Verdacht auf Queerfeindlichkeit: Tod dem rosa Drachen

Die Waldorfschule Itzehoe erlebt einen Shitstorm. Bei einem Fest wurde ein großer Pappmaché-Drache verbrannt, der queere Symbole trug.

Ein bunter Drache aus Pappe mit rosa Trikot, pinkem Hut und der Aufschrift "Gaydidas"

Dieser Drache wurde auf dem Hof der Waldorfschule Itzehoe vor den Augen der Kinder verbrannt ​ Foto: Screenshot von Anthroposophie-Blog/Waldorfschule Itzehoe

RENDSBURG taz | Gruseln in der Geisterbahn, rangeln auf dem Schwebebalken, sportliche Betätigung im Kletterwald – mit Mutproben und Spielen feierte die Waldorfschule Itzehoe in Schleswig-Holstein Ende September das Michaeli-Fest. Ein Höhepunkt des Tages war die Verbrennung eines Drachen, den Schü­le­r*in­nen im Kunstunterricht gebastelt hatten. Weil das Monster, das für „das Böse“ steht, Symbole für queeres Leben trug, steht die Schule nun in einem Shitstorm. Klage wurde eingereicht, der Landtag befasst sich mit dem Fall.

Der Michaelistag am 29. September erinnert an den Kampf des Erzengels Michael gegen Luzifer. Waldorfschulen und -kitas feiern an diesem Tag ein Fest, in es um Mut geht. Auch der Drache gehört zu den üblichen Bestandteilen. In Itzehoe ragte in diesem Jahr eine Pappmaché-Figur mit zwei Köpfen auf dem Schulhof auf, die im Laufe des Tages von Feuerpfeilen in Brand gesetzt wurde. „Unter aller Augen ging der (sehr kreativ gestaltete) Bösewicht in Flammen auf. Der Sieg des Guten über das Böse“, heißt es in einem Text, den die Schule danach veröffentlichte.

Teil der „kreativen Gestaltung“ war ein rosafarbenes Trikot des queer-freundlichen Sportvereines Inter Miami mit der Aufschrift „Gaydidas“. Einer der Köpfe trug einen pinken Barbie-Hut, blondes Haar und eine Holz-„Zigarre“, die an Klischee-Darstellungen eines Geldsack-Kapitalisten erinnern.

Über das stressige Making-of berichteten Schü­le­r*in­nen auf der Webseite der Schule: „Es blieb einfach keine Zeit für längere Diskussionen und wir mussten schnell über unsere Fehler hinwegsehen“, schrieb eine Schülerin. Eine andere schilderte: „Wir wissen alle auch nicht recht wie, aber irgendwie haben wir es dann doch geschafft, alle Ideen in den Drachen zu bringen und dadurch ist er auch sehr bunt und vielseitig geworden.“

Verband kündigt Anzeige an

Dass diese bunte Vielfalt dazu bestimmt ist, in Brand geschossen zu werden, fand an der Schule offenbar niemand schlimm. In der Außenwelt dagegen schon: „Wir sind entsetzt“, kommentierte der Verband der Lesben und Schwulen in Schleswig-Holstein auf Facebook, nachdem der Anthroposophie-Blog, der sich kritisch mit der Lehre der Anthroposophie und ihrem Gründer Rudolf Steiner auseinandersetzt, über den Fall berichtete. Für den Verband ist es „ein absolutes Unding, dass in einer Bildungseinrichtung so etwas wieder möglich ist. Denn Schulkinder und Angestellte sollen sich doch gut und sicher fühlen dürfen“. Der Verband kündigte eine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen an.

Auch die Landespolitik reagierte. „Wir sind schockiert über die Berichte“, sagte die queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Anna Langsch. Birgit Herdejürgen, SPD-Abgeordnete aus Itzehoe, machte deutlich: „Weder ‚woke‘ noch ‚queer‘ dürfen Kindern als böse vermittelt werden, was auch immer von archaischen Ritualen sonst zu halten ist.“ Sie forderte einen Bericht des Ministeriums beim nächsten Treffen des Bildungsausschusses Anfang November. Das Ministerium teilte mit, sich mit dem Fall zu befassen.

Die Steinersche Lehre, die Dinge wie Wiedergeburt, biodynamische Landwirtschaft und die Herkunft der Menschheit von Atlantis umfasst, verurteilt Homosexualität grundsätzlich nicht. Beispielsweise sei sie kein Kriterium gegen die Priesterweihe, sagte Steiner, der 1861 geboren wurde und 1925 starb. Laut einem anderen Zitat glaubte er, dass jüngere Kinder weder männlich noch weiblich seien, sondern „einen eher allgemeinen menschlichen Charakter haben, der noch nicht in Geschlechter unterteilt ist“ – das könnte für Transgender-Kinder ein ganz entspanntes Umfeld bedeuten.

Nähe zu rechtem Gedankengut

Gleichzeitig fallen unter den rund 250 Waldorfschulen in Deutschland mit ihren rund 90.000 Schü­le­r*in­nen immer wieder einige wegen der Nähe zu rechtem Gedankengut, der Reichsbürgerbewegung oder Verschwörungstheorien auf.

Auf die Kritik reagierte die Itzehoer Schule zunächst mit der Löschung des Berichts auf der Homepage, erst danach mit einer Erklärung und einer Entschuldigung: „Mit großem Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass Außenstehende sich von dem Inhalt des St. Michaelis-Festes und dem Festverlauf getroffen fühlen“, schreibt Geschäftsführerin Antje Engel. „Es lag und liegt nicht in unserem Interesse, irgendeine Person oder Gruppe in ihren Gefühlen zu verletzen.“ Eine Entschuldigung gab es auch vom Bundesverband der Waldorfschulen.

Dass der queere Drache nur ein Versehen war, glaubt der Steiner-kritische Anthroposophie-Blog nicht. Denn Insta­gram-Beiträge der Waldorfschule über den Brand der Pappmaché-Figur waren mit dem Hashtag „Diversity“, Vielfalt, markiert. „Sie wissen, was sie tun“, kommentierte der Autor des Blogs.

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