Bundesinnenministerin Nancy Faeser: „Ich habe schon viel erreicht“

Sie muss sich wegen des Schönbohm-Rauswurfs verteidigen und den Wahlkampf in Hessen wuppen. Ein Gespräch mit Nancy Faeser im Doppelrollen-Stress.

Nancy Faeser mit Regenschirm auf einem Dach

Auf dem Dach ihres Ministeriums: Nancy Faeser Foto: Jens Gyarmaty/laif

wochentaz: Frau Faeser, Sie wollen in Hessen Ministerpräsidentin werden, aber Ihre SPD hängt in Umfragen bei 20 Prozent fest, weit hinter der CDU. Jetzt lähmt Sie auch noch die ­Schönbohm-Debatte. Den Wahlkampf haben Sie sich anders vorgestellt, oder?

53, ist seit Ende 2021 Bundesinnenministerin. Bei der Landtagswahl in Hessen am 8. Oktober tritt sie als Spitzen­kandidatin für die SPD an.

Nancy Faeser: Also, was stärker werden könnte, ist die Fokussierung auf hessische Themen. Dass man mehr über den Stillstand in der Bildungspolitik diskutiert, über den massiven Fachkräftemangel in Kitas und Schulen, den dramatischen Ärztemangel. Das sind doch die Alltagsthemen, die die Menschen umtreiben und die sie über eine Landtagswahl ändern können.

Momentan wird eher über den f­rüheren BSI-Chef Arne Schönbohm diskutiert, den Sie versetzten, nachdem der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann ihm eine Russlandnähe atttestierte. Haben Sie da zu vorschnell gehandelt?

Hier in Hessen spricht mich keiner auf diese Frage an. Und die Entscheidung fiel auch nicht vorschnell, sondern gründlich. Ich hatte das Vertrauen in Herrn Schönbohm in diesem Amt verloren. Das geht nicht bei einer so wichtigen Behörde, die sich um unsere Cybersicherheit kümmert und die durch die veränderte Sicherheitslage aufgrund des furchtbaren Angriffskriegs Putins so im Fokus steht. Da braucht es 100 Prozent Vertrauen.

Aber die Entscheidung fiel just nach der Böhmermann-Sendung.

Es gab mehrere Gründe für den Vertrauensverlust, einer davon war die breite öffentliche Debatte zu schwerwiegenden Sicherheitsfragen in Zeiten des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Der Innenausschuss im Bundestag wollte Sie zwei Mal zum Fall Schönbohm anhören – beide Male kamen Sie nicht. Warum haben Sie sich nicht den Fragen gestellt?

Ich habe mich im Plenum dazu klar geäußert. Dazu war ich seit Oktober in etlichen Innenausschuss-Sitzungen, in keiner hat mich jemand etwas zu der Sache gefragt. Dass die Union das gerade jetzt hochzieht, zeigt, dass sie den Hessenwahlkampf nach Berlin verlagern will. Aber ich werde in der nächsten regulären Sitzung des Innenausschusses am kommenden Mittwoch da sein und dann können alle ihre Fragen stellen.

Herr Schönbohm verklagt Ihr Ministerium inzwischen auf Schadenersatz wegen Mobbings. Droht da das nächste Ungemach?

Mein Ministerium hält diese Vorwürfe für haltlos. Herr Schönbohm ist ja keinesfalls entlassen worden, sondern schon seit dem Jahresbeginn Präsident einer anderen Behörde.

Aber der Fall zeigt doch, wie angreifbar Ihre Doppelrolle gerade ist: in Berlin Innenministerin, in Hessen Wahlkämpferin. Ist diese Doppelrolle ein Fehler?

Als ich Bundesinnenministerin geworden bin, habe ich eine große Verantwortung übernommen. Der werde ich gerecht. Im Übrigen: Es ist eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass man aus Ämtern heraus für Wahlen kandidiert.

Aber lassen sich beide Aufgaben wirklich parallel stemmen?

Nancy Faeser

Auch Frau Merkel hat als Kanzlerin Wahlkampf gemacht, Herr Rhein macht das als Ministerpräsident. Das ist doch ganz normal in der Demokratie.

Ich finde, ich habe als Ministerin schon sehr viel erreichen können. Ich habe gerade erst eine große Reform beim Staatsbürgerschaftsrecht und der Fachkräfteeinwanderung auf den Weg gebracht – zwei Projekte, über die jahrelang diskutiert wurde. Ich war im Sommer viel als Bundesinnenministerin unterwegs, um den Schutz kritischer Infrastrukturen voranzubringen, den wir jetzt mit einem neuen Gesetz regeln. Dazu spreche ich in dieser Zeit noch mehr mit Menschen ganz direkt über ihre Wünsche, Sorgen und Nöte. Das macht einen Wahlkampf aus. Auch Frau Merkel hat als Kanzlerin Wahlkampf gemacht, Herr Rhein macht das als Ministerpräsident. Das ist doch ganz normal in der Demokratie. Ich bin überrascht, dass nur mir immer diese Frage gestellt wird.

Bisher ist keine Wechselstimmung in Hessen spürbar. Wie wollen Sie das drehen? Die größte Aufmerksamkeit bekamen Sie bisher für Ihre Forderung nach einem extra Feiertag für Hessen.

Das ist einer von 33 Punkten aus unserem Aktionsprogramm.

Okay. Welcher Punkt bringt die Trendwende?

Nach 25 Jahren CDU ist die Zeit reif für einen Wechsel. Und ich bin überzeugt, dass das Thema Bildung entscheidend ist. Wir wollen die Kitagebühren für alle unter Dreijährigen abschaffen. Das würde den Familien jeden Monat bis zu 400 Euro einsparen. Wir wollen Erzieherinnen und Erziehern eine Ausbildungsvergütung bezahlen und die Verträge von Lehrerinnen und Lehrern entfristen. Wir wollen einen Transformationsfonds für Unternehmen auflegen und bei öffentlichen Vergaben einen Mindestlohn von 15 Euro festschreiben. All das würde Hessen nach den Jahren des Stillstands unter der CDU wieder voranbringen und sozialer machen.

Zuletzt setzten Sie verstärkt auf Law and Order: Ausweisung von sogenannten Clanmitgliedern, mehr Abschiebungen, die verschärfte europäische Asylreform. Was erhoffen Sie sich davon?

Ich komme aus der Kommunalpolitik, da handelt man pragmatisch. Das ist das, was mich immer geleitet hat. Ich habe auch im Hessischen Landtag schon für die notwendigen Instrumente der Sicherheitsbehörden gekämpft. Und wir haben jetzt Zeiten der Krisen und einer veränderten Sicherheitslage in Europa, auf die wir reagieren müssen. Da mache ich einfach als Innenministerin meinen Job. Und zur Migration: Wir haben doch ein real existierendes Problem. Die Kommunen schaffen es kaum noch, die Geflüchteten unterzubringen, nachdem mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine zu uns geflüchtet sind und viele weitere Schutzsuchende hinzukommen. Bei der Migration gibt es aber keine nationalstaatlichen Lösungen. Jahrelang wurde über ein europäisches Asylsystem erbittert gestritten. Eine Einigung haben wir nun geschafft, worauf ich weiter stolz bin.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Auf Sammellager an der EU-Außengrenze?

Auf eine europäische Einigung, an der viele vor mir gescheitert sind. Fakt ist: Asylverfahren an den Außengrenzen wird es nur für Menschen mit einer geringen Aussicht auf Schutz in der EU geben. Mir geht es um das Grundrecht auf Asyl, das bewahrt werden muss, um eine verbindliche Registrierung aller Einreisen in die EU und um einen solidarischen Verteilmechanismus unter den EU-Staaten. Und das ist geglückt.

Unwillige EU-Staaten aber können sich aus einer Geflüchtetenaufnahme rauskaufen und selbst Familien mit Kindern müssen in die Außenlager.

Wir wollten Familien mit Kindern aus der Regelung ausnehmen, dafür gab es aber keine Mehrheit. Ich bin aber zuversichtlich, dass uns das noch im weiteren Verfahren im Europaparlament gelingt. Wir Sozialdemokraten kämpfen weiter sehr dafür.

Die Kommunen fordern mehr Geld für die Aufnahme von Geflüchteten. Warum macht die Ampel das nicht?

Der Bund hat Milliardenbeträge zur Verfügung gestellt und hilft weiter. Das Problem ist doch, dass einige Länder wie das schwarz-grün regierte Hessen das nicht direkt an die Kommunen weiterreichen. Ich fände es klug, wenn die Kommunen direkt das Geld bekommen würden. Als Ministerpräsidentin würde ich das genau so tun. Und ich würde die Kommunen auch an anderer Stelle entlasten: Krankenhäuser oder der öffentliche Nahverkehr werden in Hessen nur zu 8 Prozent vom Land mitfinanziert. Das würde ich deutlich anheben. Bei den Kitas würde ich zwei Drittel der Betriebskosten übernehmen.

Woher wollen Sie das Geld dafür nehmen?

Wir müssen neu priorisieren. Indem wir unsere Behörden modernisieren, könnten wir einiges einsparen. Und: Das Nichtstun käme uns deutlich teurer.

Mit der von Ihnen im Bund erleichterten Fachkräfteeinwanderung werben Sie auch in Hessen, wo zuletzt 82.000 Fachkräfte fehlten. Hilft die Neuregelung da schon?

Das Thema Fachkräftemangel begegnet mir überall. Dass Unternehmen jetzt auch kluge Köpfe aus dem Ausland herholen dürfen, die ihren Abschluss hierzulande machen, ist ein Gamechanger. Dafür bekomme ich viel Dank aus der Wirtschaft. Das zeigt: Anders als die CDU packe ich die Dinge an, auch wenn sie nicht leicht sind.

Sie haben auch die Bekämpfung des Rechtsextremismus zum Schwerpunkt erkoren. Gleichzeitig aber klettert die AfD in Umfragen immer höher. Warum wirkt der Kampf nicht?

Diese Entwicklung macht mir große Sorgen, weil ich sehe, dass die Demokratie sehr viel aktiver verteidigt werden muss. Es schockiert mich, dass das gerade in Hessen – wo der NSU-Mord in Kassel an Halit Yozgat stattfand, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der rassistische Anschlag in Hanau – nicht stärker aufrüttelt. Und wie staatszersetzend Rechtsextremisten agieren, zeigte sich zuletzt auch an den Reichsbürgern und ihren Umsturzplänen, gegen die unsere Sicherheitsbehörden hart vorgegangen sind. Es besorgt mich, dass nicht gesehen wird, dass auch die AfD für diesen Rechtsextremismus steht und in Parlamenten den Boden dafür bereitet.

Und in Thüringen setzte gerade die CDU gemeinsam mit der AfD einen Antrag zu einer Steuersenkung gegen die rot-rot-grüne Landesregierung durch.

Das ist ein gefährlicher Beitrag zur Normalisierung von Rechtsextremen. Die CDU reißt die Brandmauer nach rechts außen immer weiter ein. Und es stellt infrage, ob man sich in diesem für die Demokratie so wichtigen Punkt noch auf die CDU und ihren Vorsitzenden Friedrich Merz verlassen kann.

Wie lässt sich der AfD-Aufstieg stoppen?

Mit guter, sozialer Politik. Und das kann nur die SPD. Ich bin sicher, wenn die Energie- und Lebensmittelpreise wieder runtergehen, wenn Lohnsteigerungen ankommen und nicht von der Inflation aufgefressen werden, wenn die Leute sehen, dass wir uns um ihren Alltag kümmern, dann werden wir viel Vertrauen zurückgewinnen. Und wir müssen ganz bewusst die Mitte unserer Gesellschaft stärken, die Engagierten, die Ehrenamtlichen. Gerade in meinem Amt sehe ich ja, wie viele Leute sich für andere einsetzen: bei der Feuerwehr, in Sportvereinen, bei der Hilfe für Geflüchtete. Da passiert sehr viel Positives, was viel zu selten gesehen und erwähnt wird.

Sie wollen in Hessen eine Ampel schmieden. Im Bund prägt die bisher Streit. Warum soll es in Hessen besser laufen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Ampel im Bund bewiesen haben, dass wir große Krisen bewältigen und zugleich unser Land moderner und gerechter machen. Unsere Halbzeitbilanz zeigt, dass wir schon 65 Prozent der vereinbarten Dinge umgesetzt haben. Die Ampel ist viel besser als ihr Ruf. Das haben die großen Herausforderungen, aber auch der Streit leider manchmal verdeckt. Ich glaube, eine Koalition braucht das Verständnis, dass alle ­Projekte am Ende auch bei allen einzahlen.

Die FDP und Grünen in Hessen verbindet aber reichlich Abneigung.

Früher hätte man auch nicht gedacht, dass die Grünen mit der Union koalieren.

Haben Sie nicht Sorge, dass mit einem schlechten Wahlergebnis auch Ihr Ministerinnenamt in Berlin nicht mehr haltbar ist?

Ich will Verantwortung tragen und meinen Beitrag leisten, unser Land sicherer, gerechter und moderner zu machen. Dafür habe ich die volle Unterstützung des Bundeskanzlers, jetzt im Wahlkampf genauso wie bei meiner Arbeit im Kabinett.

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