Performance im Selbstversuch: Wahrheit oder Pflicht?

Das Museumsquartier Osnabrück hat zu einer interaktiven Performance mit Spielkarten geladen. Ein Selbstversuch in Sachen Mut und Ehrlichkeit.

Mann am Spieltisch mit Karten, dahinter weitere Zettel an der Wand

Die Regeln sind leicht, dafür sind die Entscheidungen aber umso schwerer: Kartenspiel-Performance im Museumsquartiert Osnabrück Foto: Claudia Drecksträter/MQ4

Es gibt da ja dieses Bildungsbürgerwort: Finissage. Eine Ausstellung geht zu Ende, und ein paar besonders enthusiastische Kultur-Insider demonstrieren einander, wie gut sie sie verstanden haben. Fast immer gibt es dabei eine kleine Rede, oft auch Sekt, zuweilen sogar Häppchen.

Als am 7. Januar im Museumsquartier (MQ4) Osnabrück die Ausstellung „#nicht müde werden. Felix Nussbaum und künstlerischer Widerstand heute“ zu Ende geht, ist das anders: Das „Stadtensemble Generationen“ des Theaters Osnabrück fordert zu einer interaktiven Performance heraus. Wer die Herausforderung annimmt, braucht Mut zur Offenheit, muss Haltung zeigen.

Abgeschirmt durch die modularen Bauobjekte einer labyrinthischen Rauminstallation von Andreas Angelidakis stehen im Forum des MQ4 fünf Tischchen. Am Eingang, einem ab­stra­hierten Schaumstoffrundbogen, der aussieht wie prähistorisch, hängen fünf Fotos. Ich nehme mir eins. Suche den Darsteller, den es zeigt. Setze mich zu ihm.

Zwischen uns liegt ein Kartenset. Museum und Theater haben es entwickelt, als einen „Impuls zum (Mit-)Fühlen, (Mit-)Denken, (Mit-)Handeln im Alltag“, anknüpfend an die Themen der Ausstellung. Zettel liegen bereit, ein schwarzer Blei- und ein roter Buntstift, ein Anspitzer. Okay, dann los.

Die Regeln sind einfach

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Uli erklärt die Regeln. Abwechselnd werden Karten gezogen, auf denen Fragen oder Aufgaben stehen. Wer antwortet, verschweigt dabei die Frage. Wenn eine Frage nicht gefällt, passt man oder gibt sie dem Gegenüber. Wer einen Cut einbauen will, zieht eine „Störer“-Karte. Wer das Spiel beenden will, gibt Applaus. Uli fängt an. Zieht eine Karte, denkt kurz nach, schreibt „Freiheit“ auf einen Zettel und schiebt ihn mir rüber. Mir sollen drei Wörter zu Uli einfallen. Ich schreibe: „Offen. Nachdenklich. Achtsam.“

Ohne Authentizität geht das nicht. Auch nicht ohne Spontaneität. Ich soll einen Song summen, der mich an Widerstand denken lässt. Ich entscheide mich für das antifaschistische Partisanenlied „Bella ciao“. Ich soll Antworten geben auf Fragen wie „Welche Regeln brauchen wir?“, „Wie zeigst du Ablehnung?“, „Wofür hast du dich das letzte Mal geschämt?“. Dann soll ich etwas Unerwartetes tun, mich selbst überraschen.

Ich nehme den schwarzen Bleistift und steche mir in den Zeigefinger. Ist das symbolistisch genug? Das politisch Schwarz-Rechte, als Bedrohung? Ist es. Die Karten triggern bei Uli und mir ein Gespräch über Kultur und Politik, über Ängste und Hoffnungen. Momente großer Nähe entstehen.

Gern hätte ich auf die Frage „Was würdest du gern sabotieren?“ geantwortet

Alle Karten durchzuspielen geht leider nicht; es sind über hundert. Außerdem ist die Warteschlange am Eingang lang und die Performance nur drei Stunden kurz.

Gern hätte ich auf „Was würdest du gern sabotieren?“ geantwortet. Schade, diese Karte geht an mir vorbei. Auch „Besetze den Raum!“ wäre spannend gewesen. Ich muss auch keine rote Linie zeichnen und erklären, für was sie steht, warum sie nicht überschritten werden darf.

Hürden im Kopf

Jede Reaktion kostet Überlegung, manche Überwindung. Nicht jeder wird preisgeben wollen, ob er schon mal verhaftet wurde und warum. Nicht jeder möchte laut rufen: „Ich bin dagegen!“ An den Tischchen entwickeln sich intensive Gespräche. Der Dagegen-Ruf ist zu hören, das Sammeln unterbleibt.

Eine der schwersten Aufgaben: „Schließe die Augen. Stell dir vor, du bist an einem Ort deiner Wahl. Wie klingt der Ort? Versuche, es mit dem Material um dich herum nachzumachen.“ Ich weiß nicht, was Uli versucht hätte. Ich hätte Papier zerknüllt, als Meeresgischt.

Auch „#nicht müde werden“ hat Fragen gestellt. Nach dem Widerstand in der Kunst, der Kunst des Widerstands, der Kunst als einem Mittel des Widerstands. Im Kartenset kulminiert das. Und das ist viel besser als Rede, Sekt und Häppchen.

Zurück bleiben Tausende Zettelchen, beschrieben von Besuchern. Zur Frage „Wofür trittst du ein?“ haben viele für Freiheit und Frieden votiert, Toleranz und Liebe. Aber dort steht auch: „Für die AfD!“ Uli und ich sind uns einig, was wir davon halten.

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Freier Journalist, Skandinavist. Schreibt hauptsächlich über Niedersachsen, schwerpunktmäßig über Stadt und Region Osnabrück. Themen: Kunst, Bühne, Umwelt/Naturschutz, Bildung, soziale Gerechtigkeit.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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