Aminata Touré schlägt Asylgrund vor: Verstümmelung als Vorbedingung?

Die Grünen-Politikerin Aminata Touré fordert die Anerkennung weiblicher Genitalverstümmelungen als Asylgrund. Aber das ist der falsche Schritt.

Frauen, die in die Kamera lächeln

Mütter, Tanten und Großmütter fügen ihren Kindern nicht mit böser Absicht Schaden zu, im Gegenteil Foto: Monicah Mwangi

Wenn sich Po­li­ti­ke­r:in­nen bei Debatten über den Schutz von Asylsuchenden zerfleischen, argumentieren sie oft an der eigentlichen Realität der Betroffenen vorbei. So auch die Gleichstellungsministerin von Schleswig-Holstein, die Grünen-Politikerin Aminata Touré.

Nachdem der CDU-Politiker Thorsten Frei am Dienstag das Ende des Asylrechts der Einzelnen in der EU gefordert hatte, sprach sich Touré am Mittwoch für die uneingeschränkte Anerkennung von Betroffenen von weiblicher Genitalverstümmelung als Asylgrund in Deutschland aus.

Weibliche Genitalverstümmelung, kurz FGM aus dem Englischen „Female Genital Mutilation“, ist ein weltweit praktiziertes Beschneidungsritual an Mädchen und Frauen, vermutlich auch trans Jungen und trans Männern. Meistens werden Mädchen im Alter zwischen 4 und 14 Jahren die Klitoris und Vulvalippen ohne medizinische Begründung beschnitten oder vollständig entfernt, manchmal unter hygienisch riskanten Bedingungen etwa mit nicht sterilen Rasierklingen. Die verbliebenen Hautfetzen werden anschließend zugenäht, sodass nur noch eine kleine Öffnung für Ausscheidungen von Urin und Menstruationsblut bleibt.

Die Konsequenzen für Betroffene reichen von psychologischem Trauma, Entzündungen, extremen Schmerzen beim Wasserlassen und beim Zyklus sowie bei penetrativem Geschlechtsverkehr. Drei bis sieben Prozent der Betroffenen sterben jährlich unmittelbar durch den Eingriff, in den Jahren danach erhöht sich die Zahl auf bis zu 30 Prozent durch Komplikationen bei der Geburt oder durch Infektionen.

Engagierter Vorschlag – aber wie umsetzen?

Betroffen von dieser patriarchalen Brutalität – in den praktizierten Gesellschaften werden die Beschnittenen als „rein“ und „qualifiziert als Heiratsmaterial“ gesehen – sind etwa 200 Millionen Mädchen und Frauen. In Europa sollen laut Schätzungen 700.000 Frauen beschnitten sein, in Deutschland könnten 100.000 zu den Betroffenen gehören, mit steigender Tendenz. Dabei gilt FGM in Deutschland als schwere Körperverletzung nach §226a StGB.

Die Initiative der Grünen-Politikerin Aminata Touré ist deshalb ein engagierter Vorschlag. Wer vor einer anstehenden Genitalverstümmelung flieht, flieht auch um ihr eigenes Leben. Allerdings stellt sich die Frage nach der Umsetzung. Wie sollen Betroffene, die vor einer anstehenden FGM fliehen, ihre Situation nachweisen? Werden nur bereits praktizierte FGM als Asylgrund anerkannt? Werden Anträge von unbeschnittenen Frauen weniger schwer gewichtet, weil ihre Körper einer Menschenrechtsverletzung entkommen konnten?

Für Betroffene, die FGM erlebt haben, ist das Thema oft Tabu. Viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen – wenn ihnen denn überhaupt bewusst ist, dass das, was ihnen angetan wurde, Gewalt war. Touré sagt selbst, dass Betroffene „sich nicht trauen, das Thema offen anzusprechen“. Der Grünen-Politikerin zufolge sollen Behörden besser sensibilisiert werden, um Betroffene über ihre Rechte aufzuklären, da FGM „ihre Chancen im Asylverfahren verringern“ kann.

Abgelehnt, wenn nicht beschnitten?

Müssen Betroffene vor jedem Asylantrag, der ohnehin schon nervenaufreibend ist, wochenlang auf einen ärztlichen Termin warten, um gegebenenfalls von einem unsensiblen Arzt untersucht zu werden? Werden flüchtende Mädchen und Frauen dann abgelehnt, wenn sie nicht beschnitten sind?

So schrecklich das Ritual auch ist: Die Mütter, Tanten und Großmütter fügen den Kindern nicht mit böser Absicht Schaden zu, im Gegenteil. Ihrem Verständnis zufolge entspricht FGM der sozialen Norm und soll dem Kind Vorteile verschaffen. Und wenn FGM anerkannter Asylgrund wird, stellt sich ein neues Problem: Wenn Mütter ihre Töchter eigentlich vor FGM schützen wollen, überlegt sie es sich vielleicht doch anders, wenn die Tochter dadurch mehr Chancen auf Asyl in Deutschland hätte.

Mehr Sensibilisierung für die Situation von flüchtenden Frauen ist wichtig, und dafür ist eine besondere Schulung, wie Touré fordert, unbedingt notwendig. Doch Flucht sollte unabhängig von Körperverletzung als Asylgrund ausreichen. Ein besserer Schritt wäre, die Länder, in denen FGM vor allem verbreitet ist, nicht als sichere Herkunftsstaaten einzustufen.

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In Tokyo und Hamburg aufgewachsen, Auslandsjahr in Shanghai. Studium in Berlin, Chongqing und Halle. Schreibt seit 2021 für die taz. Kolumnistin des feministischen Magazins an.schläge (Foto: Hella Wittenberg)

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