Tatverdächtiger vom Görlitzer Park: Aus seiner Sicht keine Gewalt

Im Prozess um eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung verliest der Richter die Sicht eines Angeklagten. Der sagt: Sex mit der Frau war einvernehmlich.

Zwei Radfahrer fahren in den Görlitzer Park, im Vordergrund ein Teil der Mauer des Parks

Zwar teils ummauert, aber auch nachts zugänglich: Der Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg

BERLIN taz | Es sind Sätze, die stutzig machen an diesem Dienstagmorgen im Gerichtssaal. Von einer Vergewaltigung habe er „nichts gewusst“. Und daher habe er auch „am Anfang nicht gedacht“, dass der Haftbefehl gegen ihn etwas „damit zu tun haben könnte“. Die Sätze liest der Vorsitzende Richter vor, am zweiten Prozesstag um eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung im Görlitzer Park. Die Sätze sind Teil der – Achtung, Amtsdeutsch – „Einlassung“ eines der drei Angeklagten.

Mit dieser Einlassung hat der Angeklagte D. in seiner Untersuchungshaft Stellung genommen und seine Sicht geschildert. Die Staatsanwaltschaft wirft D. und den beiden weiteren Tatverdächtigen „besonders schwere Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung und besonders schweren Raub“ vor. Der Richter liest: Am Abend des 20. Juni 2023 habe D. mit seiner Freundin gekocht und gemeinsam gegessen und „gechillt“, heißt es darin.

Dabei hätten sie auch ordentlich getrunken – zwei Flaschen Cognac waren es laut D. Seine Freundin sei in den frühen Morgenstunden schlafen gegangen. D. habe weiter getrunken. Und dann sei er noch mal rausgegangen, er wollte sich etwas Cannabis am Kottbusser Tor kaufen. Aber „dort war viel Polizei und keiner der Jungs, die ich kenne“, heißt es in der Einlassung. Er sei dann weitergefahren zum Görli und habe dort für 15 Euro „etwas gekauft“.

Laut Anklage soll D. dort im Görlitzer Park in den frühen Morgenstunden gemeinsam mit den beiden Mitangeklagten und mit „mindestens zwei weiteren unbekannten Personen“ eine Frau „gemeinschaftlich handelnd“ vergewaltigt haben. Sie sollen die Frau und ihren Ehemann außerdem körperlich misshandelt und ausgeraubt haben. Spermaspuren am Slip der Frau ließen sich per DNA-Abgleich D. und einem der beiden anderen Angeklagten zuordnen. Weitere Spermaspuren in der Vagina der Frau stammen laut DNA-Treffer von dem dritten Angeklagten.

Debatte um Sicherheit im Park

Die Nachricht von der mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung hatte in Berlin eine Debatte über die Sicherheit im Görlitzer Park ausgelöst. Eine Statistik der Polizei befeuerte die Diskussion: Diese listete 6 Vergewaltigungen im Bereich Görlitzer Park/Wrangelkiez allein im ersten Halbjahr 2023 auf. Von „Angstraum Görli“ war die Rede, denn in der Debatte klang es zunächst so, als ob auch diese 6 Übergriffe direkt im Görlitzer Park stattgefunden hätten. Auf Nachfrage der taz hatte die Polizei präzisiert: die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung habe sich im Park ereignet. Die 6 weiteren Vergewaltigungen in Privaträumen im umliegenden Kiez.

Der schwarz-rote Senat lud zu einem Sicherheitsgipfel ein und kündigte an, den Görlitzer Park einzuzäunen und nachts abzuschließen. Der mutmaßliche Hergang der Gruppenvergewaltigung passte in diese Debatte vom Park als Angstraum. Eine Gruppe von Schwarzen Dealern, ein Pärchen in einer Sommernacht. Die Dealer, die das Pärchen erst ausrauben und dann die Frau zu sexuellen Handlungen zwingen. Und die ihren Mann mit Gewalt davon abhalten, ihr zu Hilfe zu kommen.

Auch D. berichtet in seiner Einlassung, dass er das Pärchen getroffen hat. Nach dem Cannabis-Kauf habe er auf die Toilette gemusst und ging dafür zu einem Gebüsch im Park. Beim Aufstehen habe er das Pärchen bemerkt. Der Mann habe Oralverkehr mit der Frau gehabt.

D. habe die beiden gefragt, „ob alles okay“ sei. Der Mann habe gesagt: Ja, das ist meine Frau. D. habe auch die Frau angesprochen: Ja, ja, no problem, alles gut, habe sie gesagt. D. wollte nach Hause. Der Mann sei ihm gefolgt, habe ihn erst gefragt, ob er Gras habe, und habe ihn dann gebeten, mit seiner Frau Sex zu haben. Denn er „sei nicht gut“. D. habe das so verstanden, als ob er sexuelle Probleme habe. Der Mann habe nicht locker gelassen und auch Geld angeboten.

D. sagt, er war sehr angetrunken

D. schildert in der Einlassung, dass er noch sehr angetrunken gewesen war und sich daher wohl leichter habe überreden lassen. Er habe die Frau mehrmals gefragt, ob sie Sex mit ihm haben wollte. Sie habe Ja gesagt, ebenfalls mehrmals. D. schlug vor, woanders hinzugehen, wollte das nicht dort im Gebüsch. Schließlich legte er seine Jacke auf den Boden, die Frau hockte sich darauf. Mit ihrem Slip habe er sich Sperma von seinem Penis abgewischt und mit ihr Analverkehr begonnen.

Die Frau und der Mann redeten dabei miteinander in einer Sprache, die er nicht verstand. Das habe ihn irritiert, daher habe er den Sex abgebrochen. „Macht mal entspannt“, habe der Mann gesagt. D. aber wollte gehen. Der Mann habe ihn erst davon abhalten wollen, D. ging, drehte dann nach einiger Zeit aber wieder um, weil er sein Portemonnaie vermisste. Er fand es an der Stelle, die er als Toilette genutzt hatte.

Und wieder sah er das Pärchen: Diesmal hatte die Frau demnach Oralverkehr mit einem anderen Schwarzen Mann. D. habe das spontan kurz gefilmt, es sei ihm alles seltsam vorgekommen. Wieder sagte der Mann, alles sei okay, schildert es D. „Ich habe nicht den Eindruck, dass alles okay ist“, habe D. gesagt. Doch Mann und Frau hätten ihn überzeugt. Sie hätten dann Nummern ausgetauscht, um sich vielleicht später noch zu treffen, „um etwas Spaß zu haben“. Die Frau habe ihm dazu eine kurze Whatsapp-Nachricht geschickt.

D. sei dann nach Hause gefahren. Am nächsten Tag habe er der Frau als Antwort eine Nachricht geschickt: Wie es ihr gehe und ob sie gut nach Hause gekommen sei.

Das Handy des Angeklagten

Diese Whatsapp-Nachrichten seien auf dem Handy des Angeklagten gewesen, sagt Christian Zimmer, Anwalt von D. Auch das kurze Video. Zimmer berichtet nach der Verhandlung, dass das Handy in der JVA Moabit mit anderen persönlichen Gegenständen seines Mandanten weggeschlossen worden sei. Die Staatsanwaltschaft habe es nicht sichergestellt. „Das ist ungewöhnlich bei so einem Fall“, sagt Zimmer. Er habe als Anwalt daher die Herausgabe beantragen und das Handy sichten können.

„Mein Mandant war sich eigentlich sicher, dass er das Video gelöscht hatte“, sagt Zimmer. D. habe nicht gewollt, dass seine Freundin das Video sieht. D. habe die Ereignisse der Nacht auch nicht mit Vergewaltigungsvorwürfen zusammengebracht, sagt Zimmer.

Und zu dem Fall selbst meint er: Ganz generell „scheinen die Ermittlungen nicht so wahnsinnig sorgfältig gewesen zu sein“. Es habe etwa eine richtige Tatortdokumentation in den Akten gefehlt. Und die Aussagen der Zeugen seien widersprüchlich: Das Pärchen habe gesagt, es konnte im Dunklen niemanden erkennen. „Am 21. Juni ist es morgens um 5 Uhr schon taghell“, sagt Zimmer. Und er betont: Es gäbe für ihn keinen Grund, an D.s Einlassung zu zweifeln. „Es ist gut möglich, dass da irgendetwas im Park entgleist ist“, sagt der Anwalt. „Aber mein Mandant war da nicht mehr dabei. Dafür haben wir objektive Beweise.“

Er liebe seine Freundin, sagt D. noch in seiner Einlassung, auch das liest der Richter vor. Und D. betont im nächsten Satz, dass die Beziehung ihm sehr viel bedeute. Sie sei schwanger von ihm. Er hoffe, dass sie ihm verzeihe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.