NDR-Serie „Yared kommt rum“: „Unfassbar! Wunderbar!“

Yared Dibaba besucht Dörfer in Niedersachsen und trifft dort ausschließlich wohlhabende Bionorddeutsche. So stellt sich der NDR Wohlfühlfernsehen vor.

Yared Dibaba steht auf einer Straße auf der eine Blaskapelle vorbei geht.

Moderator vor Musikverein: Yared Dibabas Besuch in Benstrup (Kreis Löningen) endet mit einem Fest Foto: NDR

Für manche mag es schwierig vorzustellen sein, aber Yared Dibaba ist ein waschechter Norddeutscher: In Äthiopien geboren, kam er als Vierjähriger in die Region und wuchs schließlich auf in Falkenburg im Landkreis Oldenburg. Und da dort Plattdeutsch gesprochen wird, wurde der norddeutsche Zungenschlag ein Alleinstellungsmerkmal in seiner Karriere als Moderator, Sänger, Entertainer und Schauspieler.

In der Docutainment-Serie „Yared kommt rum“ besucht er nun kleine bis kleinste Orte in Niedersachsen, und dabei fällt als Erstes auf, dass Dibaba stets der einzige Schwarze ist unter all den Bionorddeutschen.

Man kann darin einen Verfremdungseffekt in der Tradition des Brecht’schen Theaters sehen: Die Zusehenden bekommen etwas eigentlich Vertrautes in einem neuen Licht vorgeführt. Aber mehr noch wirkt es wie eine ironische Umkehrung eines zutiefst kolonialistischen Narrativs: Hier ist es gerade kein Weißer, der alleine einen dunklen, fremden Kontinent erforscht.

Dass Yared oberflächlich fremd scheint, sich aber, siehe oben, in die Mentalität der Dorf­be­woh­ne­r*in­nen sehr wohl einfühlen kann und gerade nicht fremdelt, macht ihn zum perfekten Personal für so eine Serie. Die erste Staffel von „Yared kommt rum“ strahlte der NDR im Sommer 2022 aus, Staffel zwei läuft noch bis in den September jeweils freitagabends und ist auch in der ARD-Mediathek zu finden.

Yared kommt rum: freitags, 21.15 Uhr, NDR-Fernsehen (Wiederholung samstags, 12.45 Uhr). Alle Folgen sind auch in der ARD-Mediathek zu finden

Da wandert er also durch die Straßen von Wernum in Ostfriesland, Steinkirchen im Alten Land oder Lonau im Südharz und trifft Menschen, die dort leben und arbeiten. Diese Begegnungen sind arrangiert, denn es gibt mit Antonia Friese eine Autorin, die vorher recherchiert, Kontakte knüpft und möglichst attraktive Drehorte auswählt.

Zum Filmteam gehören dann drei Kameramänner – Gendern ist hier nicht nötig –, die durchaus Aufwand betreiben: So gibt es viele Drohnen-Luftaufnahmen, an einem Fischteich kommt sogar eine Unterwasserkamera zum Einsatz. Der Forschungsreisende spricht immer wieder direkt in die Kamera zum Publikum – es wird also nicht versucht zu kaschieren, dass hier ein Film inszeniert wird.

Aber es wird auch nicht weiter zum Thema gemacht; an der Metaebene sind die Fil­me­ma­che­r*in­nen nicht interessiert, und wenn tatsächlich mal ein Kameramann einen anderen aufs Bild bekommt, ist das eher eine Ungeschicklichkeit, über die man sich später im Schneideraum geärgert haben dürfte.

Das stellt einen Unterschied dar etwa zur Arbeitsweise des großen Pioniers der Heimat- oder Reisedokumentation im Fernsehen: Franz Gernstl macht seit den 1980er-Jahren für den Bayerischen Rundfunk Filme über Land und Leute, und bei ihm sind Kamera- und Tonmann geradezu Sidekicks, die bei ihrer Arbeit gezeigt werden und sogar auch mal mitreden dürfen.

Hier hingegen ist Yared Dibaba der Star – nicht aber Autor oder Regisseur. Deshalb scheint die am Schreibtisch entworfene Dramaturgie oft sehr deutlich durch. So werden Dibaba etwa in einigen Folgen Aufgaben gestellt: In Wernum soll er herausfinden, woher der Ortsname kommt, in Lüder bei Uelzen zählt er nach, angeblich, ob es sich tatsächlich wie behauptet um „Das Dorf der 1.000 Eichen“ handelt; im Alten Land, bekannt als großes Obstanbaugebiet, fragt er die Leute, was passiert, wenn er einen Apfel klaut. Vom Dorfpolizisten erfährt man immerhin, dass es die Straftat mit dem schönen deutschen Begriff „Mundraub“ nicht mehr gibt.

Stimmungsvoller Abschluss

In manchen der 30-Minuten-Episoden führt der Moderator am Ende seinen eigenen „Heimatfilm“ all denen vor, die darin auftreten; in anderen gibt es zum Finale vielmehr eine „Überraschung“ für Dibaba: Da tritt dann etwa der örtliche Shantychor auf, und er darf sogar mitsingen. So hat jede Episode einen möglichst stimmungsvollen Abschluss, bei dem man allerdings Dibaba noch etwas mehr als sonst beim Schauspielern erwischen kann.

Wo immer ihn die Folge hinführt, besucht er fast immer nur die „wichtigen“ Menschen in den Dörfern: die Bürgermeister*innen, Kaufleute, Großbauern. Im wendländischen Gartow trifft er gar ein Fürstenpaar in dessen Schloss, dazu eine Reihe von Bediensteten – diese Episode wirkt zum Teil wie eine sehr gefällige Adels-Homestory.

Seltene Diversität

Sehr viel seltener treffen wir in der Serie auf Diversität. Und wenn doch mal ein schwules Paar in seinem schmucken Häuschen am Elbdeich von Steinkirchen gezeigt wird, bleibt der Klönschnack auffällig nichtssagend: „Wie wurden Sie denn hier aufgenommen?“ – „Ganz normal!“

Es fällt auf, dass ein paar Themen in fast allen Folgen wieder behandelt werden. So wurden viele der gezeigten Höfe, Betriebe und Besitzungen über viele Generationen weitervererbt. Da antwortet dann der junge Betreiber der Dorfbäckerei im ostfriesischen Wernum auf die Frage, ob ihm denn auch die schmucke Windmühle gehört mit einem etwas morbide klingenden „Noch nicht ganz!“

In diesem Kontext wirkt es dann gar nicht mehr so komisch, wenn der Betreiber einer Konditorei in Steinkirchen unbedingt vorführen will, dass er noch 30 Liegestütze am Stück machen kann – mit 69 Jahren. Die wahre Chefin ist längst die Tochter, die extra für den Besucher (und die Kameras) Pralinen chocolatiert. Da ist der Fernsehmann dann wieder begeistert – wie eigentlich immer: Alle paar Minuten findet er etwas „unfassbar“ oder „wunderbar“. Aber „Yared kommt rum“ soll ja auch Fernsehen zum Wohlfühlen bieten.

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