Zum Tod von Tilman Zülch: „Auf keinem Auge blind“

Tilman Zülch, Gründer und langjähriger Leiter der Gesellschaft für bedrohte Völker, stirbt im Alter von 83 Jahren. Er war profiliert und umstritten.

Tilman Zülch, Gründer der Gesellschaft für bedrohte Völker 2014

Der Gründer der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch, starb am Freitag Foto: Martin Schutt/dpa

GÖTTINGEN taz | Ein „Visionär und unbeugsamer Anwalt für Verfolgte in aller Welt“ sei er gewesen, würdigt die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ihren Gründer und langjährigen Generalsekretär. Tilman Zülch war einer der profiliertesten, aber auch umstrittensten Menschenrechtler. Mit einem Kommilitonen hatte er 1968 die „Aktion Biafra-Hilfe“ gegründet, aus der zwei Jahre später die GfbV hervorging. Sie setzt sich bis heute für Indigene in Amerika und Asien, für Kurden und Jesiden im Nahen Osten und für Volksgruppen ein, „von denen keiner spricht“ – so der Titel eines der von Zülch herausgegebenen Bücher.

Mit spektakulären Aktionen schaffte es die GfbV häufig in die Schlagzeilen. 1988 deckte sie die Mitverantwortung deutscher Firmen beim Giftgaseinsatz gegen Kurden im Irak auf. 1992, im sogenannten Kolumbus-Jahr, überquerten zwei GfbV-Aktivisten den Atlantik mit einem Bambusfloß. Und 1995, vor der Hinrichtung des nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa im Ölfördergebiet, demonstrierte die GfbV vor der Shell-Zentrale in Hamburg mit Galgen-Attrappen.

Dass Zülch und seine Initiative sich auch für Miskito-Indianer im sandinistischen Nicaragua engagierten, die mit US-finanzierten „Contras“ die sandinistische Befreiungsfront FSLN bekämpften oder im Jugoslawien-Konflikt Bombenangriffe zugunsten der bosnischen Muslime verlangten, rief linke Demonstranten auf den Plan. Zülchs Antwort: „Ihr seid auf einem Auge blind.“

Mehr als ein Dutzend Auszeichnungen

1980 war Zülch in Göttingen Mitgründer der Grünen, ein Jahr später trat er wegen des vermeintlichen Linkskurses der Partei wieder aus. Von 1985 bis 1989 wurde er mit einem DDR-Einreiseverbot belegt. Seine Stasi-Akte betrachtete er als „Anerkennung“.

Intern beklagten Mitarbeiter bisweilen ein autoritäres Regiment des Generalsekretärs. 2012 eskalierte ein Streit über angeblich nicht belegte Zuweisungen und zu Unrecht bezogene Gehälter an ihn in Strafanzeigen und dem Ausschluss von zwei Vorständen. „Ein Drittel unserer Arbeitszeit verbringen wir gerade mit einer Art internem Bürgerkrieg“, sagte Zülch damals. Über Monate kommunizierten er und seine Widersacher nur über Anwälte.

Für sein Engagement erhielt Zülch mehr als ein Dutzend Auszeichnungen, darunter den Göttinger Friedenspreis, den Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma und das Bundesverdienstkreuz. Tilman Zülch wurde 83 Jahre alt.

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