Eröffnung der Festspiele in Bayreuth: Ablenkung vom Zuhören

Jay Scheibs Inszenierung von „Parsifal“ eröffnet die Bayreuther Festspiele. Mit AR-Brillen sucht er das Erlebnis zu erweitern – und schadet der Musik.

Viele Frauen mit Langhaarperücken und in farbenfrohen Anzügen stehen und liegen verstreut auf der Bühne

Eröffnung in Bayreuth mit Parsifal, 2. Aufzug. Barbiebunt der Zaubergarten Klingsors Foto: Enrico Nawrath

Vermutlich hätte Wagner die Idee gefallen, seinen „Parsifal“ um eine digitale Dimension zu erweitern, die den Bühnenraum sprengt. Klingt ja auch revolutio­när. Nicht gefallen hätte ihm sicherlich der Entschluss, das Publikum des „Bühnenweihfestspiels“ in seinem demokratisch konzipierten Festspielhaus in eine Zweiklassengesellschaft zu teilen. Nämlich in die nur 330 „happy few“, die in den Genuss der teuren AR-Brillen (für Augmented Reality) kommen, und den großen Rest derer, die eine herkömmliche, über weite Strecken eher statische Inszenierung erleben.

Digitale Spielereien sind im Theater ja nichts Neues mehr, die Pandemie bescherte der Virtual Reality sogar einen kräftigen Schub. In Bayreuth aber lässt die AR-Brille nicht in eine vollständig virtuelle Welt eintauchen, sondern ergänzt das Bühnengeschehen mit assoziierenden Bildern, die für die Brillenbesitzer den ganzen Raum fluten. Hat man nach Anpassung und Einweisung die schwere und schnell drückende Brille einmal auf der Nase, überlagern die unablässig fliegenden Objekte das durch die Brille abgedunkelte Bühnengeschehen.

Zuerst flattern nur ein paar weiße Gralstauben etwas schwerfällig umher, dann beginnt das Trommelfeuer der Bilder: Ein funkelnder Sternenhimmel, der sich in tanzende Glühwürmchen verwandelt, ist noch die ruhige Variante, alsbald kommen Objekte in hohem Tempo auf die Bebrillten zugeflogen, Schmetterlinge in bedrohlicher Größe, sausende Gesteinsbrocken und grob gepixelte Abstraktionen. Es gibt auch herzige Lämmlein und beim Karfreitagszauber einen Fuchs, der auf dem Orchestergraben zu sitzen scheint und herzhaft gähnt.

Aus dem Arsenal christlicher Ikonografie

Später bedient Regisseur Jay Scheib sich aus dem Instrumentenkasten der christlichen Ikonografie mit brennenden Dornbüschen, Schlangen der Sünde, Lilien der Unschuld, dann erweist er auch den Albtraum-Welten des Hieronymus Bosch die Ehre, und schließlich flattert Klimakrisen-Zivilisationsmüll durchs Bild, Plastikflaschen, Batterien, leere Tüten.

Jay Scheib, ausgewiesener AR-Spezialist am Massachusetts Institute of Technology (MIT), bombardiert das Brillenpublikum in Bayreuth tatsächlich vier Stunden lang ohne jede Pause mit Bildern, die zumeist bloß illustrieren oder eher schlicht kommentieren, was auf der Bühne geschieht.

Wenn Parsifal den Schwan erlegt, wird auf der Bühne mit einem Plüschtier hantiert, für die Brillenträger kreist ein riesiger Schwan durch den Himmel, aus dessen Pfeilwunde sich das Blut im hellen Strahl ergießt. Selten gelingt Scheib ein ironischer Kommentar wie etwa am Schluss des zweiten Aktes, wenn Klingsors Zaubergarten untergeht und die AR-Brille in einer kurzen Sequenz das Festspielhaus zusammenbrechen lässt.

Ansonsten ist die Bilderflut ermüdend redundant, zunehmend vorhersehbar, selten trans­zendierend und öfters schlicht banal. Viele nehmen nach einer Weile die Brille immer wieder ab (manche fallen polternd zu Boden), denn obwohl das Konzept die Erlebniswelt ja eigentlich erweitern will, engt sie es tatsächlich ein.

Denn man ist so mit dem Wirbel der Bilder beschäftigt, dass man das Geschehen auf der Bühne eher beiläufig wahrnimmt, zumal da auch noch mit einer Handkamera eine zweite optische Ebene zu bewältigen ist. Und man hört viel unkonzentrierter zu als ohne Brille. So, als würde man beim Bügeln Radio hören.

Pablo Heras-Casado gelingt ein leichter Wagnerklang

Und das ist unverzeihlich, denn dem Dirigenten Pablo Heras-Casado glückt im tückischen Festspielhausgraben ein sensationelles Bayreuth-Debüt: Ohne die üblichen Balanceprobleme gelingt ihm ein leichter, fast moussierender Wagner-Klang, herrlich transparent mit hörbaren Mittelstimmen und feinsten Farbverläufen, die Tempi sind flüssig, aber nie hastig, die gefürchteten Chorballungen – großartig wie immer der Festspielchor – perfekt verzahnt. Heras-Casado findet einen eigenen Wagner-Ton, befreit von Pathoslast und Klangschwere, dennoch dramatisch zugespitzt.

Auch das Ensemble ist superb, herausragend Georg Zeppenfelds sonor-textverständlicher Gurnemanz, auch die beiden kurzfristigen Einspringer sind hinreißend: Andreas Schager hat die Titelpartie erst vor zwei Wochen von Joseph Calleja übernommen und singt mühelos mit Mut zu feinen Piani.

Elīna Garanča hat bei ihrem Bayreuth-Debüt die Kundry kurzfristig übernommen und meistert die mörderische Partie mit imponierender Eleganz, ohne jeden Überdruck steigert sie sich zu brennender Intensität. Spätestens während ihres Dia­logs mit Parsifal nimmt man die Brille ab, auch weil die Close-ups der Handkamera eine Unmittelbarkeit erlauben, die den ganzen Brillenschnickschnack als überflüssige Spielerei entzaubern, die von echter Bühnenmagie nichts weiß.

Die Inszenierung ohne Brille bleibt indes dünn: Die von Mimi Lien eingerichtete Bühne ist zunächst kahl, ein Rund­horizont, Stahlstühle, schlanke Stelen, ein Wasserbecken für den siechen Amfortas (markant: Derek Welton), ein Neonstrahlenkranz. Darin geschieht nicht viel, außer dass man Gurnemanz im Vorspiel mit einem Kundry-Double schmusen sieht.

Klingsors Zaubergartenakt ist Barbie-bunt und nicht weiter bemerkenswert, stärker dann der letzte Akt, der in einer Zivilisationswüste mit panzer­artigem Schürfgerät spielt. Am Ende erlöst Parsifal die Ritter, lässt den Gralskelch auf dem Boden zerschellen und rettet auch Kundry. Die beiden berühren sich im Wasser, um offenbar gemeinsam zu überleben. Dafür braucht man keine Brille.

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