Rassismus bei der BVG: #Weil sie diskriminieren

Zum ersten Mal werden die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wegen Diskriminierung verurteilt. Kontrolleure hatten einen Fahrgast rassistisch beleidigt.

Jeremy Osborne steht auf der Treppe vom U-Bahnhof Klosterstraße in Berlin

US Opernsänger Jeremy Osborne Mitte Mai in Berlin am U-Bahnhof Klosterstraße Foto: Emmanuele Contini

BERLIN taz | Es ist ein historisches Urteil, das das Amtsgericht Mitte gefällt hat: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wurden die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wegen Diskriminierung eines Fahrgastes verurteilt. 1.000 Euro Schadensersatz muss die BVG, die immer wieder wegen gewalttätigen Kontrolleuren und Security in die Schlagzeilen gerät, dem Schwarzen Jeremy Osborne zahlen. Der Opernsänger hatte 2.000 Euro gefordert. Ob die BVG das Urteil akzeptiert oder in Berufung geht, wollte der landeseigene Betrieb auf taz-Anfrage nicht mitteilen.

Osborne hatte die BVG verklagt, nachdem er im Oktober 2020 von Kon­trol­leu­r*in­nen rassistisch diskriminiert und angegriffen worden war. Der 37-Jährige war in der U2 Richtung Alexanderplatz unterwegs, als vier Kon­trol­leu­r*in­nen einstiegen und ihn nach seinem Fahrschein fragten. Der gebürtige US-Amerikaner hatte zwar ein Ticket, wollte aber zunächst die Dienstausweise der zwei Männer und zwei Frauen sehen. „Sie waren in Zivil und kamen echt unseriös rüber“, sagt Osborne zur taz.

Als diese ihn daraufhin aufforderten, am Spittelmarkt auszusteigen, kam es zum Streit. „Sie haben mich als Schwarzkopf bezeichnet und gesagt, ich nutze Black Lives Matter nur als Ausrede und dass ich mich in Deutschland zu benehmen habe.“ Einer der Männer habe ihn dann auf eine Metallbank gestoßen, woraufhin er Schrammen an Unterarm und Oberschenkel erlitten habe, die er später im Krankenhaus habe behandeln lassen müssen.

„Als die Polizei kam, wurde ich sofort als der Täter behandelt“, sagt Osborne. Obwohl er das Opfer war, habe er einen Platzverweis bekommen. Angezeigt hat er die Kon­trol­leu­r*in­nen trotzdem.

Nicht der erste gewalttätige Vorfall durch Kontrolleure

Die Kontrolleur*innen, die bei einem Subunternehmen, dem Sicherheitsdienstleister B.O.S., angestellt waren, gaben ihrerseits an, von Osborne beleidigt und provoziert worden zu sein. Einer von ihnen erstattete ebenfalls Anzeige. „Er hat behauptet, ich hätte ihn geschlagen. Die Videoaufnahmen beweisen jedoch, dass das nicht stimmt“, so Osborne. „Es ist eine typische Masche, zu lügen und Gegenanschuldigungen aufzustellen. Das passiert bei der BVG regelmäßig.“ Letztlich hätten sie sich jedoch in Widersprüchen verfangen.

Laut Berliner Zeitung wurde bereits im April ein Fahrkartenkontrolleur des B.O.S. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von acht Monaten und zu 2.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt. Er soll den Schwarzen US-Amerikaner Abbeý Odunlami am U-Bahnhof Weberwiese nach einem Streit um sein Ticket lebensgefährlich verletzt haben. Auf taz-Anfrage will sich das Unternehmen nicht zu den Vorwürfen äußern und verweist auf die BVG.

Im Fall von Jeremy Osborne wurden beide Ermittlungsverfahren nach fast einem Jahr von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Für den US-Amerikaner hatte die Gegenanzeige trotzdem fatale Konsequenzen: „Mein Einbürgerungsverfahren wurde verzögert. Ich hatte die Urkunde schon in der Hand, kurze Zeit später musste ich sie wegen des laufenden Verfahrens wieder zurück­geben“, erzählt er. Erst als er sich einen Anwalt nimmt, bekommt er die deutsche Staatsbürgerschaft zurück.

LADG kommt nicht zur Anwendung

„In dem Moment dachte ich, nein, das lasse ich mir nicht gefallen“, sagt Osborne. Er geht zum Antidis­kriminierungsnetzwerk und legt bei der Ombudsstelle Beschwerde nach dem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) ein. Damit können Betroffene in Berlin gegen Dis­kriminierung durch Behörden vorgehen.

Die Ombudstelle setzt sich daraufhin mit der BVG in Verbindung und versucht zu schlichten. „Die BVG hat sich daraufhin bei mir entschuldigt. Diese Entschuldigung war eine Frechheit, es war eine Nicht-Entschuldigung“, sagt Osborne.

Also verklagt er die BVG nach dem LADG. Zunächst jedoch ohne Erfolg. „Laut Gericht ist der Beförderungsvertrag zwischen der BVG und Osborne ein privatrechtliches Verhältnis“, so die Anwältin Claire Lops zur taz. Ein durchaus strittiger Punkt: „Die BVG übernimmt hier die Daseinsfürsorge. Die Ber­li­ne­r*in­nen können sich ja nicht aussuchen, mit welchem Verkehrsunternehmen sie fahren, es ist das einzige.“ Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kann nicht angewendet werden, da der Vorfall länger als zwei Monate her ist.

Sozialsenatorin begrüßt das Urteil

Letztlich wird die BVG am 10. Juli wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Osborne verurteilt. „Es ist ein super Urteil, weil das Gericht klargestellt hat, dass das ganz klar rassistisch war“, sagt Anwältin Lops nach Bekanntwerden der Entscheidung am Dienstag. Das sei nicht unbedingt selbstverständlich. „Diskriminierung ist oft schwer zu beweisen und solche Fälle gehen oft anders aus. Da muss schon das N-Wort fallen, damit Gerichte das als Rassismus anerkennen.“

Auch Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) freut sich über das Urteil. „Ich begrüße, dass das Gericht die rassistische Diskriminierung von Herrn Osborne und die daraus resultierende schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung klar benannt und verurteilt hat“, so Kiziltepe zur taz. Die Leiterin der Ombudsstelle, Doris Liebscher, will die BVG nicht so leicht aus der Verantwortung entlassen: „Nach unserer Auffassung ist bei Fahrkartenkontrollen auch das LADG anwendbar“, so Liebscher zur taz.

Bei der Ombudsstelle sind allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 34 Beschwerden über die BVG eingegangen. Im Jahr 2022 waren es 23. Die meisten erfolgten aufgrund von Diskriminierung wegen Behinderung (12), gefolgt von Rassismus (8), sozialem Status (8), (Alter (7) und Geschlecht (3). Mehrfachnennungen sind möglich.

Dass Jeremy Osborne der Erste ist, der mit seiner Klage eine Verurteilung der BVG erreicht hat, ist für ihn ein großer Erfolg. „Die BVG macht einen auf Multikulti, aber das stimmt nicht.“ Er fordert, dass die BVG-Mitarbeiter*innen besser geschult werden. Oder gleich einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, damit es gar nicht erst zu Konflikten kommt. Die vier Kon­trol­leu­r*in­nen arbeiten nach eigenen Angaben nicht mehr für die BVG.

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