Sicherheitsgipfel in Berlin: Ein Wink mit dem Zaun

Am Freitag steht der Görlitzer Park im Mittelpunkt eines „Sicherheitsgipfels“ beim Regierenden Bürgermeister. Wird eine nächtliche Abriegelung der Grünfläche kommen?

Kiezrundgang "Görli by night"

Kiezrundgang „Görli by night“ Foto: Wolfgang Borrs

BERLIN taz | Am Nour Imbiss an der Falckensteinstraße geht es los: „Görli by night“ heißt der spätabendliche Rundgang durch den Görlitzer Park und angrenzende Straßen, zu dem die Initiative Wrangelkiez United an diesem Dienstag eingeladen hat. Zwölf Interessierte sind gekommen, um sich ein Bild vom „Hotspot der Kriminalität“ zu machen, wie diverse Medien den Park betiteln. Gemeinsam machen sich Kiez­be­woh­ne­r*in­nen und -fremde, zwei Re­fe­ren­t*in­nen der Grünen im Abgeordnetenhaus und ein TU-Forscher auf den Weg.

Schon am Treffpunkt sind die Probleme des Kreuzberger Kiezes allgegenwärtig: Die Gruppe begegnet abwechselnd Dro­gen­händ­le­r*in­nen und Konsument*innen, immer wieder ist aggressives Grölen zu hören. „Wir wollen die Probleme im Kiez nicht kleinreden“, sagt David Kiefer, Organisator des Rundgangs und Sprecher von Wrangelkiez United.

Der Rundgang ist eine Reaktion auf die erhitzte Sicherheitsdebatte, die Medien und Politik nach einer Gruppenvergewaltigung im Park neu entfacht hatten. Am Freitag mündet sie in einen „Sicherheitsgipfel“, den der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) einberufen hat. Am Beispiel des Görlitzer Parks und des Weddinger Leopoldplatzes soll die Sicherheit im öffentlichen Raum verhandelt werden, auch um konkrete Lösungen für den „Görli“ soll es gehen. Mehrere Ideen stehen im Raum, eine hat Wegner in die Diskussion geworfen: Er sieht vor, die Zugänge zu dem ohnehin eingemauerten Park abends zu schließen.

„Wenn wir das tun, reden wir in zwei, drei oder fünf Jahren über die gleichen Probleme im Wrangelkiez“, verurteilt David Kiefer die Idee. Es würde die Probleme der Ruhestörung durch Kon­su­men­t*in­nen verschärfen und den Drogenkonsum weiter in die Kieze und Hauseingänge verdrängen. Die erhöhte Polizeipräsenz seit dem Senatswechsel und vor allem seit Bekanntwerden der Vergewaltigung habe schon dazu geführt.

Zaun stößt auf wenig Gegenliebe

Im grün regierten Friedrichshain-Kreuzberg stößt das nicht auf Gegenliebe. Dazu äußern wollte sich die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann, am Mittwoch aber nicht. Ihre Haltung will sie am Donnerstag, einen Tag vor dem Gipfel, bei einer Pressekonferenz darstellen, zusammen mit der Bürgermeisterin von Mitte, Stefanie Remlinger (auch Grüne).

Remlinger ließ die taz immerhin wissen, dass es am Montag ein Vorgespräch mit dem Regierenden gegeben habe. Über den Inhalt habe man Vertraulichkeit vereinbart, sie gehe aber davon aus, dass alle an einem konstruktiven Verlauf interessiert seien. Es werde nicht nur um Sicherheitsmaßnahmen gehen, sondern auch um Lösungen für die sozialen Probleme.

Gerade einmal zwei Stunden sind für den Gipfel angesetzt. Die Senatsgesundheitsverwaltung und die Bezirksbürgermeisterinnen sollen die sozialen Fragen einbringen, die Polizei soll Vorschläge machen, wie der Repressionsdruck auf die Drogenhändler erhöht und die Prävention gefördert werden kann. Allein 2022 gab es 70.000 polizeiliche Einsatzstunden rund um den Görlitzer Park, viel mehr als eine temporäre Verschiebung der Probleme habe das nicht bewirkt, sagen Leute, die sich damit auskennen.

Auf der „Görli by night“-Tour führt die Route zur bewachsenen Kuhle in der Parkmitte, die trotz milder Temperaturen fast menschenleer ist. „Eigentlich war das hier unser Garten, wo wir zusammen gesessen und getrunken haben“, sagt Judith, die seit 20 Jahren im Kiez wohnt. Dass der Park jetzt auch am Wochenende meist leer sei, liegt für die 46-Jährige an der erhöhten Polizeipräsenz und der Beleuchtung durch starke Scheinwerfer, die unlängst an den Parkeingängen aufgestellt wurden.

„Als die zum ersten Mal eingeschaltet wurden, fand ich es echt gruselig hier durchzulaufen – weil niemand mehr in der Kuhle und am Eingang war“, berichtet Judith. Ein „Wohlfühlort“ sei der Görli nie gewesen, aber besonders am Wochenende habe sie sich zwischen den vielen Leuten sicherer gefühlt. „Falls was ist, wusste ich, dass ich nach Unterstützung fragen kann“, sagt sie.

Macht Wegner Ernst?

Horcht man ins Bezirksamt hinein, sind die Bekenntnisse gegen eine Schließung klar. Was aber, wenn sich Wegner aufs Absperren versteift? Könnte er das gegen den Willen des Bezirks veranlassen? Anders als das Tempelhofer Feld, das der landeseigenen grün Berlin GmbH betrieben wird und nachts geschlossen ist, untersteht der Görli dem Bezirk. Im Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz (AZG) ist geregelt, was dem Senat und was den Bezirken obliegt. Darin heißt es, der Senat könne Befugnisse an sich ziehen, wenn „das Handeln oder die Unterlassung“ eines Bezirks das Gesamtinteresse Berlins „beeinträchtigt“.

Kaum vorstellbar, dass der Senat diese Karte ziehe, glauben Verwaltungsexperten – schon weil es für die Zusammenarbeit zwischen den Ebenen absolut kontraproduktiv wäre. Im gesamtstädtischen Interesse sei es vielmehr, eine gute Prävention hinzubekommen, sagt einer. Weder Kreuzberg noch Mitte seien dafür verantwortlich, dass sie Anziehungspunkt für Drogenhändler und Abhängige geworden seien.

Zurück in den Park: Im Görli gehe es längst nicht mehr nur um die Vergewaltigung. Frauen und ihre Gewalterfahrungen würden für rassistische Law-&-Order-Kampagnen instrumentalisiert, meint man bei Wrangelkiez United. Laut David Kiefer sind die Kontrollen von People of Color nochmals enorm angestiegen. Die Initiative sieht im Ausbau der Drogenhilfe, von Schlafplätzen und Konsumräumen eine Lösung. Auch sollen Menschen ohne Arbeitserlaubnis eine Perspektive und legale Beschäftigungsmöglichkeiten bekommen.

Am Mittwoch, bei Sonnenlicht, lassen sich vereinzelt auch andere Stimmen im Kiez hören. „Ich bin für den Zaun. Es wäre ein Signal, dass mal etwas passiert“, sagt eine Anwohnerin, der ihre Haltung selbst merklich unangenehm ist: „Ich bin ja keine CDU-Wählerin“, ergänzt sie sofort. Als Frau hänge ihr die Gruppenvergewaltigung aber nach, und die sei nur im dunklen Park möglich. „Alle Probleme wird der Zaun nicht lösen“, räumt sie ein, aber man könne es ja mal probieren.

In einem Frühstückscafé im Wrangelkiez sitzt Petra Behr, die Rentnerin lebt seit 50 Jahren hier. „Es war mal ein so schöner Kiez“, sagt sie, jetzt sei es „unsicher“ – sie deutet in Richtung einiger junger schwarzer Männer. Auch wenn ihr noch nie etwas passiert sei, traue sie sich nicht mehr in den Park. Einen Zaun fände auch sie gut. „Oder eine Polizeiwache“, schiebt sie hinterher, „dann muss man auch nicht abschließen.“

Antonia, deren WG-Zimmer zur Sorauer Straße hinausgeht, sieht das anders: Ein Zaun wäre eine „feige Lösung“ auf Kosten der Anwohner:innen. Die müssten ohnehin im Herbst und Winter mit mehr Kon­su­men­t:in­nen in ihrem direkten Umfeld rechnen. Was es brauche? Mehr Licht im Park, sagt sie – und mehr Sozialarbeiter:innen.

Wrangelkiez United hätte Ideen der An­woh­ne­r*in­nen gerne mit Kai Wegner diskutieren wollen, hat David Kiefer gesagt. Eine Einladung zum Gipfel habe die Initiative aber nicht erhalten.

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