Occupy-Bewegung in USA: "In Ägypten waren wir Millionen"

Warum nicht mal Tipps aus Ägypten einholen? In Washington fragten Anhänger der Occupy-Bewegung drei AktivistInnen vom Tahrirplatz um Rat.

Protest der Occupy-Bewegung in Washington D.C. Bild: dpa

WASHINGTON taz | "Welchen Rat gebt ihr uns?", fragt ein langhaariger Mann mittleren Alters. "Stellt keine Personen an eure Spitze. Sondern macht eure Ziele zu euren Anführern", antwortet Israa Abdel Fattah.

Die sorgfältig geschminkte junge Frau trägt einen Hidschab über dem Haar und eine ägyptische Fahne um die Schultern. Neben ihr steht Ahmed Maher. Kaugummi kauend und grinsend rät er: "Nehmt von niemandem Rat an." Der dritte im Bunde ist der in einen schicken hellen Anzug gekleidete Basem Fathy. "Jedes Land ist anders", sagt er.

Die drei jungen ÄgypterInnen stehen auf dem Freedom Plaza in Washington, fünf Gehminuten vom Weißen Haus entfernt. Vor neun Monaten gehörten sie zu jenen, die in Kairo Weltgeschichte gemacht haben. Die 30-jährigen Israa Abdel Fattah und Ahmed Maher standen als Gründer einer ägyptischen Jugendbewegung in diesem Jahr auf der Liste der Kandidaten für den Friedensnobelpreis.

Der 27-jährige Basem Fathy ist Menschenrechtsaktivist. Alle drei haben Gefängnisaufenthalte in Ägypten hinter sich. Haben verbotene Demonstrationen und Streiks organisiert. Bloggen. Und waren jahrelang gegen das Regime des ägyptischen Expräsidenten Husni Mubarak aktiv.

"Walk like an Egyptian"

An diesem Sonntagnachmittag geben sie ihre Erfahrungen an NachahmerInnen in den USA weiter. Alle drei sprechen gutes Englisch. Washington ist ihre erste Station. Anschließend werden zwei von ihnen weiter nach New York fahren. Zu einem Teach-in mit Occupy Wall Street.

Es passiert nicht alle Tage, dass US-AmerikanerInnen Menschen aus Ländern des Südens um Rat fragen. Die Ereignisse in Ägypten haben viele in den USA fasziniert. Der Mut der jungen Leute auf dem Tahrirplatz, ihr gewaltfreier Widerstand waren schon im vergangenen Winter eine Inspiration für eine soziale Bewegung im US-Bundesstaat Wisconsin. "Walk like an Egyptian" stand dort auf einem Transparent, das Demonstranten trugen: "Gehen wie ein Ägypter".

So aufrecht. In Wisconsin ging es um die Verteidigung von gewerkschaftlichen Rechten im öffentlichen Dienst. Es war eine starke Bewegung, eine, die wider Erwarten wochenlang durchhielt. Doch sie blieb auf einen Bundesstaat beschränkt. Im Rest der USA und der Welt kam sie kaum vor: Die US-Medien hatten zwar viele ReporterInnen nach Ägypten und Tunesien geschickt, die rund um die Uhr berichteten, aber die Proteste in Wisconsin ließen sie links liegen.

In den vergangenen Wochen hat sich die politische Landkarte der USA verändert. Plötzlich melden sich in dem Land, dessen politische Debatte lange auf demokratische und republikanische ParteienvertreterInnen im Wahlkampf reduziert schien, linke Bewegungen zu Wort. Vom Pazifik bis zum Atlantik und von der kanadischen Grenze bis zur mexikanischen sind Plätze und Parks besetzt und finden Demonstrationen statt.

Anders als zuvor richten sie sich nicht gegen einzelne Missstände, sondern das große Ganze. "Occupy-Wall Street" will ein System ändern, in dem ein Prozent der Reichsten des Landes sowohl die Regierungspolitik als auch das Geschick der Bevölkerungsmehrheit bestimmen. Und anders als zuvor sind die "99-Prozenter" inzwischen in sämtlichen Medien präsent.

61 Zelte

"Wir sind 99 %", steht auch auf dem Transparent, das an diesem Sonntag auf dem Freedom Plaza den Hintergrund für die drei jungen ÄgypterInnen bildet. 61 Zelte stehen auf dem Platz in Washington. Mehrere Dutzend Menschen übernachten dort seit dem 6. Oktober. Tagsüber werden sie von ein paar weiteren verstärkt, die entweder zu Hause oder in Hotels übernachten.

Gemeinsam besetzen sie Bankfilialen, um gegen die Zwangsräumung von verschuldeten HausbesetzerInnen zu protestieren. Verteilen Flugblätter in Vorstädten gegen Polizeischikanen, die vor allem AfroamerikanerInnen und Latinos betreffen. Und sie demonstrieren vor Regierungsstellen, Fernsehstudios und Museen gegen die Banalisierung und Verherrlichung von Krieg, gegen die Streichung von Sozialleistungen und gegen die Machtkonzentration in den Händen der Börse.

Im Verhältnis zu den Hunderttausenden, die im Januar und Februar den Tahrirplatz besetzt hatten, nehmen sich die paar Dutzend Leute, die auf Klappstühlen vor den drei jungen ÄgypterInnen sitzen, wie ein verlorenes Häufchen aus. Sie trösten sich damit, dass es landesweit gegenwärtig mehr als hundert besetzte Plätze gibt. Und dass die Hauptstadt ein "schwieriger Ort für soziale Proteste" ist. Begründung einer Lehrerin: "In dieser Stadt arbeiten die Leute entweder für die Regierung oder für das Militär."

"Zahlreiche Parallelen"

Die Leute auf den Klappstühlen wollen von ihren ägyptischen Gästen wissen, was sie zu Gaddafis Tod sagen. "Persönlich hätte ich ihn gern vor Gericht gesehen", antwortet Basem Fathy, "aber es ist eine Revolution." Sie wollen wissen, was die USA in Ägypten falsch machen. "Sie unterstützen dieselben Militärs wie vor dem Tahrirplatz", sagt Israa Abdel Fattah, "wir hoffen, dass sich das ändert." Sie wollen wissen, wie wichtig die sozialen Fragen, die in den USA im Vordergrund stehen, auf dem Tahrirplatz waren.

"Bei uns waren Sozialisten und religiöse Gruppen dabei. Aber alle wollten soziale Gerechtigkeit", sagt Basem Fathy. Und sie wollen wissen, was acht Monate nach der Vertreibung von Expräsident Husni Mubarak von der Protestbewegung übrig geblieben ist. "Während der Revolution waren wir vereinigt", sagt die junge Ägypterin über den Zerfall der Bewegung in konkurrierende Gruppen vor den Parlamentswahlen, "jetzt sind wir weniger stark."

Der 55-jährige US-Anwalt Kevin Zeese gehört zu der kleinen Gruppe, die in den vergangenen Monaten die Besetzung des Freedom Plaza vorbereitet hat. Er ist seit Jahrzehnten politisch aktiv. Zu seinen Anliegen gehören Umweltfragen und die Legalisierung von Drogen. Er sieht "zahlreiche Parallelen" zwischen Ägypten und den USA. "Der Graben zwischen Arm und Reich ist in den USA noch tiefer als in Ägypten", sagt der Anwalt aus Baltimore.

Und zählt weitere Ähnlichkeiten auf: "Beide sind Sicherheitsstaaten - in den USA sitzen 25 Prozent der weltweit in Gefängnissen Einsitzenden. In beiden Ländern ist die Demokratie ein Schwindel - in den USA werden die beiden Parteien, die das für andere geschlossene System tragen, von großen Konzernen finanziert. Und in beiden Ländern betreiben die Medien Propaganda."

Die ägyptischen Gäste haben ihrerseits Vorbilder auf anderen Kontinenten gehabt. Ahmed Maher nennt mehrere Länder, die ihn inspiriert haben: "Polen, Rumänien und Serbien." Aber auch er spricht von "Gemeinsamkeiten" zwischen der Lage in seinem Land und der in den USA. Allerdings sieht er auch viele Unterschiede. "Wir stellen dieselben Fragen, und wir haben dieselben Strukturen", hält er fest, "aber in Ägypten waren wir zu Millionen auf der Straße." Basem Fathy ergänzt: "Bei uns geht es um den Erhalt von grundlegenden Rechten. In den USA geht es um Korrekturen am System".

Besetzungskoorganisator Kevin Zeese, dem "Ägypten und Spanien" als Vorbilder gedient haben, sieht den Unterschied so: "Die Ägypter haben uns ein Jahr voraus."

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