Segregation an Berliner Schulen: Lieber gleich auf die Privatschule

In Berlin schicken viele Eltern ihre Kinder ungern auf Schulen mit hohem Migrantenanteil. Die Folge: boomende Privatschulen.

Zwei Schülerinnen strecken in der Klasse den Arm in die Höhe, einen Lehrerin steht an der Tafel

In Berlin geht jedeR zehnteR SchülerIn auf eine Privatschule (Archivbild) Foto: dpa

BERLIN taz | Es gibt ein Problem, an dem sich das deutsche Schulsystem die Zähne ausbeißt: die Chancengerechtigkeit, sie will einfach nicht besser werden. Immer noch bestimmt das Elternhaus über die Bildungschancen. Haben die Eltern nicht studiert, wird es das Kind mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht tun. Wer einen Migrationshintergrund hat, hat statistisch gesehen ein höheres Risiko, als SchulabbrecherIn zu enden. In Berlin wurden kürzlich wieder die Ergebnisse der landesweiten Leistungsvergleiche in den dritten Klassen veröffentlicht – an der Tatsache, dass Kinder mit einer anderen Muttersprache als der deutschen schlechter abschneiden im Lesen, Schrei­ben und Rechnen ändert sich seit Jahren: gar nichts.

Dabei bemüht sich die Politik redlich darum, diese Ungerechtigkeit auszugleichen. In Berlin gibt es etwa das Bonus-Programm, mit dem „Schulen in schwieriger Lage“ zum Beispiel Extrastunden für Sozialarbeit finanzieren können. Und die Groko will im Fall einer Regierung ein Bund-Länder-Programm auflegen, um gemeinsam benachteiligte Schulen zu stärken.

Das Problem: Man doktert an am Symptom der Bildungsungerechtigkeit herum, ohne die Ursachen anzugehen. Zum Beispiel die Furcht der akademischen Mittelschichtseltern vor der gewöhnlichen Kiezschule mit dem hohem Migrantenanteil und dem (oft vermeintlich) schlechten Ruf. Wenn etwas ungleiche Chancen zementiert, dann Segregation.

In Berlin boomen die Privatschulen. Inzwischen geht jedeR zehnte Berliner SchülerIn auf eine private Schule. Es gibt sehr unterschiedliche freie Schulen: Die kleine Schule mit 40 SchülerInnen in Kreuzberg, die von einer alternativen Elterninitiative betrieben wird. Und die noble Kaderschmiede in Mitte oder im Südwesten der Stadt, wo die Frage höchstens lautet, ob man das Abitur auch noch in der französischen Variante ablegen will.

Was allen gemein zu sein scheint: Auf den meisten dieser Schulen ist der Anteil von Kindern aus ärmeren Familien verschwindend gering – das suggeriert zumindest eine Antwort der Senatsverwaltung für Bildung auf eine Anfrage aus den Reihen der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. An den 77 nachgefragtesten freien Schulen in Berlin liegt die Quote der SchülerInnen, deren Familien Hilfen vom Jobcenter bekommen, bei gerade einmal 3,5 Prozent. Der berlinweite Schnitt der sogenannten lernmittelbefreiten SchülerInnen liegt bei etwa 35 Prozent – zehnmal so hoch.

Zwar ist umstritten, ob diese Zahlen wirklich aussagekräftig sind: Schulleiter von zwei freien Schulen sagen der taz, sie ermittelten diese Quote gar nicht – und tauchten dann in der Statistik dennoch mit einer Null auf. Was allerdings beide sagen: Die Eltern, die sich für ihre Schulen interessieren, eine vor allem eins: ein Interesse an Schule, an Bildung. Und das das nicht unbedingt mit einem vollen Konto verbunden sei.

Soziale Mischung durch Schulfinanzierung?

Dennoch wollen die Fraktionen der SPD und der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus am Einkommen der Eltern die künftige Finanzierung der freien Schulen ausrichten – um mehr „soziale Mischung“ in den freien Schulen zu erzwingen. Die Grünen legten einen Antrag vor, der „deutlich höhere“ Zuschüsse für Schulen in freier Trägerschaft fordert, plus einem Bonus für solche Schulen, die sich „für die soziale und inklusive Öffnung“ einsetzen. Die SPD hat das gleiche Ziel, favorisiert aber „ein Staffelungsmodell, das soziale Mischung belohnt“, sagte deren bildungspolitische Sprecherin Maja Lasić der taz. Im Klartext: Wer auf dem Papier zu wenig Kinder aus ärmeren Familien unter den SchülerInnen hat, soll mit Mittelkürzungen rechnen müssen.

Andreas Wegener, Schulleiter der Privaten Kant-Schulen im gutbürgerlichen Bezirk Steglitz-Zehlendorf, muss lachen, wenn man ihn nach seiner Meinung zum jüngsten Scharmützel um die Privatschulen fragt: Seit mehr als einem Jahrzehnt diskutiere man mit der Senatsverwaltung für Bildung mühsam über eine Änderung des Finanzierungssystems. Eine Quote hält er für den falschen Weg. Weil sie am grundsätzlichen Problem nichts ändern würde: der strukturellen Unterfinanzierung der freien Schulen – woran sich letztlich auch die „wirklich entscheidende Frage nach der wachsenden sozialen Spaltung der Stadt“ knüpfe, wie Wegener sagt.

An der privaten Kant-Schule zahlt man ab Klasse sieben 430 bis 470 Euro Schulgeld im Monat

Denn die Politik traut sich nicht an die Elternbeiträge ran, mit denen die freien Schulen die Mangelwirtschaft durch die öffentliche Hand auffangen. Derzeit läuft es in Berlin so: Schulen bekommen abhängig von ihrer Schülerzahl lediglich 93 Prozent der vergleichbaren Personalkosten einer öffentlichen Schule. Die Berliner Arbeitsgemeinschaft Freie Schulen fordert seit Jahren eine „Vollkostenfinanzierung“, die auch Sachkosten in den Blick nimmt.

100-Euro-Regelung

Schulleiter Wegener sagt, die öffentliche Hand müsste die Schulplätze für Kinder aus ärmeren Familien sponsern – so wie es zum Beispiel auch beim Schulmittagessen geschieht. „Ein Kostenausgleich wäre einfach, transparent und gerecht.“ Momentan gilt in Berlin die Regelung, dass bis zu einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro Brutto einer Familie maximal 100 Euro Schulgeld pro Monat zulässig sind. „Das kann aber kein Hartz-IV-Empfänger bezahlen“, sagt Wegener. An der Privaten Kant-Schule zahlt man ab Klasse sieben 430 bis 470 Euro Schulgeld im Monat. Wer weniger verdient, zahlt auch weniger – mitunter zahlten Eltern auch weniger als 100 Euro, sagt der Schulleiter.

Die Berliner 100-Euro-Regelung hatte auch eine bundesweite Studie zur Privatschulfinanzierung des Wissenschaftszentrums Berlin im vergangenen Herbst als zu hoch angemahnt. Zudem kontrolliere die Bildungsverwaltung von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) nur unzureichend, ob die Schulen diese Regelung auch einhielten – viele täten es nicht, bemängelten die Wissenschaftler. Die Bildungsverwaltung teilt auf Anfrage mit, man sei zu diesem ganzen Themenkomplex „in der Abstimmung“. Demnächst will man das zukünftige Finanzierungskonzept für die freien Schulen vorlegen.

Selbstverständlich könne man Eltern nicht verübeln, dass sie die beste Schule für ihr Kind wählen, sagt auch Wegener. Und genau deshalb müsse man die freien und die staatlichen Schulen zusammen denken: „Wir müssen viel stärker über Kooperationen nachdenken, über Schulpartnerschaften“ – um sich gegenseitig zu zeigen, „dass die Welt größer ist als die eigene Schule“, sagt Wegener. „Davor kann man Angst haben, muss man aber nicht.“ Womöglich könnten alle Beteiligten sogar profitieren.

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