Krieg in der Ukraine: Zwangsevakuierung als letztes Mittel

Die südukrainische Region Cherson ist Ziel russischer Angriffe. Deshalb sollen rund 800 Kinder mit ihren Familien an sicherere Orte gebracht werden.

Frau vor einem Laden, der mit Einschusslöchern übersät ist

Frau vor einem Laden in Posad-Pokrowske in der Region Cherson Foto: Nicole Tung/NYT/Redux/Laif

BERLIN taz | Der Horror nimmt kein Ende: Die südukrainische Region Cherson war auch in der Nacht zu Mittwoch wieder Ziel russischer Angriffe. Dabei wurden laut Angaben der örtlichen Polizei eine Person getötet, mehrere Menschen verletzt sowie einige Betriebe teilweise zerstört. Die angespannte Lage ist ein Grund dafür, dass jetzt zeitnah rund 800 Kinder und ihre Familien aus 34 Dörfern und kleinen Städten evakuiert werden sollen.

Das gab der Leiter der Chersoner Militärverwaltung, Alexander Prokudin, bekannt. Die Entscheidung über eine obligatorische Evakuierung sei getroffen und von den Mitgliedern des Koordinationsstabes zur Durchführung derartiger Maßnahmen auf der Grundlage des geltenden Kriegsrechts befürwortet worden. Betroffen seien Ortschaften, wo die Sicherheitslage am schwierigsten sei.

100 Kinder sollen in einem Sanatorium untergebracht werden

„Die Evakuierung erfolgt kostenlos per Bahn und mit Bussen in die Regionen Chmelnizki, Mikolajiw, Odessa und Lwiw. Außerdem ist geplant, etwa 100 Kinder in einem der Sanatorien in der Region Iwano-Frankiwsk unterzubringen.

An den sichereren Zielorten werden die evakuierten Kinder in Begleitung eines Elternteils oder gesetzlichen Vertreters mit Bargeld, kostenloser Unterkunft, humanitärer Hilfe und psychologischer Unterstützung versorgt“, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums für die Wiedereingliederung vorübergehend besetzter Gebiete. Zur Durchführung der Evakuierung aus der Region Cherson wurden drei Sammelstellen und fünf Evakuierungsaufnahmestellen eingerichtet.

Rote Zone

Laut dem Leiter der Pressestelle der Militärverwaltung Cherson, Alexander Tolokonnikow, sei eine erste derartige Entscheidung über die Evakuierung aus Orten der „roten Zone“ (höchste Gefahrenstufe wegen andauernden Beschusses) bereits vor einem halben Jahr getroffen worden. Damals sei zuerst ein Einreiseverbot für Kinder in Siedlungen in der roten Zone eingeführt worden. Die nächste Entscheidung sei im September gefallen und der Verteidigungsrat der Ukraine habe die obligatorische Evakuierung von Kindern und Familien aus den 34 Ortschaften am rechten Ufer der Region Cherson angekündigt.

Innerhalb eines halben Jahres sind bereits 450 Kinder und ihre Familien evakuiert worden. Doch dieser Prozess muss beschleunigt werden“, sagte Tolokonnikow der taz. Viele wollten jedoch nicht freiwillig ihre Heimatregion verlassen. Daher sind die Evakuierungen jetzt obligatorisch. Dafür müssten notfalls auch Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet werden.

Die Lage im Gebiet Cherson ist nach wie vor kritisch. Ukrainische Medien berichten täglich über Angriffe auf die Stadt Cherson und umliegende Ortschaften. „Die Intensität des Beschusses hat zugenommen. Auf die Region Berislaw zählen wir derzeit bis zu 40 Angriffe innerhalb von 24 Stunden“, so Tolokonnikow. Betroffen sind vor allem Orte entlang des Flusses Dnipro und die Stadt Cherson.

Vor einigen Tagen waren in Bilo­zerka, 12 Kilometer von der Stadt Cherson entfernt, acht Menschen durch nächtlichen Beschuss verletzt worden, darunter ein Kind. Ein 12-jähriger Junge erlitt eine Schrapnellwunde am Bein. Insgesamt waren am vergangenen Montag zwei Menschen getötet und 14 verletzt worden.

Im März 2022 hatten russische Truppen die Stadt Cherson sowie das gleichnamige Gebiet besetzt. Im Oktober hatte die ukrainische Armee das rechte Ufer des Dnipro und im November die Stadt Cherson wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Seitdem ist die Region täglich russischem Beschuss ausgesetzt. Die russischen Truppen zerstören auch immer wieder gezielt kritische Infrastruktur.

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