Rechtsextremer Verlag „Der Schelm“: Die Wegbereiter des Hasses

Der „Schelm“-Versand verbreitet rechtsextreme Bücher. Nun wurden drei Angeklagte dafür verurteilt. Der Hauptbetreiber aber macht weiter.

Der Angeklagte Enrico Böhm im Prozess gegen den rechtsextremen Versand "Der Schelm" vor dem Oberlandesgericht Dresden.

Früher für die NPD im Leipziger Stadtrat, nun wegen des rechtsextremen Versands „Der Schelm“ verurteilt: Enrico Böhm Foto: Sebastian Kahnert/dpa

DRESDEN taz | Richter Hans Schlüter-Staats zitiert direkt aus dem Buch „Hart wie Kruppstahl“, ein rechtsextremes Hetzwerk aus den Sechzigern. Vom Ziel einer „restlosen Säuberung der gesamten arischen Menschheit“ sei dort die Rede. Von „unüberbrückbaren“ Differenzen zu Juden, unterzeichnet mit „Heil Hitler“. Es seien solche Sätze, die auch heute Hass anstachelten, warnt Schlüter-Staats. „Diesen Worten folgen leider auch Taten.“ Und das Buch sei nur eines von tausenden, die beim rechtsextremen Versand „Der Schelm“ verkauft worden seien.

Am Montag verurteilte der Strafsenat von Schlüter-Staats am Oberlandesgericht Dresden deshalb drei Angeklagte zu Freiheitsstrafen: Enrico Böhm, Matthias B., Annemarie K. Alle waren einst in der NPD aktiv, Böhm auch als Leipziger Stadtrat. Sie hätten mit dem vor Jahren nach Russland ausgewanderten Hauptverantwortlichen Adrian Preißinger den „Schelm“-Versand betrieben und damit eine kriminelle Vereinigung gebildet und Volksverhetzungen begangen.

Der vielfach vorbestrafte Böhm erhält dafür zwei Jahre und sechs Monate Haft, seine frühere Lebensgefährtin Annemarie K. ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung. Ebenfalls eine Bewährungsstrafe bekommt Matthias B.: ein Jahr und zehn Monate. Er hatte im Prozess umfassend ausgepackt und befindet sich inzwischen in einem Aussteigerprogramm.

Die Bücher, um die es geht, verschickt der rechtsextreme „Schelm“-Versand teils bis heute: Hitlers „Mein Kampf“, antisemitische Schriften wie die „Jüdische Weltpest“, oder „White Power“-Werke mit Hakenkreuz. Versandt werden die Bücher aus dem Ausland, nach eigener Auskunft über eine „umwegige Lieferkette“. Preißinger, ein gebürtiger Bayer und langjähriger Leipziger, 60 Jahre alt, koordiniert dies aus Russland.

„Wie ein kleiner Amazonversand“

Seit Mitte März standen nun Enrico B., Matthias B. und Annemarie K. in Dresden vor Gericht. Die Anklage führte die Bundesanwaltschaft, die bis zu zwei Jahre und acht Monate Haft gefordert hatte. Das Gericht folgt dem nun weitgehend.

Richter Schlüter-Staats betont, dass alle Angeklagten eine rechtsextreme Gesinnung geteilt hätten, Preißinger nennt er einen „glühenden Antisemiten“. Allen sei klar gewesen, was für Bücher sie da vertrieben. Und sie hätten das höchst professionell organisiert. Eine Lagerhalle im sächsischen Bad Lausick sei mit Technik wie Etikettendruckern ausgestattet gewesen, „wie ein kleiner Amazonversand“. Es habe ein Warenwirtschaftssystem gegeben und ein Festgehalt für Matthias B. Und das Team habe sich auch durch eine erste Razzia oder journalistischen Recherchen nicht stoppen lassen.

Allein seit Frühjahr 2019 soll der „Schelm“-Verlag mehr als 445.000 Euro mit dem Verkauf von rund 46.000 rechtsextremen Büchern eingenommen haben, mehr als 30.000 davon mit volksverhetzenden Inhalten. Die Gewinnmarge war dabei laut Schlüter-Staats groß: Der Nachdruck und Versand von Hitlers „Mein Kampf“ etwa habe 3,77 Euro gekostet – verkauft worden sei das Buch für 30 Euro.

„Antisemitische Hass- und Hetzschriften“, nennt Schlüter-Staats die verschickten Bücher. Und er unterstreicht, dass sie „den Nährboden für furchtbare Gewalttaten bereiten, nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch heute“. Der Richter verweist auf den antisemitischen und rassistischen Attentäter von Halle, „eines der schrecklichsten Beispiele in der jüngsten Zeit“. Und die Bücher seien auch keine wissenschaftlichen Quelltexte gewesen, sondern hätten durch ihre Vorworte, oft von Preißinger selbst verfasst, klargemacht, worum es gehe: „Eine nicht mal grob verklausulierte Bewerbung dieser Inhalte“.

Alle Angeklagten hatten gestanden

Die Verurteilten verfolgen die Worte regungslos, blicken starr in den Saal – die Strafhöhen kamen erwartet. Im Prozess hatten alle drei Angeklagten die Vorwürfe eingeräumt, die Hauptschuld aber auf Preißinger abgeschoben. Vor allem Matthias B. hatte umfassend gestanden. Er sei damals für das Setzen der Bücher verantwortlich gewesen, habe die IT betreut und mit Preißinger über Skype Kontakt gehalten. Die Bücher seien in Ungarn gedruckt worden, die Bezahlung über spanische Konten gelaufen. Verkaufsschlager sei „Mein Kampf“ gewesen. Ermittlern hatte Matthias B. zudem Daten des Versands übermittelt und auch Namen weiterer Beteiligter.

Auch Enrico Böhm und Annemarie K. hatten eingeräumt, dass sie an der Lagerung und dem Versand der Bücher beteiligt waren – dies seien aber nur „Freundschaftsdienste“ für Preißinger gewesen. Mit diesen soll Böhm allerdings 42.561 Euro verdient haben, Annemarie K. mindestens 5.200 Euro und Matthias B. 41.223 Euro – Summen, die sie nun komplett an den Staat zurückzahlen müssen.

Bei den verhängten Strafen verweist Richter Schlüter-Staats bei Böhm und Annemarie K. auf deren „erhebliche Vorstrafen“. Gerade der frühere NPD-Stadtrat war immer wieder mit Geld- und Bewährungsstrafen davongekommen, habe sich davon „nicht beeindrucken lassen“, betont Schlüter-Staats. Nun muss Böhm in Haft, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Die anderen beiden Verurteilten kommen mit Bewährungsstrafen davon. Schlüter-Staats lobt vor allem die Aufklärungshilfe von Matthias B., auch sein Szeneausstieg sei „glaubhaft“.

Der Versand der rechtsextremen Bücher durch den „Schelm“ geht dagegen weiter. Das LKA Sachsen beteuerte zuletzt, dass durchaus weiter wegen des Fortbetriebs des „Schelm“-Versands“ ermittelt werde. Bisher sei eine Festnahme von Preißinger aber nicht möglich gewesen, so eine Sprecherin. Gleiches gelte für Versuche, die Webseite offline zu nehmen, da die Server im Ausland stünden.

Preißinger selbst kommentierte den Prozess zuletzt aus der Ferne, ätzte über die deutsche „Hurenjustiz von Judäas Gnaden“ – und bedrohte Richter Schlüter-Staats. Dessen Namen werde man sich merken, heißt es in einer Mail des „Schelm“-Verlags. In Plötzensee hingen „noch ein paar ungebrauchte Fleischerhaken“. In dem Berliner Gefängnis richtete das NS-Regime hunderte Menschen hin.

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