die wahrheit: Semiprofessionelle Logorrhö

"Seit wann hast du wieder angefangen?", stutzt Matilde, als wir auf den Balkon flüchten, wo Sylvia gerade eine Rauchsäule in den Abendhimmel bläst. Die blickt in den Aschenbecher, ......

... in dem sich vier Kippen tummeln. "Seit zwanzig Minuten", sagt sie und versenkt den nächsten Stummel. "Und was macht ihr in der Raucherzone?" Sie sieht uns fragend an, bevor sie mit einem charmanten Lächeln vom Anzug links neben sich die nächste Zigarette schnorrt. "Drinnen wars uns zu …", wir zögern kurz: "… medizinisch!"

Sylvia nickt. "Meint ihr die eindrückliche Beschreibung der Darmspiegelung? Oder die Geschichte von der Verödung der Hämorrhoiden kurz vorm Eis mit heißen Himbeeren?" Sie zwinkert dem Herrn neben sich zu, als er ihr auch noch ungefragt Feuer gibt. "Eigentlich", würgt Matilde, "hat es mir schon gereicht, als bei den Austern die Fachsimpelei über Homöopathie losging. Welche Schnodderlänge zu welchem Medikament passt." Sylvia nickt wieder und inhaliert. Tief. "Dazu noch die Überlegungen, welche Farbe der Auswurf bei Husten haben darf, um noch naturheilkundlich behandelt zu werden. Durchsichtig, zartgelb oder grünlich mit Blutklumpen. Und ab wann nur noch eine Lungentransplantation hilft", ergänze ich. "Auch eine?", fragt der nette Anzug und reicht uns die geöffnete Zigarettenschachtel. "Ja, danke", sagen wir unisono.

Durch die angelehnte Balkontür wehen Gesprächsfetzen zu uns rüber: "Ja, genau … hier hinten, an dem Wirbel … nein, etwas weiter links ... also wenn Sie da noch ein Stück tiefer …" Sylvia kneift die Augen zusammen und bläst Drachendampf aus ihren Nüstern, während sie beobachtet, wie im Wohnzimmer Hände fachkundig fremde Schultern abtasten. "Dass Ärzte nie abschalten können, noch nicht mal auf Partys", stöhne ich. "Arzt? Wie kommst du darauf?", fragt Sylvia bitter, "wobei: Sprechstunde könnte hinkommen." Sie funkelt ins Wohnzimmer, wo Damen an Lippen hängen, die eindrücklich beschreiben, wie schmerzhaft ein Bandscheibenvorfall ist.

"Was macht eigentlich dein Taxifahrer von letzter Woche? Wolltest du den heute nicht mitbringen?", frage ich Sylvia. "Der ist gestorben", antwortet sie. "WAAAS?", rufen wir entsetzt. "Ja, an hypochondrischer Logorrhö. Unheilbar." Doch bevor wir nachfragen können, öffnet sich die Balkontür. "Kommst du, Schatz?" Der redselige Medizinmann schaut Sylvia an. Wir auch. Irritiert. "Um eins muss ich die Taxe übernehmen. Dann hätten wir noch anderthalb Stunden." Er grinst anzüglich. "Nee, lass mal", sagt Sylvia. Wir schweigen betreten. Er zögert. Er geht.

Sylvia blickt ihm hinterher: "Das war er außerdem: Taxi-Kai von letzter Woche." Matilde bekommt einen Hustenanfall. "Wie, der war gar kein Arzt?", röchelt sie. "Nö, ich sagte doch: Hypochonder mit Sprechdurchfall. Und für mich jetzt gestorben." Mit Augenaufschlag wendet sie sich an den netten Zigarettenspender: "Und was machen Sie so?" Er lächelt. "Ich bin Lungenfacharzt. Aber auf Partys überlasse ich Fachgespräche lieber den freiberuflichen Kollegen."

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kari

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