Urteil gegen mutmaßliche Linksextreme: Mehr als 5 Jahre Haft für Lina E.

Die Autonome Lina E. und weitere Mitangeklagte werden wegen Angriffen auf Neonazis zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Faeser warnt vor Radikalisierung.

Eine stehende Person in einem Gerichtssaal hält sich einen Aktenordner vor das Gesicht

Lina E. (M.) am Mittwoch im Oberlandesgericht Dresden

BERLIN dpa/afp/epd/taz | Im Prozess gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. und drei weitere Angeklagte hat das sächsische Oberlandesgericht in Dresden mehrjährige Haftstrafen verhängt. Das Gericht verurteilte die 28-Jährige am Mittwoch unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten.

Die mitangeklagten Männer erhielten Haftstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten wegen Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

Mit dem Urteil blieb das Gericht unter der Forderung der Bundesanwaltschaft, die für E. acht Jahre Freiheitsstrafe gefordert hatte. Sie hatte der Studentin aus Leipzig „massive Gewalt“ vorgeworfen. Lina E. und ihr untergetauchter Freund Johann G. gelten demnach als Rädelsführer. Die Verteidiger der aus Hessen stammenden Studentin hatten in fast allen Punkten Freispruch gefordert.

Den Angeklagten waren mehrere Überfälle auf Neonazis oder mutmaßliche Anhänger der rechten Szene in Wurzen, Leipzig und im thüringischen Eisenach mit Schwerverletzten zwischen 2018 und 2020 vorgeworfen worden. E. sitzt seit November 2020 in Untersuchungshaft. Die drei anderen Beschuldigten sind auf freiem Fuß.

Der Vorsitzende Richter betonte in seiner Urteilsbegründung, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus keine Gewalt rechtfertige. „Auch ein gewalttätiger Nazi wird nicht durch seine Taten vogelfrei“, sagte der Richter.

Un­ter­stüt­ze­r:in­nen applaudieren Lina E. und Mitangeklagten

Das Urteil wurde im Gerichtssaal von rund 100 Unterstützern der Angeklagten verfolgt. Sie hatten Lina E. und die drei Mitangeklagten mit langem Applaus begrüßt. Nach dem Urteil wurde der Prozess kurzzeitig wegen Unruhe unterbrochen. Einige der etwa 100 Zuhörer im Saal riefen etwa „Scheiß Klassenjustiz“ und „Schweinesystem“.

Bereits im Vorfeld hatten Teile der linksradikalen Szene Proteste gegen die Verurteilung von Lina E. und den drei Mitangeklagten angekündigt. Sachbeschädigungen und Brandstiftungen seien danach zu befürchten, erklärte der sächsische Verfassungsschutz vor dem Urteilsspruch. Es sei mit Anreisen von Linksextremen „aus dem gesamten Bundesgebiet zu rechnen“.

Faeser sieht wachsende Gefahr durch Linksextremismus

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht eine zunehmende Gefahr durch linksextreme Gewalttäter. „In linksextremistischen Gruppen sind Hemmschwellen gesunken, politische Gegner auch mit äußerster Brutalität anzugreifen“, sagte die Politikerin in Bezug auf das Urteil im Fall der mutmaßlich linksextremen Lina E. am Mittwoch. „Im demokratischen Rechtsstaat darf es keinen Raum für Selbstjustiz geben“, hieß es in einer Mitteilung. Kein Ziel rechtfertige politische Gewalt.

Faeser mahnte, die Radikalisierungs- und Gewalt-Spirale dürfe sich nicht weiterdrehen. „Unsere Sicherheitsbehörden haben die gewaltbereite linksextremistische Szene sehr genau im Blick und werden weiter konsequent handeln“, hieß es. Die Behörden würden zudem die linksextremistische Szene in den kommenden Tagen und Wochen weiter in den Fokus nehmen.

Justizminister begrüßt das Urteil

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat das Dresdner Urteil gegen die Studentin Lina E. wegen mehrerer Angriffe auf Rechtsextreme begrüßt. „Extremismus bekämpft man nicht mit Extremismus. Wir müssen unsere liberale Demokratie schützen vor ihren Feinden, doch nicht mit Selbstjustiz“, schrieb der Politiker am Mittwoch auf Twitter. Recht und Gesetz gelten für alle, hieß es weiter. „Wo die Grenzen der Rechtsordnung überschritten werden, sind Staatsanwaltschaft & Polizei gefordert.“

Der Verfassungsschutz sieht bei einigen Linksextremisten aktuell ein hohes Radikalisierungsniveau und sinkende Hemmschwellen, wenn es um den Einsatz von Gewalt geht. „Besorgniserregend ist auch, dass eine zunehmende Anzahl gewalttätiger Linksextremisten versucht, sich der Strafverfolgung zu entziehen und möglicherweise untergetaucht ist“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, am Mittwoch nach der Urteilsverkündung im Strafverfahren des Oberlandesgerichts Dresden.

Der Chef des Inlandsgeheimdienstes fügte hinzu: „Die Schwelle zum Terrorismus sehen wir aktuell noch nicht überschritten, aber wenn sich die Radikalisierungsspirale weiterdreht und die Taten immer brutaler und hemmungsloser werden, dann rückt der Moment näher, in dem man auch von Linksterrorismus sprechen muss.“

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