Lützerath und die Klimabewegung: Mehr als ein Symbol

In Lützerath wird die Hoffnung planiert, dass sich die Klimakrise mit Kompromissen lösen lässt. Die Räumung wird unsere Vorstellung von Politik verändern.

Polizisten räumen einen Demonstranten

Mehr als nur Symbol: Räumung in Lützerath Foto: Federico Gambarini/dpa

Anfang Oktober stand mal wieder ein dämlicher Kommentar in dieser Zeitung. Der Autor behauptete, dass die Klimabewegung einen Fehler begehen würde. In Lützerath klammere man sich an einem Ort fest, in dem niemand außer den Ak­ti­vis­t:in­nen selbst ein Symbol erkennen könne.

Der Kommentar war von mir. Und ich habe mich offensichtlich getäuscht. Denn der Aufschrei über die Räumung ist groß. International zeigt man mit dem Finger auf Deutschland, das noch im Jahr 2023 Dörfer für den Kohleabbau räumen lässt. Und auch hierzulande kommt die Empörung nicht nur von den üblichen Verdächtigen. Warum ist das so?

Lützerath ist eben nicht nur symbolisch, wie ich behauptet hatte, sondern ganz materiell auf Braunkohle gebaut. Natürlich ist es eine Zuspitzung, dass genau hier die 1-5-Grad-Grenze verlaufe. Aber die Zuspitzung funktioniert. Sie zeigt die Dringlichkeit, dass das fossile Leben nicht erst 2030 enden darf, sondern wir sofort aus der Braunkohle aussteigen müssen. Lützerath mag nur ein kleiner Weiler sein, aber das Rheinische Braunkohlerevier ist die größte CO2-Quelle Europas.

Braunkohle entsteht, geologisch gesprochen, wenn tote Pflanzen unter hohem Druck und unter Luftausschluss verdichtet werden. Das geschah in Lützerath vor vielen Millionen Jahren. Heute verdichten sich in dem Dorf politisch die Widersprüche der Klimakrise.

Die Hoffnung wird planiert

In Lützerath geht etwas kaputt, das größer ist als ein paar alte Gebäude. Hier prallt mehr aufeinander als die Körper von Besetzerinnen und Polizisten. Es geht um zwei fundamental verschiedene Vorstellungen von Politik.

In Lützerath wird die Hoffnung planiert, dass sich die Klimakrise mit Kompromissen lösen lässt, die niemandem wehtun – weder den Ak­ti­vis­t:in­nen noch den Geschäftsinteressen von Unternehmen. Der Kompromiss, dass RWE nun mal das Recht habe, Braunkohle wegzubaggern, und ein Kohleausstieg in sechs Jahren doch auch ein Erfolg sei, wurde als faul entlarvt.

Für Kompromisse mit der Klimakrise stehen nicht nur die Grünen, sondern sämtliche Parteien. Die Mehrheit der Gesellschaft hegt diesen Tagtraum und verdrängt das Offensichtliche. „Fürchtet euch nicht“, sagte Annalena Baer­bock 2020, die „Klimarevolution“ werde „in etwa so verrückt wie ein Bausparvertrag“. Lützerath zeigt, dass das nicht stimmt.

Wenn der Weg des Kompromisses gescheitert ist, stellt sich die Frage: Was ist die Alternative? Gibt es eine Mehrheit für radikalen Klimaschutz, auch gegen die Interessen von RWE und Millionen Autofahrer:innen? Für einen viel schnelleren Kohleausstieg, koste es, was es wolle?

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Darauf hat bisher keiner eine Antwort, auch die Klimabewegung nicht. Für sie ist der Kampf um das Dorf auch ein Zeichen ihrer Hilflosigkeit. Sie hat versucht, mit Großdemos auf die Bundesregierung einzuwirken. Nun ist sie zurückgeworfen auf ein paar Aktivist:innen, die in Baumhäusern einen Ort verteidigen.

Dass nun Luisa Neubauer, die Demonstrationen mit mehr als einer Million Teil­neh­me­r:in­nen organisiert hat und ins Kanzleramt eingeladen war, glaubt, dass sie die Politik der Bundesregierung mit einer Sitzblockade aufhalten muss, zeigt, an welchem Scheidepunkt die Bewegung steht.

Einladungen ins Kanzleramt und in Talkshows haben der Bewegung wenig gebracht. Nun muss sie versuchen, Klimaschutz mit Macht durchzusetzen, nicht mit Argumenten. In Gewerkschaften und Parteien ist sie nicht stark genug, um eigene Macht aufzubauen.

Es ist zu früh, Lützerath historisch einzuordnen. Aber die Räumung wird die Klimabewegung und unsere Vorstellung von Politik in der Klimakrise nachhaltig verändern. Ich glaube, damit täusche ich mich diesmal nicht.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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