Wagenknecht hat sich durchgesetzt: Harmonie geht anders

Die Fraktions- und Parteivorsitzenden der Linken sind aufeinander losgegangen. Am Ende wurden Bartsch und Wagenknecht wiedergewählt.

Vier Personen diskutieren an einem Tisch hinter einer Glasscheibe

Der Blick durch die Glasscheibe auf die Besprechung der Fraktions- und Parteivorsitzenden Foto: dpa

POTSDAM taz | Und dann gab es doch noch ein Gruppenbild: Am späten Dienstagabend traten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gemeinsam mit den Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger vor die wartenden Pressevertreter*innen. Vier Stunden später als geplant und sichtlich angekratzt nach dem mehrstündigen Ringen um Rederecht und Einfluss in der Fraktion.

Wagenknecht und Bartsch sind als Fraktionsvorsitzende wiedergewählt worden. Und sie werden auch weiterhin unangefochten die Zügel in der Hand halten – einer von zwei Geschäftsordnungsanträgen, der den Parteivorsitzenden mehr Einfluss sichern sollte, wurde zurückgezogen, der andere entschärft. Allerdings haben die Parteivorsitzenden jetzt ein herausgehobenes Rederecht in Plenardebatten. Das ist das gesichtswahrende Kompromisspaket, auf das sich das Führungsquartett der Linken, zuletzt in Einzelgesprächen, einigte.

Harmonie geht jedoch anders. „Ich darf sie ganz herzlich begrüßen“, hob Riexinger an, um sogleich von Wagenknecht in die Schranken gewiesen zu werden: „Bernd, das ist die Pressekonferenz der Fraktion.“ Wagenknecht sagte, sie freue sich, dass sie und Dietmar Bartsch mit gutem Ergebnis wiedergewählt worden seien und sprach sich dafür aus, die vorangegangenen Debatten zu beenden und nun zur Politik zurückzukehren. „Wir haben ein ausgewogenes Personaltableau“, durfte sich dann auch Riexinger äußern und nutzte die Gelegenheit, noch einmal seine Sicht klarzustellen: „Es gab niemals den Versuch, die Fraktionsführung zu demontieren oder einzuhegen.“

Zu Stellvertreterinnen der beiden Fraktionschefs wurden Wagenknechts Vertraute Sevim Dagdelen und Kippings Freundin Caren Lay gewählt. Neuer parlamentarischer Geschäftsführer ist Jan Korte, der als Bartsch-Mann gilt.

Für Bartsch als Fraktionsvorsitzenden stimmten 80 Prozent der Abgeordneten, Wagenknecht erhielt 75 Prozent der Stimmen. Ein kleiner Dämpfer im Vergleich zur Fraktionswahl vor zwei Jahren – Bartsch erhielt damals 91,9 Prozent, Wagenknecht 75 Prozent. Aber ein sehr ordentliches Ergebnis für das Duo Bartsch/Wagenknecht, gemessen an den vorausgegangenen Querelen.

Wagenknechts Ultimatum

Denn am Dienstagvormittag, als die Mehrheit der 65 angereisten Abgeordneten gerade noch am Tagungsort im Potsdamer Kongresshotel eincheckte, eskalierte der Machtkampf in der Linkspartei. Nur wenige Stunden vor Beginn des Treffens verschickte die designierte Fraktionschefin Sahra Wagenknecht einen Brief an alle 69 frisch gewählten Bundestagsabgeordneten. Darin stellte sie den Fraktionsmitgliedern ein Ultimatum: Entweder Wagenknecht würde zu ihren Bedingungen gewählt – oder gar nicht. Der Brief, hieß es aus Fraktionskreisen, sei mit Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch abgesprochen gewesen.

Den beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger warf sie vor, sie demontieren zu wollen und eine offene Kampagne gegen sie zu fahren. Sie sehe keinen Sinn darin, „meine Kraft und meine Gesundheit in permanenten internen Grabenkämpfen mit zwei Parteivorsitzenden zu verschleißen, die offenkundig nicht zu einer fairen Zusammenarbeit bereit sind, wohl aber gute Kontakte zu bestimmten SPD-Kreisen haben, die in mir schon seit längerem ein großes Hindernis für eine angepasste, pflegeleichte Linke sehen“, schrieb Wagenknecht.

Als Beleg führte Wagenknecht zwei Anträge zur Änderung der Geschäftsordnung an, die den Parteivorsitzenden Stimmrecht im Fraktionsvorstand und ein gleichberechtigtes Rederecht im Plenum verschaffen sollen. „Beides liefe letztlich darauf hinaus, dass die Fraktion von den Parteivorsitzenden übernommen wird, während den Fraktionsvorsitzenden nicht viel mehr als der Titel auf ihren Visitenkarten verbliebe.“ Sollten diese Anträge durchkommen, würde sie nicht mehr für den Fraktionsvorsitz zur Verfügung stehen.

Wagenknecht konnte sich durchsetzen. Die beiden Parteivorsitzenden sind weiterhin nur beratende Mitglieder des Fraktionsvorstands, haben nun aber ein „herausgehobenes“ Rederecht. Das bedeutet nicht etwa, dass sie gleichberechtigt für sich in Anspruch nehmen dürfen, in Plenardebatten den Aufschlag für die Linkspartei zu machen. Sie dürfen das aber anmelden und die Fraktion stimmt dann darüber ab. In Zeiten knapper werdender Redezeiten im Bundestag mag das ein Punktsieg sein – allerdings verkämpften sich die Parteioberen praktisch in der Frage, wer als 6. oder 12. reden darf.

Die Wahlen für den stellvertretenden Fraktionsvorsitz spiegeln ein Patt wieder. Die Parteiführung konnte allerdings eine Beauftragte für soziale Bewegungen durchsetzen, die ebenfalls dem Fraktionsvorstand angehört. Für diesen Posten kandidiert die ehemalige Attac-Geschäftsführerin Sabine Leidig, die politisch Kipping nahesteht.

Druck und vergiftete Stimmung

Bei den Fraktionsmitgliedern wollte nach dem Ende des Tauziehens keine richtige Begeisterung aufkommen. „Alles unter dem Druck, dass jemand seine Kandidatur zurückzieht, hat mit freien Wahlen nichts zu tun“, murmelte der ehemalige Parteivorsitzende Klaus Ernst. Andere sprachen von vergifteter Stimmung.

Wagenknecht zufolge seien diese ganzen Debatten völlig überflüssig gewesen. „Wir haben jetzt die verdammte Aufgabe, Politik zu machen.“ Die Frage ist allerdings, welche. Auch an der Auseinandersetzung, ob die Partei einen anderen als ihren offen-für-alle-Kurs in der Flüchtlingspolitik einschlägt, hatte sich ja der Machtkampf entzündet. Sahra Wagenknecht und ihr Mann Oskar Lafontaine sind der Ansicht, die Linke müsse sich korrigieren, um verprellte und an die AfD abgewanderte Wähler wieder zu erreichen.

Gänzlich ausgestanden ist der Kampf noch nicht. Am Mittwoch wählen die Delegierten die Sprecher der Arbeitskreise, die ebenfalls dem Fraktionsvorstand angehören werden. Diese Frage war nicht Teil des Kompromisses. Und es dürfte tatsächlich hart zur Sache gehen, wenn es darum geht, wer etwa künftig für den Arbeitskreis Außenpolitik spricht. Auch über die Außenpolitik und das Verhältnis zu Russland können sich die Genossen trefflich streiten.

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