Debatte Finanzkasino: Liberale Verrücktheiten

Die FDP hat die Eurokrise nicht verstanden. Sollte Christian Lindner Finanzminister werden, kann das der Untergang der Liberalen werden.

Eine Kasse und eine Hand

Die Wettbewerbsbedingungen in der Eurozone werden also verzerrt – zugunsten von Deutschland Foto: Photocase / MPower.

FDP-Chef Christian Lindner kokettiert damit, dass er deutscher Finanzminister werden könnte. Man kann nur hoffen, auch für ihn, dass er sich doch noch fürs Außenamt erwärmt. Denn die FDP würde scheitern, falls sie das Finanzministerium besetzt. Die Liberalen behaupten zwar, eine „Wirtschaftspartei“ zu sein, aber die Eurokrise haben sie nicht verstanden.

Der zentrale Irrtum: Die Liberalen glauben, dass ein Staat wie ein Unternehmen funktioniert. Wer „pleite“ ist, soll in die „Staatsinsolvenz“. Ein Euroland wie Italien würde also behandelt wie Air Berlin. Die marode Fluggesellschaft wird gerade abgewickelt, weil der Schuldenberg erdrückend ist.

Für die normalen Bürger ist dies weitgehend egal, denn die Hauptverlierer sind die Gläubiger: Wer Air Berlin Geld geliehen hat, wird nur wenig davon wiedersehen. Genauso stellen es sich die Liberalen auch bei den Eurostaaten vor: Gerät ein Land in Schieflage, würde nicht mehr die Eurozone haften. Sondern die Banken und Versicherungen sollen bluten, die diesem Land Kredite gewährt haben. „Bail-in“ heißt dies auf Finanzdeutsch.

Diese Idee mag einleuchtend klingen, ist aber mehrfach verrückt. Man stelle sich einmal vor, die europäischen Banken und Versicherungen müssten tatsächlich ihre Milliardenkredite an Italien abschreiben: Die Finanzkonzerne wären alle pleite. Also müsste der deutsche Staat doch einspringen – und beispielsweise die Allianz retten, damit Kleinsparer nicht ihre Lebensversicherung verlieren. Die FDP offeriert nur eine Scheinlösung, wenn sie „Staatsinsolvenzen“ fordert.

Zudem haben Staatsinsolvenzen fatale Nebenwirkungen, die niemand mehr kontrollieren kann. Gerade die Liberalen sollten dies wissen: Sie haben von 2009 bis 2013 den Wirtschaftsminister gestellt, haben also die besonders turbulenten Zeiten der Eurokrise erlebt – und zu verantworten. Man hätte erwarten können, dass sie aus ihren Irrtümern lernen.

Vertrauen in den Euro zerstört

Zu diesen Fehlern gehörte, Griechenland in eine „Staatsinsolvenz“ zu schicken. Wie bei einem konkursreifen Unternehmen kam es 2012 zu einem „Schuldenschnitt“, bei dem die Besitzer von griechischen Staatsanleihen einen großen Teil ihres Vermögens verloren. Es wurde nach dem beliebten Motto verfahren: Strafe muss sein. Wenn Banken und Versicherungen so leichtsinnig waren, Griechenland allzu viel Geld zu leihen, dann sollten sie dafür büßen.

Menschlich war dieser Sinn für Rache vielleicht verständlich, dumm war es trotzdem. Denn der Schaden ist bis heute zu spüren: Das Vertrauen in den Euro wurde zerstört. Seit dem griechischen Schuldenschnitt gilt es als denkbar, dass weitere Eurostaaten oder Banken Konkurs anmelden.

Es gibt jetzt 19 verschiedene Euros. Die Währungsunion wird von innen gesprengt, noch während sie existiert

Geld aber basiert auf Vertrauen, sonst verliert es seinen Wert. Daher gibt es jetzt nicht mehr einen Euro, sondern 19 verschiedene Euros: Ein griechischer oder italienischer Euro ist nicht mehr so viel wert wie ein deutscher Euro. Die Währungsunion wird von innen gesprengt, noch während sie existiert.

Dieses seltsame Phänomen spielt sich nicht etwa im Geheimen ab, sondern bewegt fast jeden Europäer, der über sein Vermögen nachdenkt. Ob Griechen, Spanier oder Italiener – sie alle glauben, dass das Geld in Deutschland besonders sicher sei, während es in ihren Heimatländern gefährdet sein könnte. Also transferieren sie ihr Finanzvermögen zumindest teilweise nach Deutschland, damit es seinen Wert behält, falls es in der Eurozone zu weiteren Turbulenzen kommt.

Der deutsche Euro

Aus einem griechischen, italienischen oder spanischen Euro wird also ein deutscher Euro gemacht. Umgekehrt ziehen Deutsche ihr Geld aus dem Ausland ab, weil ihnen Deutschland natürlich ebenfalls am sichersten erscheint. Diese gemeinsame Kapitalflucht erreicht gigantische Ausmaße, vor allem in Krisenzeiten: Zeitweise wurden in Deutschland rund 750 Milliarden Euro geparkt.

Diese Wanderschaft der Finanzvermögen hat leider Folgen: Ein italienisches Unternehmen muss für einen Kredit weit mehr Zinsen zahlen als eine deutsche Firma, selbst wenn beide Betriebe gleich erfolgreich sind. Die Wettbewerbsbedingungen in der Eurozone werden also verzerrt – und zwar zugunsten von Deutschland. Dies ist kein Grund zur Freude, auch nicht für Deutsche, denn eine Währungsunion kann nicht überleben, wenn sie nicht allen Ländern die gleichen Chancen bietet.

Aber was wäre die Alternative gewesen? Es ist ja unbestritten, dass Griechenland entschuldet werden musste. Wie man es richtig macht, hat Irland vorgeführt, das ebenfalls überschuldet war, nachdem es ab 2008 seine maroden Banken retten musste. Aber Irland hat keine „Staatsinsolvenz“ hingelegt, sondern im Frühjahr 2013 einfach einen Teil seiner Schulden zur irischen Notenbank verschoben.

Schulden verlagern

Es ist eine überaus elegante Lösung, Schuldenkrisen zu lösen, indem die Zentralbank einspringt. Doch die Deutschen blockieren diesen Weg meistens, weil sie fürchten, dass hemmungslos Geld „gedruckt“ würde. Dies ist erneut ein Missverständnis: Es wird kein neues Geld geschaffen, sondern bereits existierende Schulden werden nur verlagert. Das Geld ist längst im Umlauf.

Viele Deutsche halten es für einen Sündenfall, wenn eine Notenbank Staatsanleihen aufkauft oder Staatsschulden prolongiert. Diese Abscheu wird jedoch von niemandem sonst geteilt: Die US-Notenbank Fed, die Bank von England und die japanische Zentralbank springen in einer Krise immer ein.

Lindner steckt momentan in einem Dilemma fest: Das liberale Euro-Programm setzt so einfältig auf „Staatsinsolvenz“, weil viele FDP-Abgeordnete genauso simpel denken. Lindner kann seine Basis nicht enttäuschen, muss aber gleichzeitig verhindern, dass die „Staatsinsolvenz“ irgendwie praktisch wird. Denn als reale Politik würde sie den Euro gefährden – von dem die deutsche Wirtschaft enorm profitiert. Der einfachste Ausweg wäre, sich ins Außenministerium abzusetzen und die Eurokrise der Union zu überlassen. Wie schlau Lindner ist, werden die nächsten Wochen zeigen.

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ist ausgebildete Bankkauffrau und hat an der FU Berlin Geschichte und Philosophie studiert. Ihr neuestes Buch erschien 2016: „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können“ (Westend).

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