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Au­to­r*in zur Stadtbild-DebatteDer böse Traum vom gereinigten Deutschland

Woran will Bundeskanzler Merz eigentlich das irregulär Migrantische erkennen? Seine Äußerungen zum deutschen Stadtbild sind menschenverachtend.

Für ein sauberes Deutschland: Kanzler Merz bei einer Regierungserklärung Foto: REUTERS/Lisi Niesner

In einer der Nächte nach Friedrich Merz' Auftritt in Brandenburg, bei dem er seine Sorge um das deutsche „Stadtbild“ mit der Öffentlichkeit teilte, hatte ich einen Traum. Uniformierte Frauen standen vor meiner Tür und erklärten, ich dürfe mir aussuchen, in welches Land ich abgeschoben werde. Dass es passieren würde, war nicht mehr Verhandlungssache, allerdings wurde mir die Gnade zuteil, selbst zu bestimmen, wohin. So weit, so unsubtil, da braucht es keine Traumdeutung.

Merz' Ansage verfolgt mich immer noch, auch tagsüber: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“

Nun weiß ich natürlich, dass der Bundeskanzler nicht Leute wie mich meint. Ich bin aschkenasisch-jüdisch, schreibe Romane und Theaterstücke, führe ein bürgerliches Leben, manchmal trage ich sogar Anzüge. Ich werde weiß gelesen und als Frau. Wäre ich nicht non-binär und lesbisch, passte ich vermutlich optimal in Friedrichs Merz´ Vorstellung von jenen, die bleiben dürfen, während andere aus dem „Stadtbild“ und überhaupt aus Deutschland entfernt gehören.

Zu diesem Text

Sasha Marianna Salzmann ist Schrift­stel­le­r*in und Kurator*in. Viefältige Auszeichnungen, zuletzt mit dem Kunstpreis Berlin 2020 und dem Kleist-Preis 2024. Sasha Marianna Salzmanns Bücher erscheinen im Suhrkamp Verlag.

Die Öffentlichkeit durfte unlängst verfolgen, wie Friedrich Merz anlässlich der Wiedereröffnung der Münchener Synagoge mit einer Kippa auf dem Kopf Tränen vergoss. Er führte beispielhaft vor, wie ein deutscher Nazinachfahre das Leid millionenfach ermordeter Jüdinnen und Juden beweint. Ich habe keinen Anlass, ihm seine Erschütterung nicht zu glauben.

Xenophobe Gewalt steigt

Wenn Merz nun also andeutet, dass er Straßen und Plätze säubern lassen wird, dann meint er nicht jüdisches Leben, natürlich nicht. Er meint die „anderen“, die aus dem Osten, aus dem Nahen Osten, die Muslime, er meint alle Nicht-Regulierten. Woran erkennt man eigentlich das irregulär Migrantische, das Migrantische überhaupt? An den schwarzen Haaren, der schwarzen Haut, den Augen, dem Schnitt des Gesichtes, dem Kopftuch, der Sprache, die nicht westeuropäisch klingt? Sitzen die Irregulären in Shisha-Bars?

Gibt man in diesen Tagen der Versuchung nach, zynisch zu werden, muss man feststellen: Die Verwirklichung des Kanzler-Traums von einem gereinigten Deutschland macht große Fortschritte. Nicht nur die rechtswidrige Asylpolitik hilft, längst kümmern sich schon gewaltbereite Rechtsradikale darum.

In alten wie neuen Bundesländern steigt die xenophobe Gewalt. In Städten wie Magdeburg gehen migrantische Menschen oder diejenigen, die annehmen müssen, von anderen dafür gehalten zu werden (Hautfarbe, Haarfarbe, Augenfarbe), mittlerweile mit einem Alarmknopf in der Tasche auf die Straße. Sprachkurse müssen abgesagt werden, weil sich die Teilnehmenden nicht vor die Tür trauen. Begleitdienste für Frauen werden organisiert.

In Sachsen-Anhalt liegt die AfD aktuell bei 40 Prozent, und wenn im September nächsten Jahres gewählt wird, ist sie auf den von der CDU bestrittenen Willen zur Zusammenarbeit – der auf kommunaler Ebene bereits praktiziert wird – womöglich schon nicht mehr angewiesen.

Das Erbe ernst nehmen

Um die Menschenrechtsanwältin Christina Clemm zu zitieren: „Wenn ein Bundeskanzler eine solche Aussage tätigt, dann muss es doch niemanden verwundern, dass selbstbewusste Neonazis es von sich aus vollstrecken und alle jagen und verprügeln, die nicht ins völkische Menschenbild passen.“

Ja, ich weiß, Friedrich Merz meint nicht mich, aber ich hatte diesen Traum, weil ich dennoch mitgemeint bin. Ich bin migrantisch. Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Ich sitze gerne in Shisha-Bars. Meine Urgroßeltern waren Ärz­t*in­nen bei der Roten Armee, sie haben die Scharfschützen von Stalingrad zusammengeflickt. Sie waren erklärte Antifaschist*innen. Und dieses Erbe nehme ich sehr ernst.

So wie ich mir wünschen würde, dass ein Bundeskanzler, dessen Großvater sich früh um die Mitgliedschaft in der NSDAP bemühte, sein Erbe ernstnimmt und nicht vom Reinigungsbedarf deutscher Straßen und Plätze infolge unregulierter Migration fantasiert – ausgerechnet bei einem Auftritt in Brandenburg, wo bei der letzten Bundestagswahl 32,5 Prozent der Teilnehmenden die AfD wählten.

Aber vielleicht ist die Stadtbild-Ansage ja gerade Merz' Art, mit seinem Erbe umzugehen. Einem Erbe, dem sich in Deutschland immer schon viele verpflichtet fühlten. 1995 kam ich hierher und wurde von Neonazis durch die Straßen einer westdeutschen Kleinstadt gejagt. Meine Familie und ich wohnten damals im Asylheim.

Drei Jahre zuvor, 1992, wurde die Zentrale Aufnahmestelle für Asyl­be­wer­be­r*in­nen in Rostock-Lichtenhagen angegriffen, das dazugehörige Wohnheim in Brand gesteckt. Im selben Jahr ging in Mölln das Haus der Familie Arslan in Flammen auf. 1993 folgte der Brandanschlag in Solingen usw. Die Liste der Versuche, Deutschland rein aussehen zu lassen, ist unerträglich lang.

Ausdruck eines völkischen Verständnisses

Im aktuellen politischen Klima ist Merz' Aussage keine unglückliche Wortwahl, sondern eine Ansage. Es ist die Bekräftigung des AfD-Versprechens der sogenannten Remigration. Es ist der Ausdruck eines völkischen Verständnisses von Deutschland. Es ist menschenverachtend. Ein „Nie wieder!“ wird zur leeren Phrase, wenn nicht zugleich die Ursache der mörderischen Gewalt und ihre aktuellen Ausformungen in Politik, bei den Behörden und in Reden wie der von Friedrich Merz untersucht werden.

Ich empfinde es als beschämend, dass der vermeintliche Schutz jüdischen Lebens als perfides Argument für die kontinuierliche Aushöhlung des Asylrechts missbraucht wird. Welche Art der Lehre aus der Vergangenheit soll das sein?

Für Jüdinnen und Juden kann es aus der Geschichte nur eine Lehre geben: Die Einteilung in jene, die aus dem Stadtbild entfernt gehören, und in jene, die in das Stadtbild passen und deshalb verschont bleiben, ist nicht hinnehmbar. Verschont zu welchem Preis? Was wird von einem jüdischen Menschen gefordert, um Teil der deutschen Gesellschaft zu sein? Ganz offensichtlich die Komplizenschaft für eine Politik, die unser Überleben damals unmöglich gemacht hätte.

Würde die deutsche Gesellschaft ihr Erbe wirklich ernst nehmen, gäbe es die AfD nicht und wir müssten nicht über das Verbot einer als gesichert rechtsextremistischen Partei debattieren. Wovon auch immer Friedrich Merz so tief ergriffen war, als er in der Münchner Synagoge Tränen über das Leid jüdischer Menschen in Deutschland vergoss, eines muss klar sein: Wenn er die Straßen und Plätze dieses Landes von migrantischem Leben reinigen will, dann reinigt er meines mit.

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12 Kommentare

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  • Was solchen Leuten so "rausrutscht" zeigt doch einfach nur, was sie wirklich denken, und dass sie sich ständig beim sprechen selbst zensieren müssen.



    Das ist auch wahrscheinlich der Grund, weshalb große Teile der CDU nicht wirklich Politik machen wollen, die der AFD die Wähler abgräbt. Sie wollen den Rechtsrutsch. Mal wieder gibt es genügend Steigbügelhalter, die nachher sagen wollen: "Na, DAS haben wir ja nicht gemacht...", aber die dann doch froh sind, wenn es so kommt.

    Traue niemandem, der sich ständig selbst zensiert. Aber vertraue darauf, dass das, was "rausrutscht", die Wahrheit ist.

  • Jetzt sitze ich schon seit Tagen und mir ist immer noch nicht klar, was Merz eigentlich mit dem Begriff "Stadtbild" gemeint hat. Ich fürchte, genau das hat er gewollt. Er bleibt bewusst undeutlich, appelliert damit an unklare Gefühle, an diffuse Ängste vor dem Fremden und der Angst vor ja - was eigentlich. Dass plötzlich aus dem Nichts irgendetwas Schreckliches passiert.



    Ja, da gab es einige Morde, die von Migranten begangen wurden. Schlimm! Aber gab es nicht auch schon solche Untaten, die von Deutschen begangen wurden. Der Unterschied ist: die wurden von der Rechten nicht so aufgebauscht und als Beispiel für das Schlechtsein des Menschen an sich genommen. Es waren halt Einzelfälle. Und die schrecklichen Taten der Migranten sind halt auch Einzelfälle.



    Ich lebe nun seit über sieben Jahrzehnten in einer Großstadt mit hohem Migrantenanteil. Und ich würde nicht behaupten, dass sich das Stadtbild verschlechtert hat. Und seien wir doch einmal ehrlich, die Bahnhofsgegenden waren schon immer Anziehungspunkte für Menschen, die da dubiosen Geschäften nachgingen oder einfach nur abhingen. Das hat mich schon immer ein wenig gestört - aber dieses Bild gehört halt zum Leben in einer Stadt.

  • Sie haben völlig Recht.



    Diese Aussage ist unsäglich.



    Wenns nach mir gehen würde, müßte er sein Amt niederlegen.



    Ich möchte keinen Bundeskanzler, der sowas sagt.

  • Starker Text !!!



    "Bie wieder" im weiteren Sinne bezogen auf menschenfeindliche und rassistische Ausgrenzung wird in Deutschland faktisch auf bestimmte Gruppen begrenzt und ist damit ein Zeichen von heutiger, "alternativer" gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

  • Ich habe hier in den USA einen Freund, schon im betagten Alter. Hochgebildet,sehr Erfolgreich. Er ist hier bei einer amerikanischen Familie aufgewachsen,seine leiblichen Eltern waren aus Boehmen. In seinen jungen Jahren begab er sich auf eine Laengere Europareise, hat aber Deutschland nie betreten. Ich konte ihn nie ueberzeugen, das sich Deutschland Veraendert hat.Das tat mier sehr Weh. Als Merkel vor 15 Jahren Deutschland fuer Migranten oeffnete, rief er mich an und teilte mier mit, Das er mich jetzt glaubt, was mich zutiefst ruehrte. Jetzt habe ich wieder Angst und Scham mit ihm Kontakt auf zu nehmen.

  • Die Angst oder auch Skepsis vor dem Fremden ist ein Grundpfeiler konservativer Denkweise.

    Das ist nicht neu und nicht nur in Deutschland so. Die Aussage von Merz erhält jetzt nur in der Öffentlichkeit eine ganz andere Gewichtung, weil die Rechtspopulisten durch jahrelange Indoktrinierung den Diskurs verschoben haben. Einstige Tabus in der Gesellschaft sind jetzt sagbar geworden und dadurch ergibt sich ein ganz anderes Bild.

    Mit einem völkischen Mentalitätswandel hat das lediglich in Bezug auf die Identitätsfrage zu tun, die sich in Europa nach Ende des Kalten Krieges gestellt hat und bei der fast alle europäischen Staaten den Weg eingeschlagen haben sich auf das Nationale rückzubesinnen. Und in diesem Kontext ist das Völkische natürlich eine gewichtige Komponente.

    Der Aufstieg der Rechtspopulisten ist weder der Zuwanderung geschuldet noch hat er wirtschaftliche Hintergründe sondern wurde durch die etablierten Parteien ermöglicht, die der Gesellschaft keine glaubwürdige Zukunftserzählung angeboten haben und das Feld der Identitätsfindung den Rechtspopulisten überlassen haben.

    Die Äußerungen/Aktivitäten von Merz & Co sind daher der hilflose Versuch verlorenen Boden gutzumachen.

  • Danke für diesen Text, der einfach deutlich ausspricht, was hinter Merz' Aussage steckt. Leider kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Herr Merz und seine CDU-Konsorten solche Aussagen aus Überzeugung tätigen -- ihr Deutschlandbild ist das einer ländlichen Kleinstadt der 1970er Jahre, als sich alles, was nicht dem Weltbild der Mehrheit entsprach, verschämt in Kellern oder in den Schmuddelecken am Stadtrand rumdrücken musste und von der Mehrheitsgesellschaft seinen Platz zugewiesen bekam. Dass man dabei die Gewaltphantasien von Neonazis bedient -- geschenkt. Man bekommt ja nicht selbst auf die Fresse.



    Ich befürchte, bis zum nächsten Rostock-Lichtenhagen, Mölln oder Hanau dautert es nicht mehr lange. Und dann ist wieder das Boot voll ...

  • Diese Aussage von Herrn Merz ist meines Erachtens menschenfeindlich und ich glaube auch nicht, dass diese "im Eifer des Gefechts" getätigt wurde. Allerdings glaube ich auch nicht, dass er damit uns Juden (meine Mutter war Jüdin) j gemeint hat, sondern unsere muslimischen Mitbürger, die nach ihrer Tradition/ Glauben Kopftuch und vielleicht auch Vollverschleierung tragen.

  • Merz ist ein Rassist, War ja nicht zum ersten mal das er auf unsere migrantischen Mitbürger losgegangen ist. Völlig ungeeignet als Bundeskanzler.

  • >Es ist der Ausdruck eines völkischen Verständnisses von Deutschland. Es ist menschenverachtend.<

    Geht es nicht ein paar Nummern kleiner? Menschenverachtend weil unbegrenzte Zuwanderung nicht gewollt ist? Ja - es gibt viele Menschen, die nach Deutschland zuwandern wollen und die die Regierung hier nicht haben will. Millionen von Afghanen, Arabern, Pakistanis, Bangladeshis, Inder. Das ist sicher diskriminierend weil diese Menschen anders behandelt werden als Ukrainer und Rumänen, die die Regierung unbegrenzt ins Land lässt.

    Aber Menschenverachtend und rassistisch? Ich weiß ja nicht - ein bisschen herkömmlich Stadtbild ist für die hier Lebenden doch gar nicht schlecht.

  • Ein sehr feinfühliger und scharfsinniger Artikel von Sasha Marianna Salzmann, Kompliment! Die Autorin schreibt:

    "Ich empfinde es als beschämend, dass der vermeintliche Schutz jüdischen Lebens als perfides Argument für die kontinuierliche Aushöhlung des Asylrechts missbraucht wird. Welche Art der Lehre aus der Vergangenheit soll das sein?

    Für Jüdinnen und Juden kann es aus der Geschichte nur eine Lehre geben: Die Einteilung in jene, die aus dem Stadtbild entfernt gehören, und in jene, die in das Stadtbild passen und deshalb verschont bleiben, ist nicht hinnehmbar."

    In der Tat ist es so, dass es sicherlich keine Bekämpfung des Antisemitismus ist, wenn man eine Diskriminierung gegen die andere austauscht.

    Oder anders gesagt: Tränen auf der einen und unmenschliche, eisige Kälte auf der anderen Seite - sorry, Herr Merz, damit lügen Sie sich und den Menschen "in diesem unserem Lande" in die Tasche.

    Humanismus gibt es nur für Alle gleichermaßen oder für niemanden!

  • Danke Fr Salzmann, auf den Punkt gebracht. Chapeau. Zum Glück kann ich wie Sie auf eine aufrecht gehende Ahnenreihe zurückblicken.



    Grüße von einem immer mehr erschreckenden Bürger dieses Landes.