Tiere nach Staudammbruch in Ukraine: Katzen aus den Bäumen geholt

Nach dem Bruch des Staudamms bei Cherson werden Tausende nach Odessa evakuiert. Auch Tiere und Umwelt leiden unter der Überschwemmung.

Ein Mann und eine Frau retten eine Katze

Cherson, Ukraine am 8. Juni: Anwohner bereiten ihre Katze auf die Evakuierung vor Foto: Vladyslav Musiienko/reuters

ODESSA taz | Der Dammbruch am Kachowkaer Stausee ereignete sich am frühen Dienstagmorgen. Innerhalb weniger Stunden wurden viele Häuser überflutet. Die Menschen hatten oft nur noch, was sie am Leib trugen: Hauskleidung und Pantoffeln. Einige schafften es noch, Dokumente und Haustiere mitzunehmen. Nach der Katastrophe von Nowa Kachowka hat die südukrainische Hafenstadt Odessa bisher die meisten Evakuierten aus den Überschwemmungsgebieten aufgenommen.

Als die große Flutwelle Cherson erreicht hatte, drei, vier Stunden nach dem Dammbruch, wurden die Menschen dort schon von Evakuierungsbussen und -zügen erwartet und Richtung Westen nach Mykolajyw und Odessa gebracht. Olga aus Cherson brachte ihre Tochter zum Bus, sie selbst fuhr mit ihrem Mann erst einen Tag später.

„Wir wohnten ganz nah am Fluss und beschlossen, Cherson zu verlassen, als das Wasser stieg. Jetzt sind wir hier in Odessa in einem Wohnheim untergebracht. Sie haben uns Bargeld, Bettwäsche, Essen und andere dringend benötigte Dinge gegeben“, erzählt Olga. „Wir können erst mal einen Monat bleiben und die Situation beobachten. Aber wenn wir hier in Odessa Arbeit finden, bleiben wir. Denn bei uns gibt es keine Arbeit, dafür ständigen Beschuss und die Überschwemmung. Unsere Tochter muss sich auf die Aufnahmeprüfung für die Uni vorbereiten. Ohne die ganzen Freiwilligen könnten wir hier gerade aber gar nicht überleben.“

Nothilfe kommt aus Odessa

Gleich in den ersten Tagen wurden mehr als 4.000 Menschen aus den südukrainischen Überschwemmungsgebieten nach Odessa gebracht. Sie wurden in schnell errichteten Zeltlagern untergebracht, in Wohnheimen und Privatunterkünften. Insgesamt werden in Odessa mehr als zehntausend Menschen erwartet. Sie kommen vor allem vom rechten Ufer des Dnipro, weil die russische Armee keine Retter auf das besetzte linksufrige Dnipro-Gebiet lässt.

In den Überschwemmungsgebieten gibt es so gut wie keine Trinkwasservorräte mehr. Von Odessa aus fahren Freiwillige jeden Tag mit Bussen voller Wasserflaschen nach Cherson. Auf dem Rückweg bringen sie Menschen und Tiere mit.

Einige Odessaer Schulen haben ihre Räume als Spendenlager zur Verfügung gestellt. Die Menschen bringen Lebensmittel, Hygieneartikel und Kleidung. Cafés bieten kostenlose Mahlzeiten für die Flutopfer. Die Lehrerin Angelina hilft vom ersten Moment an beim Sortieren der Kleidung und Lebensmittel in einem der Freiwilligenzentren. Sie bekennt, dass sie manchmal Pausen braucht, um zu weinen.

„Das hier ist sehr schmerzhaft. Es zerreißt einem das Herz. Ich weine, aber ich kann nicht tatenlos zusehen. Ich sortiere hier die Hilfsgüter in Kisten, damit alle sehen können, was sich wo befindet, und problemlos das mitnehmen können, was sie brauchen. Die Odessiten haben schon sehr viel gespendet und sie bringen auch weiterhin Hilfsgüter her“, erzählt Angelina.

Tierliebe Ukrainer: Evakuierung von Vierbeinern

Für Tiere war es besonders schwer, denn im Unterschied zu den Menschen konnten sie nicht verstehen, was gerade passiert. Aus Odessa fuhren Tierärzte und Tierschützer zum Helfen in die Flutregion, aber auch Leute, die einfach helfen wollten.

Zur Rettung der Tiere wurden Boote, aber auch Luftmatratzen benutzt. Eine der größten Tierschutzorganisationen aus Odessa, „Animal SOS“, fuhr in einer Kolonne aus zehn großen Autos. Sie brachten mehr als hundert Tiere in Käfigen aus Cherson mit zurück, vor allem Katzen und Hunde. Sie sammelten sie von Bäumen und holten sie von Hausdächern.

Die Freiwillige Regina erzählt, dass sie auf dem Rückweg von Cherson die Scheinwerfer ihrer Autos ausschalten mussten, um nicht von der russischen Armee beschossen zu werden.

„Wir fuhren unter Drohnenbeschuss, aber anhalten wäre zu gefährlich gewesen. Denn eine zu große Ansammlung von Autos darf nicht gleichzeitig auf der Straße sein“, berichtet Regina. „Wir haben an verschiedenen Orten Tiere gerettet. Ukrainische Soldaten haben uns geholfen und uns begleitet und auf Gefahren hingewiesen. Es gibt dort sehr viele Tiere, die Situation ist grausam für sie, man muss noch öfter dorthin, um möglichst vielen zu helfen. Viele sind schon wegen des Krieges heimatlos geworden, ihre Besitzer sind tot oder geflohen – und jetzt noch dieses Hochwasser.“

Jana Titorenko, Tierschützerin

„Es ist beunruhigend, wenn eine Stadt, die eigentlich voller Leben sein sollte, einfach ausstirbt“

Für die geretteten Haustiere wurden in Odessa Auffangheime eingerichtet. In großen Käfigen leben dort jetzt Hunde, in anderen Katzen. Viele mussten erst einmal in Tierkliniken gebracht werden, weil sie schon gesundheitliche Probleme hatten. Viele haben sehr viel Wasser und Steine geschluckt, bevor sie gerettet werden konnten. Ununterbrochen kommen notleidende Vierbeiner in Odessa an. Es gibt extra Sammelstellen für Tierfutter und andere dringend benötigte Dinge.

„Wir haben Boote geschenkt bekommen. Unsere Mädchen sind damit herum gefahren, um Hunde und Katzen von Hausdächern einzusammeln. Man kommt sich dort ein bisschen vor wie in der Zone von Tschernobyl. Leere Straßen, kein Mensch weit und breit, man hört nur die Sirene des Luftalarms“, erzählt die Tierschützerin Jana Titarenko. „Es ist ein sehr beunruhigendes Gefühl, wenn eine große Stadt, die eigentlich voller Leben sein sollte, einfach ausstirbt.

Wir halten uns für Fachleute, die wissen, wie man mit Tieren umgeht, aber während der Evakuierungen haben wir sie zum Teil in Käfigen zusammenpferchen müssen, um überhaupt so viele wie möglich retten zu können. Wir haben gar nicht mehr genau hinschauen können, weil wir so aufpassen mussten, dass sie uns nicht ins Wasser fallen. Die Tiere waren sehr geduldig. Menschen liefen dort mit ihren Haustieren auf dem Arm durch die Wassermassen, wir boten ihnen an, sie zu evakuieren, aber sie lehnten das ab und sagten, nach Ende der russischen Besatzung würde ihnen die Überflutung jetzt keine Angst mehr machen.“

Nach wie vor kommen viele Tiere aus dem Überschwemmungsgebiet am Dnipro. Die meisten von ihnen finden bei Odessiten ein neues Zuhause. Aber sind dort auch sehr viele Tiere gestorben. Einige Wildtierarten wird es dort wohl nie mehr wieder geben.

Drohender Ökozid am Schwarzen Meer

In Odessa selbst ist vor allem die Küstenregion bedroht. Das Wasser fließt nach der Sprengung des Staudamms in die Limane, lagunenartige Strandseen an der Schwarzmeerküste im Gebiet Mykolajyw – und von dort ins Schwarze Meer.

Umweltschützer warnen, dass es kategorisch untersagt ist, ins Wasser zu gehen, auch an den Stellen, die bis jetzt noch zum Baden freigegeben sind. Wegen des Kriegsrechts sind in Odessa die Strände bereits das zweite Jahr in Folge gesperrt. Trotzdem gehen die Leute dort weiterhin zum Baden.

Vom Ufer in Odessa aus kann man die Überreste von im Meer treibenden Dächern sehen. Umweltschützer haben darauf hingewiesen, dass zusammen mit den Überresten von Gebäuden und den Kadavern ertrunkener Tiere auch Pestizide von Feldern und Minen ins Meer geströmt seien. Der Zoologe Pawel Goldin, der sich aktuell mit der Situation befasst, sagte, dass die Verschmutzung des Schwarzen Meeres katastrophale Folgen haben könnte.

„Es sind tote Menschen, es sind sehr viele tote Tiere. Es sind die überfluteten Friedhöfe und Minenfelder, die die Russen dort angelegt haben. Einige Pestizide könnten sich in mindestens der Hälfte des Schwarzen Meeres ausbreiten“, erklärte der Wissenschaftler.

Der Kachowkaer Stausee ist eines der größten Wasserreservoirs in Europa. Von Beginn des Krieges an lag er in russisch besetztem Gebiet. Er kann nach dieser Zerstörung nicht wieder errichtet werden. Seine Sprengung ist eine der größten menschengemachten Katastrophen der letzten Jahrzehnte. Die Folgen dieser Zerstörung können erst in einigen Wochen abgeschätzt werden, wenn das Wasser abgeflossen sein wird.

Es wird jedoch mehr als ein Jahr dauern, das Gebiet und die Küste wiederherzustellen.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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