Szenarien für Deutschland: Wo geht’s zur Zukunft?

Die Initiative „D2030“ hat acht deutsche Zukunftszenarien vorgestellt. „Stärke durch Vielfalt“ bekam den weitaus größten Zuspruch.

Ein Junge schwimmt im Meer

Es bleibt kaum Zeit zum Handeln: Der Inselstaat Kiribati ist vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht Foto: imago/Zuma Press

Was morgen kommt, hatten Klaus Burmeister und Beate Schulz-Montag, Zukunftsforscher in Köln und Berlin, schon längere Zeit professionell im Blick. So am Zukunfts-Thinktank Z-punkt oder als Dozenten des Zukunftsstudiengangs der Freien Universität Berlin.

Vor vier Jahren fiel ihnen aber auf: „Es gibt eigentlich kein umfassendes Szenario zur Zukunft Deutschlands, das alle Fächergrenzen überschreitet“, formuliert es Schulz-Montag. Die Idee für eine Zukunftslandkarte von Deutschland im Jahr 2030 war geboren. Seitdem arbeiteten die beiden an ihrem Projekt „D2030“, knüpften ein großes Netzwerk aus professionellen Zukunftsakteuren und privaten Zukunftsinteressierten, das jetzt auf einer Konferenz in Berlin seine Ergebnisse präsentierte.

Entrollt wurde die Landkarte eines künftigen Deutschland, genauer: acht unterschiedlicher Deutschlands, um auf dieser Basis zu diskutieren, welchen Weg die Gesellschaft einschlagen soll und welche Schritte es dorthin braucht. „Ein zukunftsblindes Weiter-so kam für uns jedenfalls nicht infrage“, sagt Bea­te Schulz-Montag.

Der letzte große Entwurf, den es davor gab, war „Zukunftsfähiges Deutschland“, der im Jahr 2008 vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie zusammen mit den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Evangelischen Kirche formuliert wurde. Das umfassende Nachhaltigkeitsszenario, das viele notwendige „Wenden“ (Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende) vorzeichnete, hat aber erstaunlicherweise nie eine Aktualisierung erfahren.

Die private D2030-Initiative – deren eigene Zukunft, da ohne öffentliche Förderung, anfangs selbst unsicher war – traf letztlich auf eine breite Unterstützung. Sieben Unternehmen gaben finanzielle Unterstützung. Acht Beiräte wurden benannt, ein Kernteam von 21 Personen gebildet, außerdem 200 „Zukunftsbotschafter“ entsandt, die für einzelne Fachfragen zur Verfügung standen.

Diskurs über Zukunft

In zwei Onlinekonsultationen gaben 300 Teilnehmer 4.000 Beiträge ein. Der Newsletter hat 700 Bezieher. Ein intensiver Zukunftsdiskurs kam zustande. „Heute können wir sagen“, bilanziert Klaus Burmeister, „die Mühe hat sich mehr als gelohnt.“

Acht Zukunftszenarien wurden entworfen, die sich zwischen den Extremen Ich- oder Wir-Orientierung sowie weltoffen oder abgeschottet verorten. Drei Szenarien beschreiben unter dem Titel „Spurtreue Beschleunigung“ die Fortschreibung des heutigen Zustands in den Varianten „Wohlfühl-Wohlstand“, „Spaltung trotz wirtschaftlichem Erfolg“ und „unaufhaltsamer Abstieg“.

Die drei Szenarien verbindet eine Orientierung auf Globalisierung (mit Liberalität, Zuwanderung, Offenheit für Wandel und einer Pro-Europa-Einstellung) mit einer dominanten Ausrichtung auf Materialismus und persönlich-individuelle Vorteile („Ich-Orientierung“).

Bisher hat Wissenschaft nur dazu gedient, das bestehende System zu verbessern

Eine zweite Gruppe von ebenfalls drei Szenarien mit dem Titel „Neue Horizonte“ verbindet die gleiche Haltung zur Globalisierung und Offenheit mit der Präferenz einer Wir-Gesellschaft, die zugleich ökologisch nachhaltig ausgerichtet ist. Diese Zukunftsentwürfe tragen die Namen: „Spielräume für die Zivilgesellschaft“, „Stärke durch Vielfalt“ und „Renaissance der Politik“.

Zwei weitere Entwürfe sind auf der Seite der Antiglobalisierung angesiedelt: In diesen Abgrenzungsszenarien herrschen Protek­tio­nis­mus, Regulierung, Tra­di­tions­orien­tierung und Autarkie. Die ökologische Wir-Variante verkörpert das „Suffizienz“-Modell der aktuellen Nachhaltigkeitsdiskussion: Genügsamkeit und Postwachstum. Das andere, ich-orientierte Szenario mit dem Titel „Alte Grenzen“ wird im politischen Raum besonders von der AfD propagiert.

Ungewissene Zukunft

Und welche dieser Zukunftsentwürfe hat die höchste Wahrscheinlichkeit, in 13 Jahren zur Realität zu werden? Das kann die D2030-Zukunftslandkarte zwar nicht beantworten, aber zumindest die heutigen Präferenzen hat das Szenarioteam von Karlheinz Steinmüller (Z_punkt The Foresight Company) und Alexander Fink (ScMI Scenario Management International) ermittelt. Mit 77 Prozent votierten die D2030-Teilnehmer der Onlinebefragung für das Szenario „Stärke durch Vielfalt“ als die wünschenswerteste aller möglichen Zukünfte. Kernelemente dieses „Vielfalts-Szenarios“ sind eine erneuerte, soziale Marktwirtschaft und „Zuwanderung als Chance für die offene Gesellschaft“.

Auf den zweiten Platz mit 70 Prozent kommt das „Freiheits-Szenario“ („Spielräume für die Zivilgesellschaft“), das die Anhänger der digitalen Transformation bevorzugen. Die grüne Suffizienz-Utopie eines Ökoregionalismus kommt mit 42 Prozent Zustimmung auf Platz 5. Interessant sind die Meinungen zu den beiden Abstiegsszenarien: Gewünscht werden sie von maximal 6 Prozent der Teilnehmer, aber für möglich gehalten werden sie von 45 beziehungsweise 48 Prozent. Dagegen wird dem „Verzichts-Szenario“ mit 22 Prozent die geringste „Nähe zur erwarteten Zukunft“ attestiert.

Die Zukunft kann aber auch schneller kommen, als man denkt. Das Szenario „Alte Grenzen“ wird so beschrieben: „Digitalisierung und globale Verwerfungen erschüttern Deutschlands Wirtschaftsmodell. Die Gesellschaft zieht sich ins Nostalgisch-Traditionelle zurück und schottet sich ab. Die Digitalisierungverlierer erliegen der Versuchung einfacher Lösungen der Re-Nationalisierung.“ Kein attraktiver Entwurf für ein Deutschland 2030.

Frappierend: Ersetzt man das Wort „Deutschland“ durch „USA“ erhält man die Gegenwartsbeschreibung der Vereinigten Staaten nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten.

Neuer Schub für die Debatte

Mit ihrer Landkarte wollen die D2030-Macher der Zukunftsdebatte und dem Zukunftsbewusstsein in Deutschland einen neuen Schub geben. Weitere Ideen sind in Planung, so etwa ein „Zukunfts-Index“ nach dem Muster des ifo-Geschäftsklima-Index, der die Zukunftsfähigkeit des Landes auf einen Blick erfassbar macht. „Wir brauchen noch viele solcher neuer Ideen“, sagt Klaus Burmeister. „Damit sich die gesellschaftlichen Akteure im Sinne von Robert Jungk bei der Zukunftsgestaltung selbst unterstützen.“

In der Debatte der Konferenz wurden weitere Anregungen gegeben. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger, beklagte eine „fehlende Ernsthaftigkeit der öffentlichen Diskurse“ über Themen mit Zukunftsrelevanz. Wichtig sei die Erhaltung und Neu­etablie­rung von „sozialen Marktplätzen“, wo Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zusammenkommen und sich austauschen können.

Der Züricher Physiker Dirk Helbing verwies auf den Zeitdruck, unter dem durch die Bedrohung des Klimawandels gehandelt werden müsse. Bisher habe Wissenschaft und Innovation dazu gedient, das bestehende System zu verbessern. „Wir brauchen aber jetzt system-verändernde Innovationen“, erklärte Helbing.

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