Abschlussbericht zu Hanau-Morden: Polizei- und Justizfehler bestätigt

Im Abschlussbericht bescheinigt Hessens Landtag den Sicherheitsbehörden doch noch Fehler. Opfervertreter bemängeln ausbleibende Konsequenzen.

Zwei Männer und eine Frau halten auf einer Bank Porträts von Opfern in ihren Händen

Im Hessischen Landtag halten Eltern die Porträts ihrer getöten Kinder in den Händen Foto: Arne Dedert/dpa

FRANKFURT AM MAIN taz | Ein letztes Mal hielten am Dienstag Angehörige, Überlebende und deren UnterstützerInnen auf der Tribüne des hessischen Landtags demonstrativ große Porträtfotos in den Händen. Die darauf abgebildeten neun jungen Menschen hatte ein rassistischer Rechtsextremist am Abend des 19. Februar 2020 in Hanau binnen weniger Minuten ermordet: Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Vili-Viorel Păun, Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović. Die Abgeordneten aller Fraktionen unten im Saal gedachten ihnen in einer Schweigeminute:

In einer letzten Debatte zogen die Abgeordneten Bilanz der Arbeit des Untersuchungsausschusses. Im Juli hatte es noch so ausgesehen, dass die zweieinhalb Jahre währenden Aufklärungsarbeit in fünf separaten Abschlussberichten der Fraktionen enden würde – und damit in einem im parteipolitischen Missklang. Doch zuletzt war es dem Ausschussvorsitzenden Stephan Grüger, SPD, den Obleuten der Parteien und ihren MitarbeiterInnen in internen Beratungen doch noch gelungen, angesichts des erschütternden Verbrechens weitgehend Einigkeit zu erzielen.

Mitten im Landtagswahlkampf hatten die Regierungsparteien CDU und Grüne zunächst einen umstrittenen Textentwurf vorgelegt. Darin waren Behörden und Polizei des Landes von Vorwürfen entlastet, die Verantwortung für Versäumnisse im Vorfeld der Tat allenfalls bei den SPD-geführten Verwaltungen von Stadt und Landkreis zugewiesen worden.

Nun fand der Ausschuss doch noch gemeinsam Worte der Entschuldigung. Der Berichterstatter des Ausschusses Michael Ruhl, (CDU) zitierte so im Namen aller Ausschussmitglieder Sätze aus dem Vorwort des Berichts: „An einigen Stellen besteht Grund zu der Annahme, dass ein anderes Handeln der zuständigen Behörden, das Durchführen der Tat erschwert oder den Ablauf der Tat bzw. die Ereignisse in der Tatnacht und danach verändert hätte. Dies gilt für die Erteilung der Waffenbesitzkarte, die Erreichbarkeit des Notrufs, die Verschlussverhältnisse des Notausgangs und den Umgang mit den Angehörigen der Opfer“.

Auch dass bei dem Umgang von Polizei und Justiz mit den Angehörigen der Opfer und mit Überlebenden nach der Tat verschiedene Fehler gemacht worden waren, ist nicht länger strittig: „Wir bedauern, dass das Vorgehen im Umgang mit den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer nach der unfassbaren Tat dazu geführt hat, dass sie sich in diesem Moment alleine gelassen und unverstanden gefühlt haben und dadurch Vertrauen in unser Land verloren gegangen ist“, heißt es in dem gemeinsamen Text.

CDU sieht „gute Arbeit“ der Polizei

Bei aller Gemeinsamkeit bleibt es gleichwohl in Details bei unterschiedlichen Einschätzungen, die sich in vier abweichenden Minderheitenvoten von SPD, Linken, FDP und AfD wiederfinden. Nach Überzeugung von CDU, FDP und AfD war die Tat nicht abwendbar: „Dieser Anschlag des hochkranken und rassistischen Menschen war nicht zu verhindern“, sagte CDU-Obmann Jörg-Michael Müller.

Dass der Täter vierzehn Tage vor dem Anschlag im Internet in einem „Manifest“ rassistische Morddrohungen online gestellt hatte, ändere daran nichts. Jeden Tag erschienen drei Millionen neue Webseiten, sagte Müller und fügte hinzu „Freiheit hat manchmal einen fürchterlichen Preis“. Der Polizei bescheinigte die CDU „insgesamt eine gute Arbeit“.

SPD-Obfrau Heike Hofmann hielt dagegen und sprach von „erheblichem Organisationsverschulden“. Der später ermordete Vili-Viorel Păun, der den Täter auf dem Weg vom ersten zum zweiten Tatort mit seinem Auto verfolgt hatte, war beim Polizeinotruf nicht durchgekommen, weil der mangelhaft ausgestattet gewesen sei, erinnerte Hofmann. Auch nach Überzeugung seines Vaters hätte der junge Mann gerettet werden können, wenn er mit seinem Notruf durchgekommen wäre. „Keine Übernahme von Verantwortung“ durch Polizeiführer oder den Innenminister beklagte Hofmann in diesem Zusammenhang.

Beförderungen für verantwortliche Beamte

Auch das Verhalten der Polizei nach der Tat sei unprofessionell und unsensibel gewesen, sagte Hofmann; so seien zwei Überlebende des Anschlags in der Tatnacht zu Fuß oder mit dem Fahrrad ohne Begleitung zum Polizeiposten geschickt worden.

Institutionellen Rassismus erkannte Linken-Fraktionschefin Elisabeth Kula im Verhalten der Polizei, weil Angehörige der Opfer später in einer „gefährlichen Täter-Opfer-Umkehr“ vor der Begegnung mit dem Vater des Täters gewarnt worden waren, „statt den Vater als Gefahr zu erkennen“.

„In die Hände von psychisch kranken Menschen gehören keine Waffen!“, formulierte SPD-Obfrau Hofmann. Auch aus dem Schießsport sollten künftig tödlich gefährliche Waffen verbannt werden, sagte Linken-Fraktionschefin Kula.

RednerInnen aller Parteien wandten sich mit Worten der Anteilnahme und des Bedauerns an Überlebende und Angehörige der Opfer, die Obfrauen von SPD, Grünen und Linken dankten ihnen ausdrücklich für ihre aktive Mitwirkung bei der Aufklärungsarbeit. Auch nach 42 Ausschussitzungen mit 84 ZeugInnen und Sachverständigen blieben allerdings viele Fragen offen, mussten die Abgeordneten mit Bedauern einräumen.

Dass die Opferfamilien und ihre UnterstützerInnen von der „Initiative 19. Februar“ mit der Arbeit des Parlaments unzufrieden sind, haben sie mehrfach zu Protokoll gegeben. Der Vater des ermordeten Hamza, Armin Kurtović betonte nach der Abschlussdebatte, ähnlich wie nach Mordserie des rechtsterroristischen NSU seien so gut wie keine Konsequenzen gezogen worden und Verantwortliche der Polizei seien nach gravierenden Fehlern sogar noch befördert worden.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

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