Ein Fischerboot auf dem Wasser vor Senegals Küste. Im Hintergrund sieht man die Lichter des Gasterminals.

Vor dem Horizont des Meeres: Das Gasterminal bei Senegals Küste Foto: Leo Correa/ap/picture alliance

Rohstoffe aus Westafrika:Senegal will Gas geben

Senegal will Erdgas fördern und verkaufen. Auch Deutschland hat Interesse. Ist das eine gute Idee oder sollte das Land auf Sonnenenergie setzen?

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22.8.2023, 14:29  Uhr

Mit hoher Geschwindigkeit fährt das Marineschiff an einem Dutzend kleiner Fischerboote vorbei. Das Geschütz auf dem Vorderdeck ist mit einer Plane abgedeckt. Die Motoren wühlen das Meerwasser auf zu einer Spur weißer Gischt. Soldaten auf der Brücke des zwei Stockwerke hohen Schiffes beobachten die Fischer. Der Abstand beträgt vielleicht 100 Meter.

Diese Szene wurde vor einigen Monaten per Smartphone von einer der flachen, bunt bemalten Pirogen aus aufgenommen, mit denen die Fischer auf den Atlantik hinausfahren. Das Bild springt hektisch hin und her. Das große Schiff wendet, kommt zurück. Die Fischer rufen, schreien, gestikulieren. Sie fühlen sich bedroht. Das beabsichtigt die Marine wohl auch. Sie will den Fischern den Weg blockieren.

Vor der Küste des westafrikanischen Landes Senegal liegt unter dem Meeresboden ein bedeutendes Erdgasvorkommen, aus dem 2024 die Förderung beginnen soll. Um die Plattformen auf hoher See herum wurden Sperrgebiete eingerichtet, in denen keine Fischerei mehr stattfinden darf.

Was zunächst nach einem lokalen Problem klingt, hat eine globale Dimension: Ist es angesichts der Klimaerwärmung jetzt noch ratsam, neue fossile Energiereserven zu erschließen? Auch Deutschland nimmt Einfluss auf den Konflikt: Bundeskanzler Olaf Scholz hat erklärt, Interesse am Import von Erdgas aus Senegal zu haben, um russische Lieferungen zu ersetzen.

Stabile Demokratie

Senegal hat als einziges Land in Westafrika nie einen Putsch erlebt. Es war Frankreichs erste Kolonie in Afrika, entstanden aus dem Sklavenhandel auf der Insel Gorée vor Dakar und einem Handelskontor im Hafen von Saint-Louis. 1960 wurde Senegal unabhängig, seit 1976 ist es eine Mehrparteiendemokratie. Präsident Macky Sall regiert seit 2012. Im Februar 2024 wird neu gewählt, Sall tritt nicht erneut an.

Wachsender Unmut

Unter Senegals knapp 18 Millionen Einwohnern, die Hälfte davon unter 18 Jahre alt, wächst der Frust über die schlechte soziale Lage und die ungleiche Verteilung des Wirtschaftswachstums. Vor allem in der Hauptstadt Dakar entsteht moderne Infrastruktur, aber die Lebensverhältnisse der Mehrheit verändern sich kaum. Der Eindruck ist verbreitet, dass die Elite mit ihrer Vetternwirtschaft die Mehrheit ausgrenzt. Die Bootsmigration Richtung Kanaren ist hoch, viele Menschen sterben dabei.

Radikale Opposition

In letzter Zeit findet unter der städtischen Jugend der radikale Oppositionsführer ­Ousmane Sonko Zulauf, der Senegals Westbindung ablehnt. Viele seine Anhänger sympathisieren mit den Militärputschisten in den Nachbarländern Mali und Guinea. Wegen laufender Gerichtsverfahren kann auch er 2024 nicht zu den Wahlen antreten. Als er am 1. Juni verurteilt wurde, folgten schwere Unruhen mit mindestens 23 Toten.

Welche Auswirkungen würde die Gasförderung haben? Und welche Alternativen gäbe es? Um diese Fragen zu klären, hat die taz mit betroffenen Fischern, den Betreibern eines Solarkraftwerks, EnergieexpertInnen und PolitikerInnen gesprochen.

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Mame Moussé Ndiaye ist einer der Fischer, die in Saint-Louis leben, einer Küstenstadt im Norden, an der Grenze zu Mauretanien. Er ist aktiv in mehreren Berufsvereinigungen von Fischern – und nimmt sich Zeit für eine Tour in Richtung der Gasplattform, die der Küste am nächsten liegt. Seine Piroge, ein schmales, etwa zehn Meter langes Holzboot, wartet zwischen vielen weiteren auf dem Sandstrand. Die Bordwände sind in Rot, Blau, Schwarz, Gelb mit Schrift und Bildern verziert.

Ndiaye und ein Freund schleppen Anker, Seile, Bojen, Tank und den 15-PS-Außenbordmotor herbei. Ein paar Jungs und Erwachsene helfen, die Piroge über Holzwalzen zum Wasser zu schieben. Als sie schwimmt, steigt ­Ndiaye hinein, der Freund zieht mit dem Starterseil den Motor an, der hohe Bug bäumt sich über der ersten Brandungswelle auf. Dann Gas geben, das Boot taucht ins Wellental. Die nächste Schaumkrone bricht, im Nu sind alle auf dem Boot nass, was bei 23 Grad Wassertemperatur aber nichts ausmacht. Drei, vier Mal geht das so, dann bleibt die Brandung hinter der Piroge zurück.

Die Fabrik auf dem Meer

Backbord, vielleicht einen Kilometer entfernt, fährt langsam ein Marineschiff, anscheinend dasselbe wie im Video. „Sie passen auf, dass wir der Gasplattform nicht zu nahe kommen“, ruft Ndiaye gegen den Lärm des Windes und der Wellen an. Er steht in der Mitte der Piroge, bewegt sich kaum, gleicht alle Bewegungen des Bootes mit seinem Körper aus. Seine weißen Shorts sind klatschnass, die Zigarette in seiner Faust bleibt trocken.

Ein paar Kilometer mit Vollgas raus aufs Meer – und die Häuser von Saint-Louis sind nur noch klein am Horizont zu sehen. Vorne aber, in westlicher Richtung, hebt sich allmählich eine längliche Struktur aus dem Dunst: die Gasplattform. Rot, gelb, weiß und grau schimmern hohe Schiffsaufbauten, Kräne, Schornsteine, Radaranlagen.

Die Fabrik auf dem Meer besteht aus einem 1.200 Meter breiten stählernen Wellenbrecher und einem dahinter liegenden künstlichen Hafen, in dem die Pipelines aus der Tiefsee enden. Dort soll das Gas verflüssigt und mit Tankern exportiert werden – vielleicht irgendwann auch nach Deutschland.

Die Fabrik schwimmt nicht. Sie steht auf dem Meeresboden, der hier, so nahe der Küste, nur 30 Meter unter dem Wasserspiegel liegt. Diese fest verankerte Lösung wurde aus Sicherheitsgründen gewählt – doch ausgerechnet an einer Stelle, an der sich ein ausgedehntes Riff aus Felsen und Korallen befindet. Der Fischreichtum ist groß. „Das Riff liefert alles“, sagt Ndiaye – nicht nur für den Verkauf, sondern auch für die täglichen Mahlzeiten der Fischerfamilien.

Nun aber sind seit etwa zwei Jahren große Wasserflächen über dem Riff für die Fischer gesperrt. Die Marine verhindert die Arbeit dort. Die Verbotszone geht von der Gasplattform 500 Meter in alle Richtungen, was auf mehrere Quadratkilometer hinausläuft. Eine weitere Sperrzone liegt weiter draußen auf dem Meer. Ndiaye: „Viele Boote fahren deshalb kaum noch raus.“ Manche Fischer verlören „ein Viertel ihres Einkommens, andere die Hälfte“, heißt es beim Nationalen Verband der Fischer.

Der Fischer Mame Moussé Ndiaye und ein anderer Mann auf einem Fischerboot im Meer.

Mame Moussé Ndiaye ist Fischer und fürchtet um seinen Lebensunterhalt Foto: Hannes Koch

Kann das sein? Der Ozean dehnt sich schier unendlich. Spielen ein paar Quadratkilometer wirklich eine Rolle? „Da hinten“, sagt Ndiaye und weist vom Boot aus in die Ferne, „beginnt schon Mauretanien.“ Dort, nördlich der Stadt, ist der Fischfang für senegalesische Boote untersagt, es sei denn, die Eigentümer leisten sich eine kostenträchtige Lizenz. Und im Süden von Saint-Louis seien die Fischvorkommen nicht so reichhaltig. Das ist vor allem ein Problem für die kleinen Pirogen, die für weite Strecken und die hohe See nicht taugen.

Jetzt wendet das Boot, es geht zurück zum Ufer. Die Jungs sind zur Stelle und ziehen die Piroge hoch ins Trockene. Alleine auf diesem Stück des Strandes liegen Hunderte Boote dicht an dicht. Der Lebensunterhalt von rund 3.000 Familien hänge von ihnen ab, sagt der Fischerverband. Auf der Langue de Barbarie, der nur über Brücken zu erreichenden, lang gestreckten Halbinsel vor Saint-Louis, leben eigentlich fast alle Leute irgendwie vom Fisch – als Händlerinnen, Bootsbauer, Mechaniker, Kneipiers. So könnten Zehntausende Ein­woh­ne­rIn­nen von dem Gasprojekt betroffen sein.

400 Milliarden Kubikmeter Gas

Grundsätzlich bietet die Regierung in der Hauptstadt Dakar den Geschädigten Kompensationen, Umschulungen und Ersatzarbeitsplätze in der Gasindustrie an. Bisher hätten sie aber keine Hilfen erreicht, sagen die Vertreter der Fischer. Von der Regierung ist dazu keine Auskunft zu bekommen. Deren Position sieht so aus: Für das ganze Land ist das Gas so wichtig, dass die Vorteile die möglichen Nachteile für die Fischer von Saint-Louis bei Weitem übersteigen.

Die Probleme der lokalen Bevölkerung sind Teil einer größeren Auseinandersetzung. 2015 fand das US-amerikanische Unternehmen Kosmos das Erdgas, nach dem es suchte – 125 Kilometer vor der senegalesischen Küste unter dem dort 3.000 Meter tiefen Meeresboden. Heute gehören dem britischen Energiekonzern BP 56 Prozent, Kosmos 27 Prozent, dem staatlichen senegalesischen Unternehmen Petrosen 10 Prozent und Mauretanien 7 Prozent der Anteile.

Das Vorhaben heißt inzwischen Greater Tortue Ahmeyim (GTA), und von den Bohrungen in der Tiefsee führen Pipelines auf dem Meeresboden zu einem Schiff etwa 45 Kilometer vor der Küste, wo das Gas gereinigt werden soll. Von dort wird der Rohstoff in Unterwasserröhren zur Gasplattform vor Saint-Louis strömen.

BP schätzt die gesamte Gasmenge auf etwa 400 Milliarden Kubikmeter. Zum Vergleich: Die bekannten Gasreserven Saudi-Arabiens betragen etwa sechs Billionen Kubikmeter. GTA ist im Weltmaßstab ein eher kleines Vorkommen, doch es könnte erst der Anfang der Gasökonomie in Senegal sein. Weiter südlich liegen zwei weitere Gasfelder, deren Ausbeutung geplant ist.

Die senegalesische Regierung setzt große Hoffnungen in diese neue Art der Energieversorgung. „Die meisten Menschen auf dem Land nutzen noch Holzkohle“, sagt Mamadou Fall Kane. Als energiepolitischer Berater des Präsidenten ist er im Januar 2023 per Video in eine Ausschusssitzung des Bundestages zugeschaltet. Etwa ein Drittel der Bevölkerung habe bisher keinen Zugang zu Strom, erklärt Kane auf Französisch.

Das Gas betrachtet die Regierung deshalb als einen Schlüssel zur Entwicklung des Landes. Die geplanten Schritte: Das bisher in Kraftwerken als Brennstoff verwendete Schweröl wird durch Gas ersetzt, wodurch der Ausstoß klimaschädlicher Abgase sinkt. Neue Gaskraftwerke sollen die gesamte Bevölkerung mit Strom versorgen. Gas aus Gasflaschen ersetzt dann Holzkohle beim Kochen, was der Entwaldung entgegenwirkt.

Yero Sarr, FFF Senegal.

„Das Gas muss unter dem Meeresboden bleiben“

Senegal könnte mit eigener Energie seine Industrie aufbauen, beispielsweise die Produktion von Dünger. Schließlich spart der Staat Geld für importiertes Öl, kann andererseits aber eigenes Gas exportieren, was zusätzliche Einnahmen für den Haushalt bringt.

Die Klimaschutzorganisation Fridays for Future hält das Gegenteil für richtig. „Das Gas muss unter dem Meeresboden bleiben“, sagt Yero Sarr von FFF Senegal. Der Student der Physik und Chemie begründet das mit den potenziellen Schäden für die lokale Wirtschaft und das Weltklima.

Genug Sonnen- und Windenergie
Gasflaschen auf der Ladefläche eines LKWs

Gasflaschen für eine Hotel in Dakar, Senegal Foto: Hannes Koch

Unterstützung erhält er auch von der grünen Bundestagsabgeordneten und Energiepolitikerin Lisa Badum: „Senegal hat das Potenzial für eine Versorgung mit 100 Prozent erneuerbarer Energie.“ Eine Studie von Germanwatch und New Climate Institute belegt, dass genug Sonnen- und Windenergie produziert werden kann, um den Wohlstand in ­Senegal zu steigern – auch ohne Erdgas.

Etwa 60 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Dakar dehnt sich flaches, trockenes, wenig besiedeltes Land aus. Ockerfarbener und rötlicher Boden, einzelne Bäume, Sträucher, dazwischen Neu- und Rohbauten, halb fertige Kreisverkehre, moderne Straßen – hier entsteht der neue Regierungssitz. Dann Strommasten, eine weiße Mauer, das Metalltor rollt zur Seite – Ankunft im Solarkraftwerk Diass.

Mame Ndiémé Ndong arbeitet seit 2016 beim staatlichen Stromunternehmen Senelec. Sie hat in Dakar studiert, ist Elektroingenieurin, spezialisiert auf erneuerbare Energie. Sie führt in die Schaltzentrale. Auf drei Bildschirmen sieht man, wie viel Strom die Anlage gerade produziert. Wegen der intensiven Einstrahlung und vieler Sonnenstunden ist die Ausbeute um bis zu 70 Prozent höher als in Mitteleuropa – obwohl draußen der Wind die Solarmodule ständig einstaubt, sodass deren typische blaue Farbe kaum zu sehen ist.

In Hunderte Meter langen Reihen sind sie auf Pfosten montiert und liefern Energie, ohne dass irgendeine Ressource aus der Erde geholt und verbrannt werden müsste. Ungefähr einen Kilometer lang und 400 Meter breit ist das Gelände. Finanziert hat das zum guten Teil die KfW, die Entwicklungsbank der Bundesregierung.

„Da kommt der Traktor“, sagt Ndong. Sie trägt Jeans, weißes Kopftuch und dunkle Sonnenbrille gegen das brutal helle Licht. Rechts am Fahrzeug ist eine lange, rotierende Bürste angebracht, die die Photovoltaikmodule mit Wasser reinigt. Regelmäßig fährt ein Beschäftigter die Reihen ab.

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Heute machen erneuerbare Energien gut 30 Prozent der installierten Kapazität zur Stromerzeugung in Senegal aus. Das sind rund 400 Megawatt, weniger als 1 Prozent der Stromerzeugung deutscher Solaranlagen. Mehr wäre durchaus möglich, auch viel mehr. „Wir haben genug Sonne und genug Land. Senegal ist dünn besiedelt“, sagt Ndong.

Ein Schritt in diese Richtung wurde gerade verabredet. Frankreich, Deutschland und weitere Staaten wollen Senegal 2,5 Milliarden Euro geben, damit der Anteil der Ökoenergien auf 40 Prozent steigt. Aber die Regierung lege Wert darauf, beides zu machen, sagt Ndong – Ökostrom und Erdgas parallel. Das sei eine „politische Entscheidung“. Von Senegals Energieministerin Aïssatou Sophie Gladima ist bekannt, dass sie meint, ihr Land müsse „auf zwei Beinen laufen“.

Braucht Senegal wirklich beides, Erdgas und erneuerbare Energie? Der ausschlaggebende Vorteil der Gasökonomie besteht in den zusätzlichen Erlösen, die anfangs 20 Prozent der Staatseinnahmen ausmachen könnten.

Denn ein großer Teil des Erdgases soll erst mal exportiert werden, wie Präsidentenberater Kane in einer Mail an die taz betont. Die später zu erschließenden Felder seien dann eher für den Eigenbedarf bestimmt. Wobei neue Gaskraftwerke und Pipelines, die der Versorgung der eigenen Bevölkerung dienen könnten, bisher nur auf dem Papier existieren.

„Großes Verständnis“ äußert der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby für das Interesse der Regierung, Geld einzunehmen, um es in Entwicklung zu investieren, in Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Straßen, Stromleitungen.

Diaby wurde in Senegal geboren. Der dortige Wohlstand liegt, je nach Berechnung, bei 3 bis 8 Prozent des deutschen. „Der Begriff Energiewende bedeutet hier etwas anderes“, sagt Fabian Heppe, der Vertreter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Dakar, „hier geht es zunächst um Energie für alle.“

Mögliche Nachteile der Gasstrategie aus senegalesischer Sicht sind mögliche Korruption und eine ungerechte Verteilung des Reichtums, negative Beispiele dafür sind Nigeria und Angola. Und: Deutschland und viele reiche Staaten wollen ihren Gasverbrauch verringern, um bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden – investiert Senegal also in eine sterbende Technologie?

Person mit Gelbweste, Kopftuch und Sonnenbrille vor einer Solaranlage.

Elektro­ingenieurin Mame Ndiémé Ndong vor einer Solar­anlage ihrer Firma Foto: Hannes Koch

Global gesehen besteht der wesentliche Nachteil im zusätzlichen Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase. Der Verzicht darauf macht wiederum den entscheidenden Vorteil einer Fokussierung Senegals auf erneuerbare Energien aus.

Außerdem würden Ökokraftwerke zusätzliche Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung bringen, während die Gasökonomie die Fischerei bedrohe, erklärt Fridays-for-­Future-Aktivist Sarr. Ein Nachteil der Erneuerbaren: Ökoenergie lässt sich auf absehbare Zeit höchstens in die Nachbarländer, nicht aber weltweit exportieren, was weniger Einnahmen im Vergleich zum Gas bedeutet.

Die Doppelstrategie: Gas und erneuerbare Energien

Und welche Rolle spielt nun Deutschland in diesem Konflikt? Als Bundeskanzler Scholz im Mai 2022 nach Senegal reiste, kündigte er zusammen mit Präsident Macky Sall Kooperationen in der Gasförderung an. Die Reise fand kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine statt, Gas aus dem Osten sollte schnell ersetzt werden. Auch in diesem Jahr ist aus dem Bundeskanzleramt zu hören, dass der westafrikanische Staat ein potenzieller Flüssiggaslieferant sei. Präsidentenberater Kane schreibt, Senegal sei offen für Lieferungen nach Deutschland.

Praktisch ist, soweit bekannt, bisher aber nichts passiert. Deutschland kann seinen Gasbedarf ohne Probleme aus anderen Quellen decken. Die Grünen-Politikerin Lisa Badum fordert, den „Gasdeal mit Senegal nun endlich zu beerdigen“. In einem Streitgespräch mit Diaby im Spiegel sagte sie: „Die Welt braucht keine neuen Gasfelder.“ Diaby antwortet hart darauf: „Das ist neokoloniales Denken.“ Er will von seiner Koalitionskollegin wissen, warum ein reicher Staat wie Katar Gas fördern dürfe, ein armer wie Senegal aber nicht.

Mame Moussé Ndiaye

„Für uns Fischer ist das Gas schlecht, für das Land aber ist es gut.“

Diese Frage stellen sich auch MitarbeiterInnen des Entwicklungsministeriums in Berlin. Dort weiß man, dass die Bevormundung anderer Regierungen keine gute Idee ist. Faktisch lässt sich das SPD-geführte Ministerium deshalb auf eine Doppelstrategie in Senegal ein: Gas und Erneuerbare. Wobei eine Sprecherin betont: „Mit deutschen Entwicklungsgeldern wird keine Gasinfrastruktur finanziert.“

Nun könnte es so weitergehen: Senegal beginnt bald, das Erdgas vor der Küste zu exportieren und gewisse Mengen selbst zu nutzen. Dabei spielt der kleine Anteil des Eigenverbrauchs für das Weltklima kaum eine Rolle. Denn das Land mit seinen knapp 18 Millionen Menschen verursacht nur 0,07 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen.

Anders sieht es beim Export aus. Deutschland ist für etwa 2 Prozent der klimaschädlichen Abgase weltweit verantwortlich. Kaufen wir und andere reiche Staaten das Erdgas aus Westafrika, um das hiesige Wohlstandsmodell am Laufen zu halten, verschärft dies das Klimaproblem erheblich. So betrachtet liegt die Hauptverantwortung im Norden, nicht im Süden.

Viele Kli­ma­ak­ti­vis­tIn­nen fordern deshalb, dass die reichen Staaten ihren Verbrauch fossiler Energie schnell einschränken, und die Konsequenz dieser Forderung würde lauten: Das Gas Senegals sollte unter dem Meer bleiben.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Doch daraus erwächst ein Dilemma: Mit den Exporteinnahmen fiele auch der Eigenverbrauch weg, denn mit diesem alleine lässt sich das teure Förderprojekt nicht finanzieren. Realistisch betrachtet wird das Gas also fließen, und zwar auch in den Norden.

Zurück von der Bootstour in Saint-Louis wird nun der Außenbordmotor abgeschraubt und über den Strand nach Hause getragen. Während er das Boot ausräumt, macht Mame Moussé Ndiaye sich Gedanken: „Für uns Fischer ist das Gas schlecht, für das Land aber ist es gut.“ Wenn man es jetzt schon gefunden habe, solle man es auch nutzen, meint der Mann, dessen Lebensunterhalt gefährdet ist.

Allerdings müsse der Staat das Geld dann auch gut investieren, sagt er. Die Fischer bräuchten Hilfe bei den Lizenzen für die Fangfahrten in mauretanischen Gewässern. Und am besten würde neben der Sperrzone im Meer ein künstliches Riff aufgeschüttet, um die Einkommen der Fischer zu sichern.

Solche Wünsche ließen die Regierung und BP bisher aber unbeantwortet. Einer der Nachbarn, die Ndiaye beim Ausladen helfen, sagt: „Die Fischerei hat hier keine Zukunft. Ich hoffe, dass meine Kinder Staatsdiener werden.“

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