Proteste bei Lesung im Hamburger Bahnhof: Grenzen des Gesprächs austesten

Museen sollten sichere Orte für kontroverse Debatten sein. Alle müssen zu Wort kommen dürfen, auch beim Thema Nahost-Konflikt.

Tania Bruguera sitzt auf einem Schaukelstuhl.

Tania Bruguera bei ihrer Lesung im Hamburger Bahnhof in Berlin am 7. Februar Foto: Sabine Gudath/imago

Was das repressive kubanische Regime 2015 noch mit Presslufthämmern versuchte, haben propalästinensische Ak­ti­vis­t*in­nen jetzt in Berlin erreicht: Sie haben die von Tania Bruguera initiierte Lesungsperformance des Totalitarismusbuchs von Hannah Arendt gesprengt. Auf Kuba hatte die Künstlerin den Text aus dem Fenster ihrer Wohnung heraus gelesen. Das Regime versuchte das mit Baustellenlärm zu übertönen.

In Berlin fand die Lesung im Hamburger Bahnhof, einem Museum, statt – bis die Gruppe von Ak­ti­vis­t*in­nen sie torpedierte. Mitten in der deutschen Hauptstadt werden derzeit die Grenzen des Gesprächs miteinander ausgetestet, und zwar ganz anders, als die Ver­tre­te­r*in­nen eines Zensurnarrativs sagen. Dieses Narrativ behauptet, dass Antisemitismusvorwürfe die Kritik an Israel delegitimieren und propalästinensische Stimmen zum Schweigen bringen sollen. Das stimmt aber nicht.

Antisemitismus ist keine Meinung und darf nicht geduldet werden, Punkt. Kritik an Israel kann geübt werden – und wer hätte sie gegenüber der in Teilen rechtsradikalen Regierung von Benjamin Netanjahu nicht? Es geht aber auch um die Art und Weise, wie hier agiert wird.

Schreiaktionen wie im Museum Hamburger Bahnhof – und vergangene Woche an der Humboldt-Universität, als eine im Übrigen Netanjahu-kritische hohe israelische Richterin niedergebrüllt wurde – mögen instagramable aussehen, schaden aber in Wirklichkeit der Sache, wenn diese denn darin besteht, dass jeder, der etwas zu sagen hat, zu Wort kommen soll. Und darin besteht das Anliegen doch, oder?

Wenn nicht, kann man nicht anders, als die Aktion am Hamburger Bahnhof als antisemitisch zu lesen. Die Unis und die Museen aber müssen sichere Orte eines differenzierten Nachdenkens sein, auch über den Nahen Osten. Tania Bruguera wollte dazu beitragen. Das haben die Ak­ti­vis­t*in­nen unterbunden. Wollen sie am Diskurs teilnehmen? Oder wollen sie Diskurs gerade verhindern? Derzeit sieht es nach Letzterem aus.

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Dirk Knipphals, Jahrgang 1963, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Kiel und Hamburg. Seit 1991 Arbeit als Journalist, seit 1999 Literaturredakteur der taz. Autor des Sachbuchs "Kunst der Bruchlandung. Warum Lebenskrisen unverzichtbar sind" und des Romans "Der Wellenreiter" (beide Rowohlt.Berlin).

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