Debatte 75 Jahre VW: Das Multikulti-Auto

Wenn das der Führer wüsste: Aus dem Nazi-Käfer wurde ein Wagen für Hippies, Mexikaner und verzweifelte amerikanische Hausfrauen.

Nazi-Auto Käfer mit Obernazi Hitler auf der Rückbank, 1936. Bild: dpa

Vor 75 Jahren, am 26. Mai 1938, wurde der Grundstein für das Wolfsburger Volkswagenwerk gelegt, am 28. Mai 1938 das Unternehmen gegründet. Die heutige Volkswagen-Führung verzichtet aus nachvollziehbaren Gründen auf Jubelfeiern – die Anfänge von VW sind nicht gerade geeignet, das Markenimage zu pflegen.

Der Käfer, das erste VW-Auto, war bekanntlich ein wichtiger Teil der Volksgemeinschaftsideologie der Nazis. Die Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk während des Zweiten Weltkriegs litten unter schlechten Bedingungen; VW-Geschäftsführer und Käfer-Konstrukteur Ferdinand Porsche saß nach dem Krieg zwischenzeitlich in französischer Haft. Volkswagen selbst beauftragte 1996 den Historiker Hans Mommsen mit einer Untersuchung der Nazi-Geschichte des Unternehmens.

Angesichts dessen ist es geradezu ironisch, dass der Käfer nach dem Krieg in der ganzen Welt zu einer Ikone werden konnte und dass an der Geschichte des Käfers weniger Deutsche beteiligt waren, als man annehmen könnte. Man kann den Käfer sogar als Multikulti-Auto bezeichnen – was dem Führer sicherlich einige schlaflose Nächte bereiten würde.

Bis 2003 wurden weltweit mehr als 21 Millionen Käfer verkauft, hinzu kommt die Folgeversion New Beetle, die 1998 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Obwohl das Auto – ein einfacher, gut designter und verlässlicher Wagen – überall dasselbe war, hatte es in Ländern wie Frankreich, Mexiko, Italien oder Brasilien unterschiedliche Namen: Coccinelle, Vocho, Maggiolino oder Fusca. Je nach Region wurde der Käfer mit unterschiedlichen kulturellen Bedeutungen aufgeladen.

Erfolgreich in Suburbia

In den USA, einem der größten Absatzmärkte, galt er aufgrund seines runden Designs als niedlich. Der Käfer wurde zum Auto von Ehefrauen in den reichen Vororten. Amerikanische Männer fuhren dagegen große amerikanische Wagen mit V8-Motoren: Chrysler, GM oder Ford. Die drei großen US-Hersteller sahen den kleinen Käfer daher niemals als einen ernsthaften Konkurrenten. Die Rolle Westdeutschlands als Alliiertem während des Kalten Krieges trug ihren Teil zum positiven Image von VW in den USA bei, die Assoziationen an die Nazi-Vergangenheit verschwanden.

ist Wirtschaftsredakteur der Tageszeitung Svenska Dagbladet in Stockholm und derzeit im Journalistenaustausch in der taz-Redaktion. 2012 erhielt er den schwedischen Preis „Guldspaden“ für investigativen Journalismus.

Auch in einem Land wie Schweden, das vom Zweiten Weltkrieg verschont blieb, war der Käfer sehr populär: Während mehrerer Jahre in den Fünfzigern war es das am meisten verkaufte Auto. Der erste Wagen von Olof Palme, dem späteren schwedischen Regierungschef, war in den fünfziger Jahren ein blauer Käfer.

In den größten westeuropäischen Ländern war es für den Käfer schwieriger, Marktanteile zu gewinnen. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg war noch frisch; insbesondere in Ländern mit einer großen einheimischen Pkw-Produktion wie Großbritannien war man in den fünfziger und sechziger Jahren zögerlich, sich den Käfer zuzulegen.

Das Volkswagen-Management zog für die Vermarktung daraus die Lehre, die deutsche Herkunft des Käfers bei der globalen Vermarktung nicht in den Vordergrund zu stellen, sodass der Käfer in den siebziger und achtziger Jahren sogar als eine Art Hippie-Auto gelten konnte.

Ein Wagen fürs Volk

In Westdeutschland wurde der Käfer dagegen zum Symbol für das Wirtschaftswunder und die Ära der Massenmobilität, die in den fünfziger und sechziger Jahren begann – und in gewisser Hinsicht Hitlers Absicht vollzog, einen Wagen für das Volk bauen zu lassen.

Ein wesentlicher Faktor für den globalen Erfolg waren Produktionsstätten in den jeweiligen Ländern. Dadurch wurde VW nahezu automatisch zum Teil der Landeskultur. Das beste Beispiel dafür ist Mexiko, wo der Käfer noch bis 2003 hergestellt wurde. Der Vochito wurde fast ebenso zum Nationalsymbol Mexikos wie der Käfer zu dem Westdeutschlands.

Mit den Buren in Südafrika

Dennoch ist der Käfer natürlich keine reine Multikulti-Erfolgsgeschichte. In Südafrika etwa hatte VW trotz der Apartheid ein Werk. Die enge Verbindung zwischen VW-Management und dem Apartheidregime stand im Kreuzfeuer der Kritik vieler Aktivisten. Auch in Brasilien gab es eine Zusammenarbeit zwischen Volkswagen und dem Militärregime, um die Arbeiter im dortigen Werk unter Kontrolle zu halten.

Das Auto selbst war, allen Mythen zum Trotz, kein rein deutsches Produkt. Einer der größten Inspiratoren für Hitler und Porsche war Amerikaner – und ebenfalls glühender Antisemit: Henry Ford, dessen kostensparende Massenfertigung von Autos Hitler beeindruckte. Ford erhielt 1938 den höchsten Nazi-Orden für Ausländer.

Der Prototyp des Käfers war von tschechischem Design inspiriert und von Zeichnungen, die in der französischen Autopresse veröffentlicht worden waren. Die Wolfsburger Fabrik wurde zu großen Teilen von italienischen Bauarbeitern errichtet. Während der Zweiten Weltkriegs wurde die militärische Version des Käfers, der Kübelwagen, von Zwangsarbeitern aus dem von den Nazis besetzten Europa gebaut.

Nach Kriegsende 1945 sorgte ein 29-jähriger britischer Major, Ivan Hirst, dafür, dass die Produktion in Wolfsburg wieder aufgenommen wurde. Und schon in den sechziger Jahren zogen erneut italienische Arbeiter nach Wolfsburg. Sie mussten zunächst unter erbärmlichen Bedingungen in Barackensiedlungen leben.

„Grenzen- und klassenüberschreitend“

Endgültig zu einem globalisierten Wagen wurde der Käfer 1998 mit der Präsentation des New Beetle: Das Design war in Kalifornien entworfen worden, die Entwicklung erfolgte in Wolfsburg, gebaut wurde in Mexiko. Der New Beetle gilt vielen Amerikanern heute als amerikanisches Auto.

Der als Nazi-Auto geplante Käfer wurde zum Welterfolg. VW wäre gescheitert, hätte der Konzern nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin Teile der NS-Ideologie behalten. Die multikulturelle Herangehensweise, so wenig bewusst sie den VW-Verantwortlichen mitunter gewesen sein mag, hat dazu beigetragen, ein Auto zu schaffen, dass heute Grenzen und soziale Klassen überschreitet. Hitler wäre überrascht.

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