Großprozess gegen Reichsbürger: Tag X für die Prinzengarde

Der Prozess gegen ein Reichsbürgernetzwerk hat begonnen. Die mutmaßlichen Terroristen sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben.

Ein Polizist führt einen Mann mit Handschellen in einen Gerichtssaal (Detailaufnahme)

Einer der neun Angeklagten: Sie sollen den militärischen Arm der terroristischen Reichsbürger gebildet haben Foto: Bernd Weißbrod/reuters

STUTTGART-STAMMHEIM taz | Entgegen den Aufrufen in den einschlägigen Social-Media-Kanälen haben die Unterstützer der mutmaßlich terroristischen Reichsbürger am Montag keine Demonstration organisiert. Es scheinen vor allem Freunde und Verwandte der Angeklagten gekommen zu sein. Sie stehen seit dem frühen Morgen an, um in den Hochsicherheitsgerichtsbau zu kommen. Alle, auch die Presse, mussten sich einer intensiven Sicherheitskontrolle unterziehen. Handys, Gürtel und Uhren dürfen nicht mit in den Saal.

Um 10.20 Uhr beginnt dann der eigentliche Prozess mit eineinhalb Stunden Verspätung. Über 600 Seiten Anklageschrift hat die Bundesanwaltschaft im Ganzen zusammengetragen. Die beiden Bundesanwälte verlesen nur die wesentlichen Vorwürfe. Die neun Angeklagten sind durch Panzerglasscheiben von ihren Verteidigern getrennt, sie können sich nur über eine Sprechanlage miteinander verständigen. Manche winken ins Publikum, andere verstecken ihre Gesichter vor den zahlreichen Fotografen.

Diese neun teils kernigen Männer sollen den militärischen Arm der terroristischen Reichsbürger um Heinrich XIII. Prinz Reuß gebildet haben. Der Führungsriege um Prinz Reuß, die einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben soll, wird ab Mitte Mai in Frankfurt der Prozess gemacht, ebenso der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin Birgit Malsack-Winkemann.

Bis dahin kann der Stuttgarter Prozess Erkenntnisse über Struktur und Gefährlichkeit der mutmaßlichen rechtsextremen Umstürzler zutage fördern. Unter den Angeklagten sind ehemalige wie aktive Soldaten, darunter Mitglieder der Eliteeinheit KSK. Andreas M. zum Beispiel, der für den Tag X ausgekundschaftet haben soll. Mit seinem Ausweis als KSK-Mitglied hatte er ungehinderten Zugang.

Vorbereitungen für den Tag X

Unter den Angeklagten sind ehemalige wie aktive Soldaten, darunter ­­Mitglieder der Eliteeinheit KSK

Da ist ein IT-Fachmann der Gruppe, Wolfram Bernd S., der nach den Vorwürfen der Anklage die Mitglieder mit abgeschirmten Laptops ausgestattet haben soll. Er tritt als Einziger im blauen Sakko vor Gericht auf und wird von einem rechten Szene-Anwalt vertreten. Dann ist da noch Alexander Q., der den Telegram-Kanal „Frag uns doch – das Original“ mit über 130.000 Followern betrieben hat und laut Anklage ab 2022 seine Posts mit der Reichsbürger-Führung abgestimmt haben soll.

Und da ist Marco van H., der laut Anklage den engsten Zugang zur reichsbürgerlichen Führungsgruppe gehabt haben soll. Der ehemalige Elitesoldat aus Pforzheim hat nach Lage der Dinge die Führungsriege um den Prinzen mit den gewünschten Verschwörungsmythen versorgt. Er behauptete, in jenen Tunneln gekämpft zu haben, in denen nach dem Verschwörungswahn der Reichsbürger pädophile Eliten Kinder gefangen halten, um sich mit ihrem Blut jung zu halten. Er dient sich Reuß auch als Verbindungsmann zur „Allianz“ an, jener dunklen Macht aus internationalen Regierungen und Geheimdiensten, die nach Vorstellung der Reichsbürger am Tag X auf ihrer Seite kämpfen würden. Van H. gilt als eine der zentralen Figuren unterhalb der Führungsebene.

Für diesen Tag X sollen die Männer ganz konkrete Vorbereitungen getroffen haben: mit Truppen und Waffenlagern im ganzen Bundesgebiet. An vielen Stellen im Land hatte es bereits Rekrutierungstreffen geben. Veteranennetzwerke auf Telegram bildeten den Pool für die Unterstützer. Am weitesten war offenbar die „­Heimatschutzkompanie 221“, die in Freudenstadt und Tü­bingen ihren Sitz hatte. Ihr Chef war Ralf Helmut S.. Die Truppe sei bereits handlungsfähig gewesen und habe eine ehemalige Kaserne als mögliche Schalt­zentrale ausgekundschaftet.

Verschwiegenheitserklärung mit Todesstrafe

Zur gleichen Zeit hatten zwei der Stuttgarter Angeklagten auf Anweisung von Marco van H. eine Verschwiegenheitserklärung entworfen. Eine Art Mitgliedsantrag, anhand derer die Ermittler später feststellen konnten, wer zum aktiven Teil der Gruppe gehörte. Verstöße gegen die Erklärung wurden als Verrat gewertet, der mit der Todesstrafe bestraft werden sollte. Das Urteil sollte Prinz Reuß fällen, ausgeführt werden sollte es von einem „Militärgericht“. 130 Menschen sollen die potenziell tödliche Erklärung unterzeichnet haben.

All das soll Marco van H., als Verantwortlicher für den militärischen Arm, vorangetrieben haben. Ein drahtiger mittelblonder Mann, der am ersten Pro­zesstag im hellen Shirt auftritt und immer auf der Stuhlkante zu sitzen scheint. In der ersten Publikumsreihe sitzt seine Familie und winkt ihm zu. Marco van H. will sich vor Gericht nicht äußern, erklärt er.

Die Truppe um den Prinzen ist in der Vergangenheit als „Prinzengarde“ oder „Rollatorgruppe“ verharmlost worden. Der Prozess gegen den militärischen Arm, wie es die Anklage nennt, macht klar: Hier wurde nicht gespielt oder Trommelwirbel erzeugt. Es wurden Feindeslisten angefertigt. Mit Politikern bis auf die kommunale Ebene, die am Tag X beseitigt oder zumindest unschädlich gemacht werden sollten.

Talent für scharfe Waffen

Dass es in den Heimatschutztruppen durchaus zu allem entschlossene Männer gab, will die Anklage am Fall von Markus Peter L. klarmachen, der in Stuttgart zuerst verhandelt werden soll. L. ist ein unscheinbarer Mann Ende 40. Mit militärfarbenem T-Shirt sitzt er auf der Anklagebank. Er wurde von zwei seiner Mitangeklagten als Mitglied der Heimatschutztruppe angeworben. Der Sportschütze hatte ein besonderes Talent, Waffenattrappen mit gekauften Komponenten so umzubauen, dass sie scharf wurden. Auch L. hatte die Verschwiegenheitserklärung unterschrieben.

So waren die Ermittler nach der Razzia gegen die Führungsriege um Prinz Reuß auch auf ihn gestoßen. L. besaß die Erlaubnis, bestimmte Waffen zu führen, und hatte eine Sprengstofferlaubnis. Deshalb rückte die Polizei zur Durchsuchung seiner Wohnung im März 2023 mit einem Spezialkommando an und stürmte seine Dachwohnung. L. eröffnete damals das Feuer auf Polizeibeamte, die seine Wohnung durchsuchen wollten. Die Schüsse mit einer halbautomatischen Waffe verletzten zwei Beamte. In der Wohnung stellten die Beamten ein Waffenarsenal aus umgebauten Sturmgewehren, Pumpguns, Smith-and-Wesson-Revolvern und mehreren Kilogramm Sprengstoff sicher.

Hier in Stammheim hat man jahrzehntelange Erfahrung mit Terrorismus. 1977 wurde gleich nebenan in einem inzwischen abgerissenen Gerichtsaal die erste Generation der Rote Armee Fraktion, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, verurteilt. Dass Staatsfeinde heute verstärkt von rechts kommen, weiß die Justiz aus eigener Erfahrung. Im vergangenen Jahr wurden an gleicher Stelle zehn Mitglieder der sogenannten Gruppe S. zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten ähnlich wie die Gruppe Reuß Angriffe auf Moscheen und Politiker geplant.

Es drohen harte Urteile

Auch der Reichsbürger vom Boxberg, Ingo K., der auf Polizeibeamte bei einer Durch­suchung das Feuer eröffnet hatte, ist hier wegen versuchten Mordes zu ­einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Harte Urteile, die auch den Angeklagten im jetzigen Prozess drohen, denn immerhin sind die Beweise für konkrete Umsturzpläne bis hin zu Kundschafter-Expeditionen in den Bundestag aktenkundig.

Dass ihren Mandanten hohe Haftstrafen drohen, das ist den 21 Verteidigern natürlich klar. Und so stellen sie gleich zu Prozessbeginn Anträge, die die Besetzung und Zuständigkeit der Stuttgarter Staatsschutzkammer rügen sollen. Sie verlangen, die drei Prozesse in Frankfurt, München und Stuttgart, die an verschiedenen Orten die ­gleichen Vergehen verhandeln, zusammenzulegen. Dass die Anwälte, die ja pro Sitzungstag bezahlt werden, an einer ­Ver­längerung des Verfahrens ein Interesse haben könnten, könne er verstehen, entgegnet Bundesanwalt Klein süffisant.

Für die Angeklagten, die alle in Untersuchungshaft sitzen, seien kürzere parallele Verfahren die bessere Wahl. Der vorsitzende Richter Joachim Holzhausen arbeitet die Anträge geschäftsmäßig ab und lässt keinen Zweifel, dass er den Prozess zügig führen will.

Immerhin. Zwei Angeklagte geben am ersten Prozesstag zu erkennen, dass sie sich im Lauf des Verfahrens zu den Vorwürfen äußern wollen. Einer davon ist der Chef der Heimatschutztruppe Freudenstadt. Und Wolfram Bernd S., der IT-Experte. Das könnte wertvolle erste Erkenntnisse vor dem Prozessauftakt in Frankfurt liefern. Aber allein in Stuttgart wird man noch lange verhandeln. Das Gericht hat bereits über 40 Termine bis weit ins nächste Jahr bekannt ge­geben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.