Israel und die Hamas: Krieg auf Zeit

Dass Israel der Hamas militärisch weit überlegen ist, muss nicht kriegsentscheidend sein. Je länger der Krieg dauert, desto besser für die Hamas.

Israelische Soldaten im Gazastreifen

Während Israel die Zeit davonläuft, plant die Hamas langfristig Foto: Ronen Zvulun/reuters

JERUSALEM taz | „Gemeinsam werden wir siegen.“ Kaum ein Satz ist in Israel derzeit häufiger zu lesen: auf Werbetafeln, auf Stickern an Straßenlaternen, in Graffiti. Verteidigungsminister Joav Galant schwor die Israelis am Donnerstag allerdings darauf ein, dass es bis zu diesem Sieg länger dauern könnte. Die Armee werde alle an dem Massaker vom 7. Oktober Beteiligten finden, sagte er, „egal ob es eine Woche, einen Monat, ein Jahr und gegebenenfalls Jahre braucht.“

Während sich israelische Soldaten seit Tagen tiefer in die Häuserschluchten von Gaza-Stadt vorkämpfen, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Israel den Krieg für gewonnen erklären kann. Und ob die Hamas-Führung an einen „Sieg“ womöglich ganz andere Maßstäbe anlegt.

Die israelische Führung hat ihre Kriegsziele nach dem brutalen Überfall der Hamas mit mehr als 1.400 größtenteils zivilen Opfern deutlich formuliert: Die militärische Zerstörung der Gruppe sowie die Befreiung aller rund 240 entführten Geiseln.

Im Gazastreifen sind bei israelischen Angriffen laut dem Hamas-geführten Gesundheitsministerium seit Kriegsbeginn rund 11.000 Menschen getötet worden, mehr als 4.400 von ihnen Kinder. Ganze Stadtviertel liegen in Schutt und Asche.

Die Hamas will keine Besserungen in Gaza

Am Freitag meldeten die Hamas und die Weltgesundheitsorganisation Angriffe auf das Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt und weitere Kliniken. Dort suchen tausende Menschen Schutz, unter dem Komplex wird aber auch ein wichtiges Hamas-Kommandozentrum vermutet.

Die blutige Reaktion Israels mit ihren furchtbaren Folgen für die zivile Bevölkerung scheint angesichts der jüngsten Äußerungen der Hamas-Führung genau das, was die Organisation mit ihrem grausamen Überfall beabsichtigt hatte. Es sei klar gewesen, dass die Reaktion auf den Überfall groß sein würde, sagte Chalil al-Haja, Mitglied des Hamas-Politibüros, der New York Times in Katar.

Es sei jedoch nötig gewesen, „die gesamte Gleichung zu ändern und nicht nur einen Schlagabtausch zu haben“. Das Ziel sei nie gewesen, Gaza mit Treibstoff und Arbeitsplätzen zu versorgen. „Es ist uns gelungen, die palästinensische Frage wieder auf den Tisch zu bringen.“

Während Israel nach dem 7. Oktober möglichst schnell einen Erfolg braucht, profitiert die Hamas, je länger der Krieg dauert. Die Hamas-Kämpfer operieren mutmaßlich auch aus zivilen Einrichtungen wie Moscheen und Kliniken heraus, kennen das Territorium und können gut untertauchen. Seit dem Beginn der Bodenoffensive vor zwei Wochen sind mehr als 40 israelische Soldaten getötet worden.

Die Hamas profitiert, denn mit jedem Tag steigt das Leid der mehr als zwei Millionen Bewohner von Gaza, während international die Akzeptanz für Israels Gegenangriff abnimmt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron appellierte am Donnerstag bei einer Geberkonferenz in Paris an Israel, „das Recht zu respektieren und die Zivilbevölkerung zu schützen.“ Besorgt äußerte sich auch der oberste General der US-Streitkräfte, Charles Q. Brown: Je länger der Krieg dauere, desto schwerer werde ein Sieg.

Delegitimierung schreitet voran

Während Israel die Zeit davonläuft, plant die Hamas langfristig. Ihr Ziel, den jüdischen Staat zu delegitimieren, könnte womöglich selbst eine vollständige militärische Niederlage überdauern. Bereits jetzt ist eine zunehmend feindselige Haltung gegenüber Israel in vielen arabischen Staaten und in Ländern des globalen Südens zu beobachten.

Die Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien im Rahmen der Abraham-Abkommen, die bis Oktober unter Vermittlung der USA vorangetrieben wurden, sind vorerst gestoppt. Der saudi-arabische Investitionsminister Chalid al-Falih sagte, die Möglichkeit sei weiter „auf dem Tisch“. Der „Rückschlag“ zeige aber die Wichtigkeit einer „Lösung des Konflikts mit den Palästinensern“.

Die israelische Führung lehnt eine mehrtägige Waffenruhe weiterhin ab, hat aber täglichen regionalen Kampfpausen zur Evakuierung von Zivilisten und für den Transport humanitärer Hilfsgüter zugestimmt. US-Außenminister Antony Blinken begrüßte diese Entscheidung, forderte aber mehr humanitäre Zugeständnisse.

Am Freitag flog auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erneut in die Region. Bei ihren Treffen in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel dürfte neben der humanitären Situation und der Freilassung der Geiseln auch die Frage nach einem Plan für die Zeit nach dem Gazakrieg auf dem Programm stehen.

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