die wahrheit: Die Zitrone des Nordens

Wendelin von Weizenborn hatte es nicht leicht im Leben. Seine dem mittleren hessischen Landadel entstammenden Eltern litten neben akutem Stabreimzwang...

2002 treten Luciano Pavarotti und Carol Vaness in Wendelin von Weizenborns Lieblingsoper "Tosca" auf. Bild: ap

...unter anderem an schwerer Metaphoritis. Kein Gedanke war zu klein, als dass er nicht in einen bildhaften Ausdruck hätte gegossen werden müssen. Für den jungen Wendelin hieß sein Geburtsort nicht etwa profan Wiesbaden, sondern "Nizza des Nordens".

Ähnlich etepetete ging es weiter: Wurden am Tische der Weizenborns Trüffel serviert, rühmte sie der Alte je nach Herkunft als das "Platin der Piemontesen" oder das "schwarze Gold Umbriens", Steinpilze hingegen wurden als das "Fleisch des kleinen Mannes" abgetan und kamen niemals auf den Weizenbornschen Teller. Bevorzugte und standesgemäße Speise war Hummer, der "Kardinal der Meere", begleitet von einem schönen Gläschen Wodka, den Weizenborn senior stets die "Träne Gottes" zu nennen pflegte.

Kein Wunder also, dass auch der zum Manne gereifte Wendelin rettungslos in der preziösen Ausdrucksweise seines Vaters gefangen war. Kaum tauchten die ersten Zugvögel am Himmel auf, erging er sich in Betrachtungen über die "Nomaden der Lüfte", die auf ihrem Weg von St. Petersburg, dem "Venedig des Nordens", in südlichere Gefilde Station im Hessischen machten. Oder kamen sie gar aus Kaliningrad, dem "Hongkong des Ostens"? Egal, sie waren vermutlich auf dem Weg ins jemenitische Schibam, dem "Manhattan der Wüste", wo sie unter Dattelpalmen, jenen "Königinnen der Oasen" gemütlich überwintern konnten.

Die Berufswahl fiel Wendelin von Weizenborn genauso schwer wie eine schlichte Ausdrucksweise. Als Lkw-Fahrer wäre er zwar ein "Kapitän der Landstraße", hätte vermutlich aber gegen allzu geringes Entgelt die Strecke zwischen Trier, dem "Rom des Nordens", und Aschaffenburg, dem "bayerischen Nizza", zu bedienen. Als Fluglotse hingegen wäre er ein "Dirigent der Lüfte", der die Flugzeuge nach seinem Takt starten und landen lassen konnte.

Oder sollte er, der schon als Dreijähriger die Liebe zur Oper für sich entdeckt hatte, nicht lieber gleich zum richtigen Dirigenten sich schulen lassen? Mit träumerischem Blick imaginierte Wendelin von Weizenborn, wie er an der Mailänder Scala seine Lieblingsoper "Tosca" dirigierte, jenen "Tsunami der Emotion", den er auch in seinem Innersten spürte. Andererseits - als Herzchirurg könnte er zum "hessischen Barnard" werden, Organe transplantieren oder Herzklappen, diese "Ventile des Lebens", einstellen, nachziehen oder auswechseln.

Ja, es war nicht einfach, das Familienerbe derer von Weizenborn zu tragen, noch schwieriger, es weiterzutragen. Im Alter von 28 Jahren verliebte er sich in Malinka, eine schnittige Ungarin, und es entspann sich eine Beziehung, die auf Dauer für Wendelin allerdings untragbar war. Malinka war zwar eine begeisterte Köchin, doch verwendete sie, wenn sie die "Zitrone des Nordens", Kartoffeln, zubereitete, ein Übermaß an Paprika, jenem "roten Gold Ungarns", das Wendelin zwar gar nicht ungern aß, aber doch nicht alle Tage.

Und sie bevorzugte Kleidung aus Baumwolle, dem "weißen Gold der Steppe", was nach den Worten von Mutter Weizenborn nun wirklich ein Ding der Unmöglichkeit war. Eine Frau mit derart prekärem Geschmack konnte und wollte Wendelin nicht in den Hafen der Ehe führen, und so kam es, wie es kommen musste - nach dreimonatigem Techtelmechtel rangierte er Malinka aufs Abstellgleis der geplatzten Hoffnungen.

Enttäuscht und verbittert wandte sich Wendelin der unverdorbenen Tierwelt zu. Die Tierdokumentationen des Fernsehens boten dazu reichlich Gelegenheit. In der Beobachtung der unverstellten Kreatur fand er schließlich jene innere Ruhe, nach der er so lange vergeblich gesucht hatte. Er war beeindruckt vom Alligator, dem unnahbaren "Monster der Sümpfe", fasziniert vom Thunfisch, dem "Ferrari der Meere", betrachtete vergnügt, wie die kleinen Eisbären auf dem Eisberg, diesem "Vagabunden der Arktis", herumtollten.

Bezaubert von all den bunten Schmetterlingen, jenen "Edelsteinen der Lüfte" und schließlich erheitert vom Gnu, dem "Clown der Savanne", griff er eines Tages gar zur Bierdose, dem "Kelch des kleinen Mannes", und trank so lange, bis er kaum mehr gehen konnte. Dann wankte er zum Markt und verlangte mit irrem Blick nach dem "weißen Gold aus Schifferstadt".

Beinahe wäre er an dem Rettich erstickt, doch dann rettete ihn eine Stellenanzeige, auf die sein Auge zufällig fiel und die ihn die Reste des scharfen Gemüses aushusten ließ. Da suchte ein Medienunternehmen einen Wirtschaftsjournalisten, ein "sprachliches Juwel an Sachlichkeit". Und da wusste Wendelin von Weizenborn, er hatte endlich seinen Beruf und seine Berufung gefunden. Er würde als Metaphernkönig des Wirtschaftsjournalismus alt und glücklich werden.

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kari

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