Prämenstruelles Syndrom: Ich traue allen alles zu

In der Lutealphase (7 Tage vor der Periode) darf einen nichts aus der Ruhe bringen. Schon gar nicht jemand, dem man einen zu großen Gefallen tun soll.

Eine Frau hat sich eine Wärmflasche auf den Bauch gelegt

Wie ich persönlich noch mehr fühlen soll, ist mir ein Rätsel Foto: Jochen Arndt/plainpicture

Optimistisch gerechnet liegen noch elf Jahre prämenstruellen Leidens vor mir. Dieser diffizilen Berechnung liegt die Information zugrunde, dass Menstruierende im Durchschnitt mit Anfang 50 das letzte Mal Periodenblut auffangen müssen.

Wenn ich genauer drüber nachdenke, ist diese Berechnung gar nicht mal so optimistisch. Denn mit Einsetzen der Menopause geht es ja bei den meisten nochmal so richtig los mit dem großen Fühlen. Wie ich persönlich noch mehr fühlen soll, ist mir ein Rätsel.

Alle sollen mich in Ruhe lassen – außer Heintje, der singt, meine Tränen seien auch seine

Noch sieben Tage, sagt meine Zyklus-App – die denkt auch, sie ist allwissend. Soll mich in Ruhe lassen. Alle sollen mich in Ruhe lassen. Außer der niederländische Schlagersänger Heintje, der singt im Hintergrund und behauptet, meine Tränen seien auch seine. Danke, Heintje, du Gütiger.

Ich liebe meine beste Freundin, seit bald 30 Jahren lieb ich die, sogar in hormonell düsteren Stunden. Nur, was sie sich heute erlaubt hat, lässt das Fundament unserer Liebe bröckeln. Mit einer ungeheuren Bitte ist sie an mich herangetreten.

Eine ungeheure Bitte

Aus Versehen hätte sie alle Fotos unseres Whatsapp-Chatverlaufs gelöscht und da seien ja so viele Fotos ihrer Kinder dabei gewesen. Kurz und gut, ihre Anfrage lautete, ob ich ihr die bitte ALLE zusenden möge. ALLE bedeutet in diesem Fall: etwas über 2.000 Bilder. Einatmen. Ausatmen.

Bin ich Bill Gates? Ada Lovelace? Nein, ich bin eine von Hormonen gebeutelte mittelalte Frau, die nicht behelligt werden möchte. Unmöglich kann ich mich durch 65.000 Fotos scrollen, um jene zu finden, die meine Freundin anscheinend GENAU JETZT am tiefsten Punkt meines Lebens (Monats) so dringend braucht. Werde ich es dennoch tun? Ja! Denn, auch wenn ich es gerade nicht glauben kann, so möchte ich auch in sieben Tagen noch Freun­d*in­nen haben.

Allmonatlich wird meine Lutealphase von den Überlegungen begleitet, mein Social Media (Twitter, Bluesky, Instagram) zu deaktivieren und meine Messenger zu löschen. Mach ich natürlich nicht. Aus dem einfachen Grund, dass ich dann erneut durchdrehen würde. Diesmal wegen FOMO (fear of missing out). Denn so gar nicht einbezogen werden, das wäre noch grauslicher, als in der Lutealphase 2.000 Fotos rauszusuchen.

Kein Verbrechen zu schäbig

Außerdem, und das wäre das Schlimmste überhaupt, was, wenn nach Deaktivierung nicht mal ein Brief in meinem Briefkasten landet? Ein Kärtlein wenigstens. Dann hätte ich ihn. Den endgültigen Beweis dafür, dass sie alle, alle, alle, nur auf meinen Rückzug aus dem sozialen Leben gehofft hatten. In der Woche, bevor das Blut gelaufen kommt, traue ich allen alles zu. Kein Verbrechen zu schäbig, kein Gedanke zu düster. Glauben sie mir, ist nicht klar, dass sie nur darauf lauern mich loszuwerden?

„Lie­be*r … ich möchte nicht länger stören, eine derartige Belastung wie mich sollte niemand in seinem Leben haben. Ich werde meine Accounts und Messenger nun löschen und mir auch eine neue Mail-Adresse zulegen, jeglicher Kontaktversuch wird zwecklos sein.“

Hmmm, soll ich wirklich? Es ist ein drastischer, aber durchaus angemessener Schritt. Denn wenn meine Vermutung stimmt, tue ich meinen Mitmenschen sogar einen Gefallen, ich vollziehe also einen Akt der Nächstenliebe. So bin ich nämlich, sogar noch sieben Tage vor Blut.

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Sarah Lorenz wurde 1984 in Eckernförde geboren, lebt und schreibt auf St.Pauli. Seit 2023 Kolumne PMS-Ultras in der taz. Im Internet bringt sie unter dem Pseudonym Buchi Schnubbel allabendlich eine Kleinstadt an Menschen zu Bett.

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