Zukunft des Reisens: Ein Tag als Dreiradkapitänin

Ein dreirädriges Lastenrad, das gleichzeitig Elektroboot und Mini-Campervan ist. Kann das gut gehen? Unsere Autorin hat es ausprobiert.

Ein Mann fährt mit seinem Betriton übers Wasser

Macht keinen Dreck, aber Ebbe auf dem Konto: das Betriton Foto: Matiss Markovskis

Es gibt Erfindungen, die alles wollen, dann aber doch eine große Enttäuschung sind. Urinellas zum Beispiel. Mit der trichterförmigen Urinierhilfe aus Silikon oder Pappe sollen auch Frauen im Stehen an den erstbesten Bauzaun pinkeln können. Für mehr Gleichberechtigung beim Urinieren soll das sorgen – schöne Idee. Aber am Ende hat man ein vollgepinkeltes Gummiding in der Hand und fragt sich, warum man sich nicht doch einfach hinter einen Busch gehockt hat. Die E-Zigarette ist auch so eine Erfindung. Sie soll genau so viel Spaß machen wie Rauchen, ohne ungesund zu sein. So richtig stimmt beides nicht.

Und jetzt das: Ein Lastenfahrrad, das gleichzeitig Campingmobil und Elektroboot ist. Der bessere Campingvan quasi, ohne Abgase, ohne Staus, ohne Parkplatzsuche, weil man auch auf dem Wasser ankern kann, wenn man möchte. Als erprobte Campingvanurlauberin kenne ich das schlechte Gewissen, wenn die dunkelgrauen Abgase beim dritten Versuch, den alten Mercedesbus zu starten, über den Parkplatz ziehen. Das Betriton macht keinen Dreck.

Lässt sich damit also der Campingurlaub revolutionieren? Oder ist das Dreirad dann doch nur die Urinella unter den Fortbewegungsmitteln?

Aigars Lauzis ist mit zwei Kollegen angereist, um seine Erfindung am Berliner Wannsee zu präsentieren. Der Lette hat seinen Beruf als Landschaftsarchitekt aufgegeben, um das schwimmende Lastenrad zu entwickeln. In seinem Job sei es letztendlich immer darum gegangen, noch mehr Flächen mit Beton zuzuschütten. Darauf habe er keine Lust mehr gehabt, Fahrradfahren sei hingegen eine Leidenschaft.

Über das Trittbrett klettere ich auf den Sitz, wie eine Schnecke mit ihrem Haus setze ich mich auf der Straße in Bewegung. Der Elektroantrieb nimmt mir die Anstrengung ab, aber es wackelt, weil die Pedale unterhalb des Lenkers montiert sind. Mit jedem Tritt zieht es den Lenker ein Stück nach links oder rechts. Das Betriton könne nicht umkippen, sagt Lauzis mehrfach. Ich bin mir da nicht so sicher.

Im Stehen oben rausgucken, wie bei einem Cabrio

Dann tauschen wir, Lauzis will mir zeigen, wie schnell sein Dreirad wirklich fahren kann. Mit 25 Kilometern pro Stunde brettert er die Straße entlang, und ich fühle mich in der Kabine hinten erstaunlich sicher. Weil das Dach zurückgeklappt ist, kann ich im Stehen oben rausgucken, wie bei einem Cabrio. Ich stelle mir vor, wie cool es sein muss, mit diesem Gefährt in den Kindergarten gebracht zu werden, alle wären neidisch. Dann fällt mir ein, dass ich nie wieder Kindergartenkind sein werde.

Aber Camperin schon. Lauzis rollt eine auf den Innenraum der Kabine zugeschnittene Matte aus, etwas dicker als eine Yogamatte. In der 2,10 Meter langen Kabine kann ich mich problemlos ausstrecken. Zu zweit wird es in der Breite aber eng. Man muss die Person schon sehr mögen, mit der man sich hier schlafen legt.

Zwei Klicks und plötzlich sitzt man im Boot

Der eigentliche Clou des Gefährts ist, dass man es zum E-Boot umfunktionieren kann. Wenn einen die Mücken an Land zerstechen, kann man aufs Wasser flüchten. Aigars Lauzis schiebt das Rad so weit ins Wasser, bis es schwimmt. Er und seine Kollegen klappen die Räder hoch, mit zwei Klicks montieren sie stabilisierende Kissen unter den Rückrädern. Ich wate ein paar Schritte ins Wasser, klettere in die Kabine und sitze plötzlich in einem Boot.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Auch ohne Bootsführerschein darf ich das Betriton raus auf den See lenken. Das kleine Lenkrad erinnert mich an Autoscooter fahren. Ähnlich wendig wie die bunten Autos auf dem Rummel ist das Fahrzeug auf dem Wasser. Ich drehe eine Kurve nach links, nach rechts, beschleunige. Die acht Kilometer pro Stunde kommen mir vor wie 80. 25 Kilometer könnte ich auf dem Wasser mit einer Akkuladung zurücklegen, an Land wären es bis zu 150 Kilometer.

Nach Südfrankreich komme ich mit diesem Camper also kaum in zwei Wochen Sommerferien, überschlage ich grob. Die Vorstellung, bald mit vielen anderen Dreirädern auf einem See zu dümpeln, wird für mich aber vor allem durch etwas anderes unrealistisch: Knapp 20.000 Euro netto kostet das Betriton. Mit Steuern sogar rund 24.000 Euro. Das sind fünf Langweilerlastenräder oder ähnlich viele gebrauchte Campervans. Ein kleines Motorboot gibt es gebraucht auch für wenige tausend Euro. Müssen diese Funktionen wirklich kombiniert werden?

Vielfältigkeit versus Komfort

Bei 3-in-1-Artikeln wurde ich schon immer skeptisch. Der Göffel zum Beispiel vereint Löffel, Gabel und Messer in einem Besteckteil. Durch das Wenden von Gabel zu Löffel landet das Essen allerdings nicht nur im Mund, sondern auch an den Fingern. Und mit der gezackten Gabelkante schneidet es sich nicht besonders gut. Mit dem Betriton ist das ähnlich: Durch seine Vielfältigkeit büßt es an Komfort ein.

Trotzdem haben über 170 Leute das amphibische Lastenrad vorbestellt, erzählt Aigars Lauzis. Ein paar fahrradbegeisterte Campingfreaks mit Geld scheint es also zu geben. In Arbon am Schweizer Ufer des Bodensees kann man das Betriton bald auch für ein paar Tage mieten. Dort haben Lauzis und seine Kollegen gerade die ersten Räder abgeliefert. Ich werde mit dem Van vorbei am Bodensee und weiter Richtung Süden fahren.

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