Die Grünen in der Bundesregierung: Sie werden geschreddert

Eine Kette von Demütigungen durch die Koalitionspartner lassen die Grünen über sich ergehen. Manche fühlen sich an rot-grüne Jahre erinnert.

Gerhard Schröder und Joschka Fischer halten den rot-grünen Koalitionsvertrag in den Händen

Kanzler Schröder und Außenminister Fischer 2002: die rot-grünen Jahre, das war 1998 bis 2005 Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Ein Grüner in Leitungsfunktion, der auch schon ein paar Tage länger dabei ist, bestätigte mir neulich einen dringenden Verdacht: Doch, genau, er habe ständig Déjà-vus! Andauernd fühle er sich in die rot-grünen Jahre zurückversetzt. Er versuche eigentlich, das zu verbergen – „schon allein, um mich nicht so alt zu fühlen“, meinte er –, aber verdrängen könne er es nicht.

Für die Jüngeren: Die rot-grünen Jahre, das war die Regierungsperiode 1998 bis 2005 unter Kanzler Gerhard Schröder. Damals hatte ein Bündnis aus SPD und Grünen eine seit Äonen regierende schwarz-gelbe Koalition abgelöst – solch ein Schwung, solch ein Wille, die Dinge sozial und ökologisch zu gestalten, war in der Luft! Also, war spürbar, oder sagen wir: wenigstens unterstellbar.

Nur was dann folgte, war für die Grünen eine Kette von Demütigungen durch den großen Koalitionspartner. Schröder drückte die Unter-sieben-Prozent-Grünen schlicht an die Wand, sobald die Themen abgehandelt waren, mit denen auch die SPD gesellschaftlich punkten konnte (Staatsbürgerschaftsrecht, eingetragene Lebenspartnerschaften aka „Homo-Ehe“, solche Dinge).

Allzu spät merkten die Grünen, wo und wie sie schon in den Koalitionsverhandlungen über den Tisch gezogen worden waren. Viele Medien spielten das Kanzler-Spiel mit und sortierten in gute Grüne (die sich anpassten, Kategorie „Fische­r“) und blöde Grüne (die irgendwie stur waren, Kategorie „Trittin“) – und die Grünen taten das dummerweise auch.

Ins Wachkoma gequatscht

Langsam ahnen Sie, warum sich derzeit bei manchen Leuten ein Wiedererkennungseffekt einstellt? Nun ist es aber interessant, wie die Kanzleramts-Erzählung darüber lautet, warum die Grünen in der aktuellen Regierungskonstellation so geschreddert werden. Diese Woche war Gelegenheit, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt dazu zu hören. Schmidt ist Olaf Scholz’ Zweit-Hirn, ein witziger, beredter Mensch, so beredt, dass er schon ganze Hintergrundrunden – das sind die, aus denen JournalistInnen nichts zitieren dürfen – ins Wachkoma gequatscht hat.

Nur öffentlich redet Schmidt eigentlich nicht, öffentlich soll ja nur Scholz selbst glänzen. Doch diesen Mittwoch saß Schmidt in einem Kino am Berliner Kurfürstendamm zur Premiere eines Dokumentarfilms über die Ampel, über den er dann auch sprechen sollte. ­Genau dafür war ein guter Teil des journalistischen Publikums auch gekommen – „ich hab den ja noch nie erlebt“, sagte die Kollegin im Nebensessel.

Schmidt erläuterte, wie sich die Lage der Ampel für ihn, also aus Kanzleramtssicht darstellt: Man möge bitte bedenken, es handle sich um die erste Drei-Parteien-Koalition der Bundesrepublik und die SPD sei gar nicht mehr so groß, als dass der Kanzler die anderen beiden einfach mal zur Räson rufen könne.

Bestenfalls Moderation sei möglich. Schmidts Botschaft übersetzt: Scholz habe zwar im Prinzip immer alles unter Kontrolle, nur eben den demokratischen Streit nicht, und wer sich ein schrödereskes „Basta“ – those were the days – herbeiwünsche, leide unter veralteten Regierungsvorstellungen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Es passte wohl nicht zur Gelegenheit, zu erwähnen, dass Scholz, möchte er in zwei Jahren in derselben Konstellation weitermachen, sicherlich mehr für die FDP als für die Grünen tun muss.

Die Grünen aber dürfen lernen, dass es egal ist, mit wie viel Stimmenprozenten ein Kanzler oder auch sie ausgestattet sind – gegen sie und ihre Ideen lässt es sich weiterhin am leichtesten mobilisieren, und dann bleiben sie halt im Regen stehen. Und erneut dürfen sie sich zur Halbzeit einer Legislaturperiode fragen, ob sie sich vielleicht doch zu billig verkauft haben.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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