Werbung für das neue Weltkulturereb: "Berlin sollte seine moderne Architektur mehr betonen"

Der Unesco-Status für sechs Berliner Siedlungen kann helfen, in Deutschland mehr Bewusstsein für die Bauten des 20. Jahrhunderts zu schaffen, sagt Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archivs.

Die Hufeisensiedlung Bild: dpa

Die Auswahl der sechs prämierten Siedlungen orientierte sich vor allem am Erscheinungsbild - die Ensembles sind Musterbeispiele des sozialen Wohnungsbaus, für den es in Berlin zahlreiche weitere Zeugnisse gibt. Im Einzelnen handelt es sich um:

Gartenstadt Falkenberg: Die Siedlung im Stadtteil Bohnsdorf wurde von 1913 bis 1916 von Bruno Taut und Heinrich Tessenow gebaut. Wegen ihrer bunten Häuser wird sie auch "Tuschkastensiedlung" genannt. Sie liegt am weitesten außerhalb und ist weniger dicht gebaut als die anderen Ensembles.

Siedlung Schillerpark: Die 1924 bis 1930 von Brunto Taut errichtete Siedlung war das erste baugenossenschaftliche großstädtische Wohnprojekt Berlins. Architektonisch orientierte sie sich an der Architektur Hollands. Inzwischen zieht es vermehrt junge Familien in die Wohnungen am Rande des Wedding: In Kürze eröffnet ein Kindergarten.

Großsiedlung Britz: Das Hufeisen ist das Wahrzeichen der Bau-Epoche. Bruno Taut und Martin Wagner bauten das Oval und die umliegenden Straßenzüge mit Reihen- und Blockhäusern zwischen 1925 und 1930. Es war die erste deutsche Großsiedlung mit mehr als 1.000 Wohnungen. Sie ist sehr gut erhalten; ein Bewohnerverein hat sich der Pflege des berühmten Viertels verschrieben.

Wohnstadt Carl Legien: Die 1928 bis 1930 errichtete Siedlung ist die kompakteste und am zentralsten gelegene Siedlung. Trotz der bebauten Umgebung in Prenzlauer Berg gelang es Taut, grüne Räume zwischen den U-förmigen Wohnhöfen zu schaffen. Nach umfassenden Sanierungen tragen die Gebäude heute wieder die ursprünglichen Farben. Auch die Freiflächen wurden möglichst originalgetreu rekonstruiert.

Weiße Stadt: Sie entstand Ende der 1920er-Jahre. Otto Rudolf Salvisberg, Bruno Ahrends und Wilhelm Büning schufen kubische weiße Baukörper, die damals weltweit Schlagzeilen machten. Bekannt wurde auch der Torbogen über die Aroser Allee - der mittlerweile allerdings verlassen ist. Auch entlang dem Straßenzug in Reinickendorf haben die meisten Nahversorger geschlossen, der Altersdurchschnitt ist inzwischen merklich gestiegen. Die Sanierungsarbeiten sind noch nicht abgeschlossen.

Großsiedlung Siemenstadt: Die Siemensstadt hatte den Anspruch, von Beginn an eine Architekturausstellung zu sein. Sie ist auf keinen Bautyp festgelegt und spiegelt damit die Vielzahl der Baumeister wider - unter anderem wirkte Walter Gropius mit. Die Siemensstadt gab einen Vorgeschmack auf den internationalen modernen Städtebau; sie ist aufgelockert und durchgrünt, wie es dem Leitbild nach 1945 entsprach. PEZ

taz: Frau Jaeggi, die sechs Berliner Reformsiedlungen haben es geschafft, sie genießen seit Montagabend den Schutz der Unesco. Freuen Sie sich?

Annemarie Jaeggi: Ich freue mich sehr! Es ist ein langer Weg bis zur Anerkennung des Welterbe-Status, und mit den sechs Siedlungen der 1920er-Jahre kann das Bewusstsein für die Moderne gestärkt werden. Sie ergänzen die modernen Welterbestätten des Bauhauses in Weimar und Dessau, die Völklinger Hütte und die Zeche Zollverein.

Sie haben im Bauhaus-Archiv im Herbst die Reformsiedlungen vorgestellt. Was haben die Ensembles eigentlich mit dem Bauhaus zu tun?

Die Architekten Bruno Taut und Walter Gropius kannten sich schon vor dem Ersten Weltkrieg. Sie waren beide Mitglieder der Architektenvereinigung "Ring". Aber mit dem Bauhaus haben die Siedlungen der Moderne streng genommen nicht viel zu tun. Zwar hat Gropius an der Siemensstadt mitgewirkt - aber als Privatarchitekt.

Warum dann die Schau im Bauhaus-Archiv?

Die überwiegende Zahl unserer Besucher kommt aus dem Ausland. Wir beobachten, dass seit einigen Jahren auch immer mehr ausländische Schulklassen in unser Museum kommen. Das hat - ohne Werbung - enorm zugenommen. Außerhalb Deutschlands haben die Phänomene der Moderne einen ganz anderen Stellenwert. Wir fanden also, das reiche Erbe des sozialen Wohnungsbaus soll gezeigt werden - und wussten, dass wir bei unserem Publikum auf Interesse stoßen. Es sind in Berlin ja nicht nur die sechs Siedlungen. Die Stadt ist voll davon: Wir haben einen Gürtel des sozialen Wohnungsbaus mit höchster Qualität.

Für den sich die meisten Einheimischen aber anscheinend wenig interessieren, genauso wie für die Bauhaus-Architekturschule. Woran liegts?

In Deutschland gehört Bauhaus oft nicht zum Lehrplan der Schulen. Das heißt, viele Schüler bekommen davon nichts mit. Ich würde nicht von einer generellen Abkehr sprechen, aber die Verwechslung mit der gleichnamigen Baumarkt-Kette ist erschreckend hoch. Wir erhalten immer wieder fehlgeleitete Post und Anrufe zum Sortiment! Der Name Bauhaus wird mehr damit verbunden als mit der Dessauer Kunstrichtung. Das kann schon befremden; manchmal fühlt man sich nachgerade als Dogmatiker. Dazu kommt, dass viele Bauhaus als Stil sehen - und nicht mehr als das, was es war: eine Avantgarde-Schule, die mit großem Sendungsbewusstsein die Welt modernisieren wollte.

Wie erklärt sich die Auswahl für den Welterbe-Vorschlag, in der etwa die berühmte Onkel-Tom-Siedlung in Zehlendorf nicht berücksichtigt ist?

Die Siedlung Schillerpark Bild: AP

Man muss bedenken, dass die Auswahl bereits vor zehn Jahren getroffen wurde. Damals hat man einiges noch anders gesehen als heute, aber man kann einen Antrag nicht nachbessern. Er hätte zurückgezogen und gänzlich neu eingereicht werden müssen - das hätte Berlin um Jahre zurückgeworfen. Bei den Onkel-Tom-Häusern gibt es das Problem, dass durch zahlreiche individuelle Veränderungen kein einheitliches Erscheinungsbild mehr da ist.

Hilft gegen solche Entwicklungen bei den Welterbe-Siedlungen nun der neue Status?

Der Welterbe-Status der Unesco ist in allererster Linie eine moralische Autorität. Er bringt kein Geld - im Gegenteil, die zuständige Regierung verpflichtet sich, Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen eigenständig zu finanzieren und regelmäßig über den Zustand ihrer Welterbestätten zu berichten. Das ist meines Erachtens gerade bei den Siedlungen der 1920er-Jahre ein wichtiger Aspekt, denn hier ist der Veränderungsdruck in den letzten Jahren sehr stark gestiegen.

Was muss jetzt in Berlin passieren?

Die Unesco wird stärker wahrgenommen, als wir denken. Berlin sollte sein Potenzial moderner Architektur und Stadtkultur stärker in den Vordergrund stellen - die Unesco-Siedlungen werden diesen Prozess beflügeln. Es gilt, auf die Qualitäten dieses Erbes aufmerksam zu machen, auch bei den Bewohnern. Touristen fragen bei uns schon seit Jahren nach den Bauten der Moderne und den Siedlungen. Am Bauhaus-Archiv sind wir diesem Interesse mit der Herstellung eines Stadtplans entgegengekommen, in dem insgesamt 79 Bauten der Moderne vorgestellt und verzeichnet sind.

Die Wohnstadt Carl Legien Bild: AP

Es wird neue Angebote für Besucher brauchen. Bisher kommen die ja kaum in die entlegenen Gegenden, in denen die Siedlungen stehen.

Absolut. Ein touristisches Konzept ist vonnöten: Touren, Spaziergänge und Werbematerial in verschiedenen Sprachen und so weiter. Die Eigentümer der Siedlungen haben bereits eine Initiativgruppe gebildet und wollen vor Ort Informationszentren einrichten. In der Wohnstadt Carl Legien und der Hufeisensiedlung gibt es schon Musterwohnungen, die man besichtigen kann. Die Unterstützer des Unesco-Antrags stehen in den Startlöchern. Wir wollen klarmachen: Die Architekten von damals, die haben die Stadttypen der Moderne geschaffen.

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