UN-Abzug aus Mali: Alleingelassen im Sahel

Der UN-Abzug aus Mali und die Sanktionen gegen Niger erschweren die Arbeit internationaler Hilfswerke. Die langfristigen Folgen im Sahel sind unklar.

Konvoy von weißen Militärfahrzeuge

Minusma Konvoy in der Nähe von Gao Foto: Sylvain Liechti /Minusma via reuters

COTONOU taz | In wenigen Wochen ist die UN-Mission für Mali (Minusma) Geschichte. Bis Jahresende sollen alle Blauhelmsoldaten das Land verlassen haben, wie es der UN-Sicherheitsrat im Juni auf Wunsch von Malis Militärregierung beschloss. Neun der ursprünglich 12 UN-Basen im Land wurden bereits geräumt. Das Bundeswehrkontingent im ostmalischen Gao befindet sich nach eigenen angaben im „Endspurt“, um Mali fristgerecht zu verlassen.

„Der Rückbau läuft auf Hochtouren, viele Einheiten sind bereits abgezogen“, erklärte an diesem Montag die Bundeswehr. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte bei einer Regierungsbefragung am Mittwoch im Bundestag, dass er bis Mitte Dezember mit einem vollständigen Abzug der Bundeswehr aus dem westafrikanischen Krisenland rechne.

Vor Ort gehen mit dem UN-Abzug enorme Konsequenzen einher. Im Norden Malis haben Kämpfe zwischen Regierungsarmee und bewaffneten Gruppen enorm zugenommen, etwa weil Regierung und Tuareg-Rebellen sich um die Übernahme von UN-Basen stritten.

Mitte November feierte Malis Armee die Rückeroberung der Stadt Kidal nach elf Jahren in Tuareg-Rebellenhand. In Timbuktu und Umgebung starben Dutzende Menschen, als Anhänger der islamistischen Terrorgruppe JNIM (Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime) einrückten. Vergangene Woche besetzte JNIM die nahe Stadt Nianfunke und vertrieb die dort stationierte Armee.

Das führe zu einer steigenden Zahl an Binnenflüchtlingen, sagt Mahamadou Issoufou-Wasmeier, Regionaldirektor für West- und Zentralafrika der Welt­hungerhilfe. „Gemeinden, die sie aufnehmen, sind durch den steigenden Druck auf die wenigen vorhandenen Ressourcen vermehrt auf humanitäre Hilfe angewiesen.“ Gleichzeitig sinke die landwirtschaftliche Produktivität, etwa aufgrund von Verlusten von Ernten durch eingeschränkten Zugang zu den Feldern. „Es ist noch nicht absehbar, inwiefern sich die Sicherheitslage verändern wird und sich beispielsweise durch zusätzliche Sicherheitsrisiken die Durchführung von humanitären Maßnahmen erschweren wird“, so Issoufou-Wasmeier.

Auch Ilaria Allegrozzi, Sahel-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, bezeichnet den Minusma-Abzug als „Grund zur Sorge“. Nicht nur im Bereich Sicherheit entstehe ein Vakuum, sondern auch bei der Überwachung von Menschenrechtsverletzungen durch alle Konfliktparteien. „Wer wird diese Aufgabe übernehmen? Wird es die malische Menschenrechtskommission? Wird die Übergangsregierung externe Beobachter zulassen?“ Die UN-Mission könne durchaus kritisiert werden, so Ilaria Allegrozzi. „Sie hat allerdings den Dialog zwischen verschiedenen Gruppen erleichtert. Sie hat sich um Logistik gekümmert und war zentral bei der Organisation des Verfassungsreferendums.“

Burkina Faso und Niger, ohne hochrangige UN-Mitarbeiter

Seit den Staatsstreichen in Burkina Faso und Niger sind auch dort mehrere hochrangige UN-Mitarbeiter:innen ausgewiesen worden. UN-Koordinatorin Barbara Manzi musste Burkina Faso im Dezember 2022 verlassen. Mitte Oktober wies in Niger die Militärjunta Abdourahamane Tiani Louise Aubin aus, höchste UN-Vertreterin im Land. Nur einen Tag zuvor hatten die USA die Kürzung von 500 Millionen US-Dollar an Wirtschaftshilfe angekündigt.

Paolo Cernuschi, Niger-Landesdirektor des Hilfswerks International Rescue Committee (IRC), sagt: „Sie hatte die Möglichkeit, auf höchster Ebene Gespräche zu führen. Der Dialog wird schwieriger werden. Nichtstaatliche Organisationen müssen diese Rolle übernehmen.“ Wichtig seien die UN-Strukturen außerdem, um Hilfe zu koordinieren.

Auf nichtstaatliche Organisationen kommen noch weitere Aufgaben hinzu. Seit der Machtübernahme des Militärs haben zahlreiche Länder, darunter auch Deutschland, die bilaterale Zusammenarbeit mit Niger ausgesetzt. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze kündigte im Oktober an, dass Deutschland verstärkt auf Nichtregierungsorganisationen setze und rund acht Millionen Euro zusätzlich bereitstelle.

Niger ist in hohem Maße abhängig von internationalen Geldern. Prognosen zufolge sollte der Haushalt 2023 in Höhe von 5,3 Milliarden US-Dollar zu gut 40 Prozent von externen Partnerländern finanziert werden.

Anfang Oktober kündigte die Junta an, ihn um rund 40 Prozent zu kürzen. Gleichzeitig verschlechtert sich die Versorgungslage. Nigers Grenzen zu Benin und Nigeria bleiben aufgrund der von der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas verhängten Sanktionen geschlossen. Waren aus Übersee, die sonst über Benins Hafen Cotonou nach Niger kommen, müssen jetzt kompliziert und kostenintensiv über Togo und Burkina Faso ins Land gebracht werden.

„Gesundheitszentren, die wir unterstützen, gehen die Vorräte aus“, sagt Cernuschi. Problematisch für alle sei die schlechte Stromversorgung, die für Kühlketten für Impfstoffe wichtig sei – Nigeria hat die Stromversorgung für Niger gekappt. Die Ausfälle mithilfe von Dieselgeneratoren zu überbrücken, sei teuer.

Auch wird Bargeld knapp und Überweisungen zunehmend komplizierter. Dabei wird viel Hilfe für die Ärmsten in Niger mit Bargeld geleistet: Die Emp­fän­ge­r:in­nen entscheiden selbst, was sie am nötigsten brauchen und kaufen das auf lokalen Märkten, was zielführender und billiger ist, als wenn auswärtige Hilfswerke einkaufen und dann verteilen. Aber bei Geldmangel wird auch dies schwieriger. „Die Hilfe wird immer teurer, und gleichzeitig steigt der Bedarf. Der Druck auf uns wächst“, sagt Cernuschi.

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