Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft: Lange Nacht mit prekärer Forschung

Beschäftigte an den Unis wollen mit Protestaktionen zur Langen Nacht der Wissenschaften auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam machen.

Zwei Wissenschaftler*innen produzieren in einem Labor Eis mit Hilfe von flüssigem Stickstoff, eine Gruppe Menschen schaut gespannt dabei zu und

Neben Raum für Kreativität und Experimente gehört auch Ausbeutung zum Traumjob For­sche­r*in Foto: Gregor Fischer

BERLIN taz | Am kommenden Samstag laden Berlins Universitäten zur 21. Langen Nacht der Wissenschaften. Viele Forschungseinrichtungen öffnen ihre Türen, über 2.000 Veranstaltungen sind geplant. Berlin möchte in der „klügsten Nacht des Jahres“, wie es auf der Senatswebsite heißt, die Stadt als Ort der Forschung und Innovation präsentieren. „Mich macht das wütend“, sagt Barbara Orth. „Für uns ist im Grunde jede Nacht die lange Nacht der Wissenschaften.“

Die Nacht Rund 60 Einrichtungen in Berlin und Potsdam präsentieren am Samstag von 17 bis 24 Uhr ihre Arbeit, etwa 300 Veranstaltungen sind speziell für Kinder und Jugendliche. Sie sollen Lust auf Forschung und Wissenschaft machen. Eintritt: 14 Euro regulär, 9 Euro ermäßigt, unter sechs Jahren frei. Mehr Infos zur Nacht.

Die Aktionswoche Wissenschaft Findet bundesweit an über 30 Standorten statt. In Berlin protestiert die Gruppe TV-Stud am Samstag um 18 Uhr vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität. Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft und Fair Academia planen ebenfalls um 18 Uhr am Samstag eine Aktion, der Ort ist noch geheim und wird kurzfristig über den Twitterkanal @NGA_Wiss bekannt gegeben. Mehr Infos unter: https://mittelbau.net/ und https://tvstud.berlin/ (taz)

Orth ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin. In der Geografie schreibt sie gerade ihre Doktorarbeit. „Auf der Langen Nacht der Wissenschaften werden Dinosaurier und Co. als tolle Forschungsarbeit verkauft, aber dabei wird vergessen, unter welchen Bedingungen die Forschung stattfindet“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich kenne Leute, die haben in fünf Jahren 17 befristete Stellen. Dazu gibt es viele Überstunden, Konkurrenzdruck und deshalb höhere Burnout-Raten als in anderen Berufsgruppen.“

Und es gebe noch ein weiteres gravierendes Problem. „Wir haben keine Chance auf eine richtige Lebensplanung. Bis Ende 30, Anfang 40 haben wir nur befristete Verträge. Danach gibt kaum etwas Langfristiges an den Unis.“, sagt Orth. Die meisten Promovierenden seien also gezwungen, entweder den Beruf zu wechseln oder ins Ausland gehen. Eine so prekäre Perspektive schließe besonders Menschen mit Pflegeverantwortlichkeiten für Kinder oder Angehörige aus dem Wissenschaftsbetrieb aus, erklärt Orth. Oder Menschen, die sich eine solche „Selbstausbeutung nicht leisten können“.

Das Kernproblem für die Wissenschaftlichen Mitarbeitenden der Hochschulen ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (kurz: WissZeitVG). Das schreibt vor, dass WiMis – wie die Arbeitenden in Forschung und Lehre abgekürzt werden, die nicht Pro­fes­so­r*in­nen sind – vor und nach ihrer Promotion jeweils maximal sechs, also insgesamt zwölf Jahre befristet beschäftigt werden dürfen. Danach müssen sie in eine unbefristete Stelle wechseln oder dürfen bundesweit nicht mehr forschen und lehren.

Das Bundesamt für Bildung und Forschung verspricht sich davon Innovationskraft, erntet dafür aber bereits seit Jahren Kritik im Netz. An den Unis ist ein bundesweiter Zusammenschluss entstanden, der versucht aufzuklären und politischen Druck zu erzeugen. Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft.

Tarifverhandlungen stehen an

Barbara Orth ist Teil des Netzwerks und plant gemeinsam mit ihren Kol­le­g*in­nen eine Aktion am Samstagabend – parallel zur langen Nacht der Wissenschaften – um 18 Uhr in Berlin. „Details kann ich noch nicht verraten. Aber das ist auch nur ein Teil unserer Arbeit“, sagt sie. Sie versuchten in Berlin gerade eine neue Vernetzung aufzubauen und sich fester zu organisieren. „Es ist nicht so, dass das Problem nicht klar ist, sondern dass wir nicht gehört werden, zu wenig Macht haben“, sagt sie. „Das jetzt so eine Aktionswoche stattfindet, stimmt mich aber hoffnungsvoll, dass wir mehr werden und etwas verändern können.“

Auch eine weitere Gruppe Beschäftigter im Hochschulbetrieb ist dabei, sich zu organisieren, und plant ebenso eine Aktion für Samstagabend, 18 Uhr. „Wir machen vor der HU eine Kundgebung gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft an sich“, sagt Louis von TV-Stud Berlin. Die Gruppe organisiert studentische Beschäftigte, um die Einhaltung und Erhöhung des studentischen Tarifvertrages (gleichnamig: TV-Stud) einzufordern.

„520 Euro im Monat sind zu wenig, vor allem wenn das durchschnittliche neu vermietete WG-Zimmer 640 Euro kostet.“, sagt er. Ganze Bevölkerungsgruppen – gerade Ar­bei­te­r*in­nen­kin­der und Studierende, die als Erste in ihrer Familie den Schritt an die Uni gemacht haben – würden so direkt wieder aus der Wissenschaft ausgeschlossen, erklärt Louis.

Ein Hebel zur Verbesserung der prekären Gehälter ist in diesem Jahr greifbar. Der TV-L, also der Tarifvertrag, der bundesweit die Gehälter der Beschäftigten in Lehre und Forschung regelt und an dem auch der TV-Stud hängt, wird im Herbst neu verhandelt. Für Louis sei klar, dass Zugeständnisse der Arbeitgeberseite nicht ohne Kämpfe dafür zu erwarten sind. „Wir sind dabei uns zu organisieren, in Berlin und bundesweit.“

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