die wahrheit: Asket mit Monokel

Wie ein Türsteher rechter Gedanken wirkt Christian Kracht wahrlich nicht, denn deren vierschrötige Körperlichkeit könnte der noch immer ephebenhaften Erscheinung...

Es geht Christian Kracht nicht um koloniale Stereotype, sondern um Kokosnüsse, wie er betont. Bild: Peter Weiss/akg

...des Schriftstellers kaum fremder sein: Ein von tiefem Ernst umflorter Geistesmensch wie du und ich entsteigt der Sänfte, die, von acht samtfüßigen Malaien getragen, alsbald wieder geräuschlos im traumlosen Dunkel der tropischen Nacht verschwindet.

Höflich lüpft der dezidierteste und demonstrativste Kosmopolit unter den deutschsprachigen Schriftstellern den Tropenhelm, verbeugt sich kratzfüßelnd und geleitet den Besucher höchstselbst in die rauchverhangenen Katakomben einer traditionsreichen Opiumhöhle, die untertags auch als Botschaft der "Schweizer Sowjetrepublik (SSR)" fungiert, als deren Kulturattaché Kracht sich jüngst eingesetzt hat. Dort legen wir beide die Monokel und die bislang lässig unter die Achsel geklemmten ledernen Gerten ab, während ich mich als Herausgeber eines elitären, aber politisch unverfänglichen Magazins für Sphärenklang und angewandte Dekadenz vorstelle, das in einer Auflage von lediglich fünf Exemplaren, dafür aber in feinster Bütte erscheine.

Zu den Vorwürfen, in seinem neuen Roman "Imperium" rassistisches Gedankengut zu verbreiten, mag Kracht sich aber auch mir gegenüber nicht äußern. Mit stillem Lächeln merkt er lediglich an, dass es in dem Buch hauptsächlich um Kokosnüsse gehe, und vertieft sich sogleich wieder in einen scheinbar absichtslos hingeraunten Monolog, der allerlei Wissenwertes zur Welteislehre, einige originelle Cocktailrezepte von Aleister Crowley sowie eine kritische Würdigung der melanesischen Cargo-Kulte enthält und demnächst, zu einem Essay verdichtet, in einem möglichst obskuren Verlag erscheinen soll.

Ein stattlicher Sikh mit weißem Bart bringt Naschwerk; ich schiebe mir zwei, drei Rumkugeln in den Mund, während der asketische Schriftsteller mit knapper Geste ablehnt. Ich mag Rumkugeln sehr, aber diese schmecken nach essigsaurer Erde. Feinstes Rohopium, bescheinigt der Autor, und da ahne ich, dass ich mich mit meinen investigativen Nachforschungen verflucht werde beeilen müssen. Zuvor genehmige ich mir aber noch eine Rumkugel, während Kracht behauptet, in die argentinische Politik einsteigen zu wollen, um den Falklandkrieg neu zu entfachen. Diesen Bären hat er neulich schon dem Literaturkritiker Denis Scheck aufgebunden, worauf dieser vor Schreck für eine Sekunde zu schwäbeln vergaß.

Krieg, verlange ich streng zu wissen, ist das nicht irgendwie verboten, aber Kracht hat bereits das nächste Thema angeschnitten und erzählt von einem Bungalow, den er in der Kolonie "Nueva Germania" im Dschungel Paraguays erworben haben will, ebendort, wo sich Josef Mengele zwei Jahre versteckt gehalten haben soll. Mit dieser Geschichte hat Kracht aber schon im russischen Fernsehen für Heiterkeit und Hüsteln gesorgt.

"Ja, wassennun: Fascho oder nich?", bricht es aus mir heraus, denn die Rumkugeln beginnen ihre Wirkung zu tun, doch der Autor traktiert mich mit einem quälend langen Referat über eine Begonienart, die dem verblichenen Geliebten Führer als "Kimjongilia" gewidmet wurde, aber kaum dass ich ihn nach seinem Verhältnis zu dessen Unrechtsstaat befragen will, ist der quecksilbrige Geist Krachts schon bei Elisabeth Nietzsche angelangt, flattert weiter zum Thelema-Orden und besteigt gar den Pik Lenin. Und während Kracht freihändig und nicht ohne Eleganz auf den glitschigen Stämmen der einschlägigen Obskurantismen herumbalanciert, die unablässig im Strom seiner Gedanken Richtung Veröffentlichung geflözt werden, wird mir immer schwummriger.

Die Opiumhöhle indes wird immer belebter. Zahlreiche Bekannte des Autors werden an den Tisch gerufen oder machen ihrerseits ihre Aufwartung. "Dr. Livingstone, I presume", spricht Kracht einen hageren Engländer an, während ein blasierter Herr Des Esseintes ob dessen zupackender Hemdsärmeligkeit das Näschen kraus zieht. Aber auch eine gewisse Madame Blavatsky oder ein distinguiert wirkender Jüngling namens Humphrey van Weyden, der dem Autor wie aus dem Gesicht geschnitten scheint, werden in bemüht geistreiche Konversationen verwickelt, während Kapitän Haddock mit Corto Maltese um einen wertvollen Arumbaya-Fetisch tarockt. Hitler dagegen ist nirgendwo zu entdecken.

Als ich wieder zu mir komme, ist mir rechtschaffen übel. Zu viele Rumkugeln, zu viele Adjektive. Christian Kracht ist verschwunden. Wahrscheinlich gibt es ihn gar nicht.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.