Umgang mit niedrigen Renten: Vielen droht Altersarmut

Die Rentenversicherung verschickt wieder „Renteninformationen“ – Dokumente der Ernüchterung für jene, die mäßig verdienen.

Drei alte Frauen nebeneinander, zwei trocknen sich die Stirn mit Tüchern

Die Rente ist sicher … niedrig Foto: dpa

BERLIN taz | Es ist ein düsterer Tag für Millionen Beschäftigte: der Tag, an dem sie die „Renteninformation“ bekommen, also den Brief, den die Deutsche Rentenversicherung alljährlich an ihre Klienten verschickt und der Auskunft gibt über die zu erwartende Rente, wenn man durchhält bis zur Altersgrenze.

„600 Euro“, sagt Anna Karstädt, „mehr wird es nicht werden.“ Karstädt, 53 Jahre alt und als Altenpflegehelferin tätig, ist einer der Fälle, die von Politikern gerne beschworen werden, wenn es um Altersarmut geht. Etwas über 1.600 Euro brutto im Monat für eine Vollzeitstelle verdient die Pflegehelferin.

Karstädt hat als Langzeitstudentin in jüngeren Jahren einige sozialversicherungsfreie Nebenjobs gehabt, dann das Tiermedizinstudium geschmissen und erst im Alter von über 30 Jahren als Altenpflegehelferin angefangen und ab da in die Rente eingezahlt. Sie wird bis zur Rente 35 Jahre lang sozialversicherungspflichtig in der Pflege gearbeitet haben. Eine harte Arbeit.

Trotzdem erreicht Karstädt nur den Wert von 600 Euro. Falls sie die Beiträge aus ihrem gegenwärtigen Gehalt bis zum Rentenbeginn weiter entrichtet. Sowohl die künftige Inflation als auch die künftigen jährlichen Rentensteigerungen sind in der Zahl nicht berücksichtigt. Mit ihrer Rente hätte Karstädt Anspruch auf eine Aufstockung durch die Grundsicherung, deren Niveau derzeit im Schnitt bei 773 Euro netto liegt. „Am Ende muss ich also doch zum Sozialamt“, sagt Karstädt trocken, „aber da bin ich nicht die Einzige“.

Provokation „Renteninformation“

Die „Renteninformation“ ist zur Provokation geworden für Millionen Beschäftigte, die kaum mehr verdienen als 2.000 Euro brutto. Das betrifft nicht nur schlecht bezahlte Kräfte in der privaten Dienstleistung. Auch Akademiker aus niedrig dotierten Kulturberufen erfahren aus der Renteninformation, dass sie sich eigentlich sofort einen besser bezahlten Job suchen müssten. Es sei denn, man hat noch eine gute Betriebsrente zu erwarten, rechnet sich ein Erbe aus oder verfügt über einen wohlhabenden Partner, der das Haushaltseinkommen in mittelschichtige Lagen hebt.

Die Rentenschwelle zur Grundsicherung ist politisch heikel. Denn diese Art von Hartz IV im Alter bekommt jeder als eine Art staatliche Mindestrente, auch wenn man seine besten Jahre in der Südsee verbrachte, ohne jemals in die Rentenkasse einzuzahlen. Dass auf die Grundsicherung später alles Ersparte auf der Bank angerechnet wird, auch ein Riester-Vertrag, macht es zudem unattraktiv, für das Alter offiziell Geld zurückzulegen.

Horst Seehofer (CSU) will wie Sigmar Gabriel (SPD) das Rentenniveau nicht wie geplant weiter absenken.

Die SPD will die Betriebsrenten stärken und kleine Renten aufstocken.

Die FDP will privat Erspartes nicht voll auf die Grundsicherung im Alter anrechnen.

Die Grünen wollen Selbständige in die Rentenkasse bringen.

Die Linke ist für 1.050 Euro Mindestrente monatlich. (bd)

Die Sache wird noch düsterer, wenn man die Entwicklung des Rentenniveaus betrachtet, denn die weist nach unten. Das Rentenniveau ist das Verhältnis von Renten zu Löhnen und es kann rechnerisch dank der Rentenreformen bis zum Jahre 2030 nochmal um ein Zehntel sinken. Auch das dürfte die Zahl der Grundsicherungsempfänger nach oben treiben, die bisher bei nur drei Prozent der Bevölkerung im Rentenalter liegt.

Kein Wunder, dass die Parteien händeringend Strategien suchen gegen den Rentenfrust. Um das Rentenniveau, derzeit bei 47,8 Prozent, zu halten oder gar wieder anzuheben, könnte man die Rentenformel wieder ändern. Das würde höhere Beiträge erfordern und damit die Jüngeren belasten. Außerdem würden von dieser Änderung auch gut gestellte Rentner profitieren, das muss man nicht unbedingt wollen.

Selbständige sind gegen Zwangsbeiträge

Eine andere Variante bestünde darin, mehr Beitragszahler in die gesetzliche Rentenversicherung zu zwingen, also Selbständige darin einzugliedern, wie es Unions- und SPD-Politiker früher schon und jetzt auch die Grünen in einem neuen Gutachten wieder fordern. Selbständige wehren sich aber gegen den Plan, ihnen einen „Zwangsbeitrag“ zur gesetzlichen Rente abzuknöpfen. Die Erleichterung wäre auch nur kurz, denn Selbständige werden auch mal Rentner und dann Leistungsempfänger.

Die SPD favorisiert eine Stärkung der Betriebsrenten als zusätzliche Altersvorsorge. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat unlängst ein Gutachten erstellen lassen. Danach sollen überbetriebliche Versorgungsträger die Betriebsrenten für kleinere Unternehmen verwalten können. So werden Betriebsrenten dann auch für kleinere Firmen interessant. Neu dabei ist, dass Betriebsrenten auf den eventuellen späteren Bezug einer ergänzenden Grundsicherung im Alter nicht oder nicht vollständig angerechnet werden sollen, so das Gutachten. Sonst wäre auch die Motivation zur Betriebsrente für Schmalverdiener schnell dahin.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht der Plan, niedrige Renten zu einer „solidarischen Lebensleistungsrente“ aufzustocken, so dass KleinrentnerInnen später nicht zum Sozialamt müssen. Andrea Nahles und Sigmar Gabriel haben sich dafür ausgesprochen, Unionspolitiker warnen. Denn Aufstockungsrenten werfen automatisch die Frage auf, wie lange man dafür gearbeitet haben soll und wie viel der Partner haben darf. Woher das Geld dafür kommen soll, ist ebenfalls noch völlig unklar.

Anna Karstädt setzt auf ihre Arbeitskraft oder einen schnellen Tod, je nach Stimmung. „Kann gut sein, ich falle eines Tages einfach um. Dann hätte ich auch von einer fetten Rente nichts mehr gehabt.“

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