Ministerpräsidenten über Migration: Weitere Asyl-Verschärfung absehbar

Die Län­der­che­f*in­nen treffen sich mit Kanzler Scholz, es geht um die Migrationspolitik. NGOs befürchten Schlimmes.

Zwei Frauen mit Kopftüchern sitzen auf einem großen, blauen Koffer

Zwei Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Berlin: Menschenrechtsgruppen kritisierten den Kurs von Bund und Ländern Foto: Florian Gärtner/photothek/imago

BERLIN taz/epd/dpa | Vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) zeichnen sich weitere Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik ab. Neben dem geplanten Bezahlkartenmodell soll es am Mittwochnachmittag um eine mögliche Arbeitspflicht auch für sozialversicherungspflichtige Jobs gehen. Im Vorfeld der Konferenz betonten SPD-Politik*innen, was bisher schon erreicht wurde, Unions-Politiker*innen forderten dagegen weitere Verschärfungen. Menschenrechtsgruppen kritisierten den Kurs von Bund und Ländern in der Flüchtlingspolitik als grundlegend falsch.

Dass die Länder ein Bezahlkarten-Modell für Geflüchtete einführen wollen, steht schon seit Januar fest. Streit gab es zuletzt noch um die Frage, ob dies auch von Bundesregierung und Bundestag im Asylbewerberleistungsgesetz festgehalten werden soll, um Rechtssicherheit zu schaffen. Die Grünen hatten sich lange dagegen gewehrt, am vergangenen Freitag im Kabinett aber doch zugestimmt. Die Karte soll Geldleistungen an Asyl­be­wer­be­r*in­nen ersetzen und Überweisungen an die Familie im Herkunftsland verhindern. Implizit soll sie wohl auch abschreckend wirken und Menschen davon abhalten, nach Deutschland zu kommen.

Zweites wichtiges Thema dürfte eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge sein. Für gemeinnützige Tätigkeiten können die Kommunen eine solche Pflicht bereits jetzt verhängen. Der CDU-Landrat des Saale-Orla-Kreises, Christian Herrgott, hatte im Februar für Aufsehen gesorgt, als er diesen Schritt ging. Eine Arbeitspflicht für sozialversicherungspflichtige Jobs ist nach aktueller Gesetzeslage aber nicht möglich. Genau die fordern seit einigen Tagen nun verschiedene Unions-Politiker*innen, so etwa der Präsident des Landkreistages Reinhard Sager (CDU).

Schon bei der letzten Konferenz im November hatte der Bund den Ländern außerdem zugesagt, Asylverfahren außerhalb Deutschlands in Drittstaaten zu prüfen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bestätigte am Dienstag gegenüber dem Spiegel, die Prüfung, „ob Asylverfahren auch rechtsstaatkonform in Drittstaaten möglich sind, werden wir gemeinsam mit Migrationsexperten und Juristen intensiv fortsetzen“. Vorstellbar seien „engere Kooperationen vor allem mit den Staaten, die an den Fluchtrouten liegen und Menschenrechte wahren“.

Menschenrechtsorganisationen fordern Wende

Po­li­tik*in­nen von SPD und Grünen betonten am Mittwochmorgen vor allem, was bisher schon erreicht worden sei. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch), die Ministerpräsidentenkonferenz im November habe „weitgehende Regelungen getroffen, um irreguläre Migration zu begrenzen, eine gerechtere Verteilung in Europa zu erreichen und Deutschland damit zu entlasten“. Sehr vieles sei bereits umgesetzt. Dreyer nannte unter anderem die Gesetzgebung für schnellere Abschiebungen und Kontrollen an den EU-Binnengrenzen, aber auch die noch andauernden Beratungen zur Einführung der Bezahlkarte.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht es nach Angaben eines Sprechers grundsätzlich skeptisch, immer neue Forderungen in den Raum zu stellen. „Die Ministerpräsidentenkonferenz hat Ende letzten Jahres bereits weitreichende Beschlüsse gefasst“, sagte der Sprecher dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Nun geht es erst mal darum, dass das Beschlossene vollständig umgesetzt wird, und zu schauen, ob wir gegebenenfalls an manchen Stellen nachsteuern müssen.“

Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow warnte in der Rheinischen Post vor einem „Überbietungswettbewerb um die krassesten Formulierungen“ in der Asylpolitik. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, sagte: „Als wäre die Hetze der Union nicht schon schlimm genug, denkt Innenministerin Nancy Faeser laut über die Auslagerung von Asylverfahren in außereuropäische Drittstaaten nach.“ Die sei ein „unerhörter Tabubruch, der massiv gegen Menschenrechte verstößt.“

CDU-Politiker*innen machen dagegen weiter Druck und kritisieren die bisherigen Verschärfungen als nicht weitgehend genug. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) erklärte, viele Verabredungen vom November seien noch nicht umgesetzt worden. „Deswegen wäre für mich heute wichtig zu erfahren, wie die Bundesregierung an den Themen arbeitet“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“. Allein im Januar seien 28.000 Asylbewerber nach Deutschland gekommen, obwohl in den Wintermonaten für gewöhnlich weniger Menschen einträfen. „Der Druck bleibt unglaublich groß.“

Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Andrea Lindholz, sagte am Mittwoch, die Bundesregierung setze die bisherigen Beschlüsse „nur schleppend und inkonsequent um.“ Sie forderte: „Alle Spielräume zur Senkung von Asylbewerberleistungen, gerade auch für Ausreisepflichtige, müssen genutzt werden.“ Es brauche mehr sichere Herkunftsstaaten und das Ende aller freiwilligen Aufnahmeprogramme.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte dem RND: „Ich erwarte von der Ministerpräsidentenkonferenz vor allem, dass sie unmissverständlich formuliert, dass wir die Zuwanderung begrenzen.“ Er wiederholte die bayerische Forderung einer „Integrationsgrenze“, also einer Obergrenze für Geflüchtete, Ministerpräsident Markus Söder hatte dafür eine Zahl von 60.000 Personen pro Jahr ins Gespräch gebracht.

Grundlegende juristische Bedenken

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte, nur noch diejenigen Asylbewerber auf die Kommunen zu verteilen, die eine gesicherte Bleibeperspektive haben. Städte und Gemeinden seien bei der Versorgung der Geflüchteten an der Belastungsgrenze, sagte Hauptgeschäftsführer André Berghegger der Augsburger Allgemeinen (Mittwoch). Außerdem brauche es eine soziale Infrastruktur, damit Kinder sich schnell integrieren und Eltern Integrationskurse besuchen oder einer Arbeit nachgehen könnten, fügte Berghegger hinzu: „Asylbewerber mit Bleibeperspektive sollen möglichst schnell nach ihrer Ankunft in den Arbeitsmarkt vermittelt werden.“

Der Sachverständigenrat Integration und Migration machte bei den Überlegungen zur Arbeitspflicht juristische Bedenken geltend. Der Vorsitzende des SVR, Hans Vorländer, sagte zudem, dass Arbeit zwar einen wichtigen Beitrag zur Integration von Geflüchteten leisten könne. „Doch ob dies im Zuge einer Arbeitspflicht für Asylsuchende geschehen kann, ist sehr zweifelhaft.“ Es müssten bestehende Hürden gesenkt werden, die Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt ausschließen, etwa das Arbeitsverbot, das die ersten drei Monate nach Ankunft in Deutschland gilt.

Die Diakonie forderte einen grundlegenden Richtungswechsel in der Asylpolitik. Angesichts weltweit steigender Flüchtlingszahlen sei es „völlig realitätsfern anzunehmen, dass sich die Zahl der nach Deutschland flüchtenden Menschen durch Leistungskürzungen oder eine Bezahlkarte signifikant reduzieren lässt“, sagte die Sozialvorständin des evangelischen Wohlfahrtsverbandes, Maria Loheide. Stattdessen müssten Instrumente gestärkt werden, die die Integration voranbringen. Dazu gehöre die vollständige Abschaffung von Arbeitsverboten für Asylbewerber. Auch Arbeiterwohlfahrt und Paritätischer Gesamtverband kritisierten die Pläne für Bezahlkarte und ausgelagerte Asylverfahren in einem offenen Brief. Es brauche Investitionen in die Sozialsysteme für Geflüchtete statt weiterer Verschärfungen.

Der Rat für Migration kritisierte Bezahlkarte und Arbeitspflicht am Mittwoch ebenfalls in einem Statement. Die Behauptung, Flüchtlinge überwiesen ohne Bezahlkarte ihr Geld an Schlepper oder ins Ausland, sei „spekulativ, wissenschaftlich unhaltbar und integrationspolitisch kontraproduktiv“. Auch an der von der Bundesregierung geprüften Auslagerung von Asylverfahren an Drittstaaten übte der Rat Kritik. Es gebe „enge rechtliche und praktische Grenzen“ für solche Vorhaben.

Aktualisiert und ergänzt am 06.03.2024 um 12:00 Uhr. d. R.

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