Die Linkspartei im hessischen Wahlkampf: Wenn die Nacht am tiefsten ist

Bei der Landtagswahl in Hessen sieht es für die Linke nicht so gut aus. Mit Janine Wissler und Gregor Gysi kam prominente Unterstützung.

Jan Schalauske und Elisabeth Kula von der hessischen Linkspartei

Kämpfen für den Wiedereinzug in den Landtag: Linken-Spitzen­kandidatInnen Schalauske und Kula Foto: Florian Wiegan/imago

WIESBADEN/FRANKFURT AM MAIN taz | Auf dem Wallufer Platz im Wiesbadener Rheingauviertel haben die GenossInnen Tische und Bänke aufgestellt. Im Foodtrack brutzeln Burger und Pommes. Daneben gibt es gegen eine Spende Kaffee und kalte Getränke. Am Infostand dürfen Gäste am Glücksrad drehen, für die Kinder steht eine Hüpfburg bereit, in der Popcornmaschine verpufft Mais.

Schon um zehn Uhr haben sich am Samstag gut hundert Menschen zum Sommerfest der Linkspartei in der Landeshauptstadt eingefunden. Die Idylle täuscht. Es geht ums politische Überleben für die Linken in Hessen und darüber hinaus.

Die setzen auf ein vergleichbar junges Tandem. Elisabeth Kula, 33, und Jan Schalauske, 42, haben vor zwei Jahren den Fraktionsvorsitz im Landtag übernommen. Anders als ihre Vorgängerin Janine Wissler müssen sie als SpitzenkandidatInnen darum kämpfen, überhaupt wahrgenommen zu werden. So ist zu ihrer Unterstützung nicht nur die heutige Bundesparteivorsitzende, sondern mit dem unverwüstlichen Gregor Gysi auch noch weitere Bundesprominenz angereist:

CDU, SPD und Grüne ist es gelungen, einen „Dreikampf um die Staatskanzlei“ zu inszenieren. Das macht den „kleinen“ Parteien zu schaffen. Und dann kommt noch die allgemeine Krise der Linkspartei hinzu. Im roten Blazer steht „Lisa“ Kula auf der Bühne, im Ausfallschritt, als wolle sie zu einem Wettlauf durchstarten. „Es wird Zeit, den Schlafwagenwahlkampf in Schwung zu bringen“, ruft sie in die Runde.

Kula: „Hessen braucht einen Wechsel“

„Mehr als katastrophal“ nennt Kula die Bilanz der schwarz-grünen Landesregierung von Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), die „zur Spaltung beigetragen“ habe. „Die Armut ist in Hessen stärker gewachsen als in allen anderen Flächenländern“, argumentiert sie. Das „Schulsystem aus der Kaiserzeit“ sei überfordert und sorge mitnichten für Chancengerechtigkeit. „Hessen braucht einen Wechsel“, ruft Kula.

Ihr Co-Spitzenkandidat Schalauske nimmt den grünen Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir ins Visier. Bei den Rodungen im Dannenröder Forst und im Fechenheimer Wald für den Bau des Riederwaldtunnels habe der Grüne der „Asphalt-statt-Wald-Politik“ nichts entgegengesetzt.

Während der grüne Bundeswirtschaftsminister LNG-Terminals für „schmutziges Fracking-Gas“ im Rekordtempo durchgesetzt habe, dauere die Genehmigung eines Windrads in Hessen 38 Monate. Es brauche die Linke im nächsten hessischen Landtag, „damit die Menschen, die zu wenig gehört werden, eine Stimme haben, eine Stimme für soziale Gerechtigkeit“.

Die Botschaft kommt an beim Sommerfest in Wiesbaden „Die Linke ist die einzige Partei, die wenigstens noch an soziale Gerechtigkeit denkt“, sagt Elisabeth Stein der taz. „Leider kann sie es nicht umsetzten“, fügt sie hinzu. Ihr Nachbar, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ergänzt: „Das Geld, das fehlt, fließt in Waffen und Munition!“ Gleichzeitig würden neun Goethe-Institute geschlossen, ereifert sich an seiner Seite die 67-jährige Elisabeth Stein.

Das letzte Flächenland im Westen mit Linken-Fraktion

Seit 2008 gehört die Linkspartei dem Hessischen Landtag an. Mit 5,1 Prozent schaffte sie damals ganz knapp den Einzug ins Parlament. Bei den Landtagswahlen 2009 (5,4 Prozent), 2013 (5,2 Prozent) und 2018 (6,3 Prozent) gelang jeweils der Wiedereinzug.

Mittlerweile ist Hessen das einzige Flächenland in Westdeutschland, in der die Linkspartei noch im Landtag vertreten ist – und es spricht derzeit einiges dafür, dass auch diese Parlamentspräsenz nach dem Wahltag am 8. Okober verlustig gehen wird. Die aktuellen Umfragen von Infratest Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen für Hessen sehen die Linkspartei bei 3 bis 4 Prozent, also unter der Fünfprozenthürde.

Gegen Mittag zieht das Wahlkampfquartett Kula, Schlauske, Wissler und Gysi von Wiesbaden nach Frankfurt weiter. Die Szene vor der Hauptwache dort erinnert schon eher an Wahlkampf. Gut zweihundert Menschen sind gekommen, einige haben rote Fahnen mitgebracht. Einen riesigen aufblasbaren Hai haben sie neben der Bühne aufgestellt. „Miethaie zu Fischstäbchen!“, steht da. Daneben eine Dachs-Figur. „Tax the dax!“ ist dessen Parole. Umverteilung durch Vermögens- und Erbschaftssteuern ist hier das zentrale Thema der hessischen SpitzenkandidatInnen und ihrer prominenter UnterstützerInnen.

Janine Wissler gibt den Ton an: Eine dreistellige Zahl von Milliardären gebe es in Deutschland, doch „im Schatten der Banktürme wachsen Kinder in Armut auf, nur weil man nicht bereit ist, Reiche und Superreiche zu besteuern, das ist doch irre“, argumentiert die Linke-Parteivorsitzende und bekommt viel Beifall.

Janine Wissler auf Heimatbesuch

Als Wahlkämpferin in Hessen ist Wissler ganz bei sich. Bis vor zwei Jahren war sie Gesicht und Stimme der hessischen Linken. Und deren Überlebensversicherung. Wissler rechnet ab mit der Ampel in Berlin, mit Schwarz-Grün in Hessen. Mit seiner Richtlinienkompetenz habe Bundeskanzler Olaf Scholz zwar eine Steuerentlastung für Unternehmen von acht Milliarden Euro durchgesetzt. Aber warum gibt es nicht die zwölf Milliarden, die das Familienministerium als Bedarf für eine echte Kindergrundsicherung errechnet hatte, fragt Wissler.

Heftig attackiert sie Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die als Ministerpräsidentenkandidatin der SPD auf Sieg gesetzt habe und jetzt mit den Grünen um Platz zwei kämpfe. Den EU-Asylkompromiss nennt Wissler einen Totalangriff auf das Asylrecht. „Nancy Faeser setzt auf menschliche Härte!“ SPD und Grüne seien angesichts der Verschiebung des Diskurses nach rechts eingeknickt.

„Die teuersten Flüchtlinge in diesem Land sind die Steuerflüchtlinge“, hält die linke Frontfrau dagegen – und nimmt sich die eigentümlichen Aussagen von Friedrich Merz zu Zahnarztbesuchen vor. „Nicht die Geflüchteten sind das Problem, sondern die zwei Klassen-Medizin, bei der Privatpatienten jederzeit Termine bekommen und Kassenpatienten nicht“, sagt sie. Merz nennt sie einen geistigen Brandstifter. „Wie lange leistet sich die CDU einen Vorsitzenden, der öffentlich AfD-Positionen bedient?“, fragt sie.

Von der angeblichen Brandmauer der CDU zu den Rechtsextremen sei unter diesem Vorsitzenden „nur noch ein Vorhang“ übrig, spielt sie auf den gemeinsamen Beschluss von CDU, FDP und AfD im Thüringer Landtag an, gemeinsam die Grunderwerbssteuer zu senken. Mit der Zustimmung zur Verschärfung des Asylrechts hätten auch die Grünen „den Kampf gegen Rechts im Grünschnitt-Container entsorgt“, so Wissler. SPD und Grüne wetteiferten in Hessen lediglich darum, wer künftig als Juniorpartner mit CDU-Ministerpräsident Boris Rhein mitregieren dürfe.

Wahlkampf unter schwierigen Bedingungen

Auf der Hauptwache in Frankfurt wird sie gefeiert. In Berlin hat Wissler andere Probleme. Die Linkspartei sei „oben“ nicht in einem Zustand, der sie für WählerInnen attraktiv mache, räumt der Altvordere ein. „Selbstbeschäftigung, Denunziationen, Egoismen“ – Gysi findet harte Worte für die innerparteilichen Machtkämpfe. Namen nennt er nicht.

Stattdessen wirbt Gysi für den hessischen Landesverband. „Der ist in Ordnung“, sagt er und bittet eindrücklich um Stimmen für die Äppelwoi-GenossInnen: „Wenn Sie die stärken, stärken Sie auch uns, die Vernünftigen in der Partei“, sagt der Berliner Bundestagsabgeordnete schmunzelnd.

Dass man trotz der angespannten Lage seinen Humor nicht verlieren muss, hatte der 75-Jährige zuvor unter Beweis gestellt. Unter der Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz sei die Bundesregierung erkennbar überfordert, und das wäre sie auch unter Führung von Friedrich Merz, konstatierte er, um dann zu verkünden: „Nur unter meiner Führung wäre das anders.“

Auch wenn es im Jubel des Publikums beinahe unterging, fügte Gysi für ihn typisch schnell noch hinzu: „Das war ein Witz!“

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