Regierungsbildung in den Niederlanden: Experiment mit vielen Fragezeichen

Die niederländische Rechtskoalition will die Asylpolitik verschärfen und neue AKWs bauen. Vage bleiben Ideen für ein „extraparlamentarisches“ Kabinett.

Geert Wilders, Dilan Yesilgoz, Caroline van der Plas uund Pieter Omtzigst treten von einem Posdest ab

Vorstellung des Grundsatzprogramms: Geert Wilders (PVV), Dilan Yeşilgöz-Zegerius(VVD), Caroline van der Plas (BBB) und Pieter Omtzigt (NSC) Foto: Koen van Weel/ANP/imago

„Sehr vieles wird sich ändern.“ Mit diesen Worten trat Geert Wilders Donnerstag vor die Kameras, um den Koalitionsvertrag der künftigen Regierung zu präsentieren – der umstrittensten der niederländischen Geschichte. Was vor allem an Wilders’ rechtsextremer PVV (Partij voor de Vrijheid – Partei für die Freiheit) liegt, die bei den Parlamentswahlen im November einen Erdrutschsieg landete. Ihre Juniorpartnerinnen: die liberal-rechte VVD (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie – Volkspartei für Freiheit und Demokratie), die bislang mit Mark Rutte den Premierminister stellte, der sozial-konservative NSC (Nieuw Sociaal Contract – Neuer Sozialvertrag) sowie die BBB (BoerBurgerBeweging – Bauer-Bürger-Bewegung).

Nach monatelangen, turbulent verlaufenen Verhandlungen hatten sich die Unterhändler am Mittwoch auf ein Abkommen verständigt, das Wilders „historisch“ nannte. Mit der Zustimmung der jeweiligen Parlamentsfraktionen ist nun der Weg frei für, so die Tageszeitung Volks­krant, „das rechteste Kabinett jemals“. Was das inhaltlich bedeutet, steht in dem 26-seitigen Grundsatzprogramm, das nach niederländischem Brauch ein Motto trägt: „Hoffnung, Mut, Stolz“. Gleich zu Beginn wird angekündigt, „einen neuen Weg“ einzuschlagen, wobei man den Menschen „Halt und Unterstützung“ bieten werde.

Formulierungen wie diese knüpfen an ein Thema an, das im Wahlkampf eine besonders große Rolle spielte: die Existenzsicherung. Vor allem der NSC will damit den wachsenden Bevölkerungsschichten gerecht werden, die von jahrzehntelanger neoliberaler Politik und mehrfachen Krisen ausgezehrt sind. Auch BBB und PVV stellen sich gerne als deren Anwälte dar.

Eine der ersten Maßnahmen, die die neue Regierung in Angriff nehmen will, betrifft die weithin verhasste Eigenbeteiligung an der Krankenversicherung, die ab 2027 halbiert werden soll. Weiterhin will man die Einkommensteuern senken, die Hilfsprogramme für Verschuldete verbessern und Kitas „für arbeitende Eltern beinahe gratis“ machen. Der Wohnungsnot will man mit jährlich 100.000 neuen Wohnungen zu Leibe rücken.

Einschnitte wurden dagegen beim Be­am­t*in­nen­ap­pa­rat und der Entwicklungshilfe angekündigt. Auch erneuerbare Energien sollen zurückgefahren werden. Stattdessen will die neue Regierung vier neue Atomkraftwerke bauen – ein Plan, für den es auch bereits eine Parlamentsmehrheit gibt. Abstand genommen hat die PVV offenbar von ihrem im Wahlkampf vertretenen Ziel, jegliche Klimagesetze dem Schredder zu übergeben. Allerdings sollen weniger Kohlenstoffemissionen eingespart werden als bisher geplant, und auf niederländischen Autobahnen soll wieder 130 statt 100 Kilometer pro Stunde gefahren werden dürfen.

Im Zentrum des Grundsatzprogramms, das in vielen Details noch konkretisiert werden muss, steht eine Vorgabe mit Superlativen: die strengste Asylpolitik, die es jemals gab, soll eingeführt, die Zuwanderung stark eingeschränkt werden. Von Anfang an war dieses Ziel ein verbindendes Element in den überaus holprigen Koalitionsverhandlungen zwischen den vier Parteien. Ein deutliches Zeichen dafür, dass der rabiate Anti-Zuwanderungs-Standpunkt der PVV bis weit in die Mitte der niederländischen Gesellschaft hinein salonfähig geworden ist.

Während über das mit Spannung erwartete Grundsatzprogramm nun Klarheit herrscht, liegt über einer anderen essenziellen Frage dichter Nebel: Wer wird diese Agenda im Namen der beteiligten Parteien ausführen? Über die Besetzung der Posten der Ministerinnen und Staatssekretäre nämlich muss in den kommenden Tagen und Wochen erst noch verhandelt werden. Deutlich ist bislang nur, dass es um ein sogenanntes „extraparlamentarisches Kabinett“ von Fachleuten gehen soll.

Der rabiate Anti-Zuwanderungs-Standpunkt der PVV ist bis weit in die Mitte der niederländischen Gesellschaft hinein salonfähig geworden

NSC-Chef Pieter Omtzigt hatte diese Formel bereits im Wahlkampf vorgeschlagen, um die Stellung des Parlaments gegenüber der Regierung zu verstärken. Im Lauf der Koalitionsgespräche entschied man sich dafür nicht zuletzt, weil der zweifelnden Basis von NSC und VVD eine Zusammenarbeit mit der PVV schmackhaft gemacht wird, wenn deren Protagonisten nicht Teil der Regierung sind, sondern Volks­ver­tre­te­r*in­nen bleiben werden.

Wie unabhängig die Kabinettsmitglieder künftig agieren werden und wie ihre Beziehung zu den jeweiligen Parteien, die sie nominieren, sein wird, lässt sich erst nach der Vereidigung der Regierung sagen, die voraussichtlich Mitte Juni stattfinden soll. In jedem Fall betritt die niederländische Demokratie mit diesem Modell vollkommenes Neuland. Es ist ein Experiment mit vielen Fragezeichen. Von seinem Funktionieren wird auch die Stabilität der Regierung abhängen. Ein schnelles Scheitern gehört dabei genauso zu den Optionen wie eine Vorbild­funktion für andere euro­päische Länder.

Einzig bei der Position des künftigen Premiers gibt es deutliche Anzeichen für eine Einigung: beste Karten dafür hat der Sozialdemokrat Ronald Plasterk. Niederländische Medien berichteten das in der Nacht zu Donnerstag übereinstimmend, bislang gibt es aber noch keine offizielle Bestätigung. Plasterk war für seine PvdA (Partij van de Arbeid Partei der Arbeit) sowohl Bildungs- als auch Innenminister.

Gänzlich untypisch für einen bekannten PvdA-Politiker ist, dass er eine Kolumne in der rechten Boulevardzeitung De Telegraaf hat. Im Winter leitete er zwischenzeitlich die Koalitionsgespräche. Mit der komplexen internen Chemie der künftigen Rechtsregierung ist er daher bestens vertraut. Wie er sich als Premier bei der Ausführung von deren Agenda macht, wird eine andere Frage.

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