten.

Das ist in der rechten Kultur­revolution nicht anders. Es geht um Festigung einer nach Totalität strebenden Macht, Erledigung interner Gegner und Opferung der Sündenböcke, bevor die Unzufriedenheit die Macht selbst infrage stellt.

Natürlich wiederholen sich die Dinge nicht ­einfach. Allerdings könnte uns die Analogie von maoistischer Kulturrevolution und rechter „kultureller Revolution“ zu denken geben. Und uns motivieren, sich ihr tapferer entgegenzustellen als bisher.

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