Ronya Othmann in Pakistan ausgeladen: „Die letzten Tage waren der Horror“

Das Literaturfestival Karatschi hat die Lesung der Autorin Ronya Othmann abgesagt. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe bedeuten in Pakistan Lebensgefahr.

Ronya Othmann im Porträt.

Auf dem Karachi Literature Festival sollte Othmann ursprünglich aus ihrem Roman „Die Sommer“ vorlesen Foto: Jörg Carstensen/dpa

Sie ist wieder zurück in Berlin, aber diese Art von Wiederankunft hatte die Schriftstellerin nicht erwartet: Ronya Othmann, preisgekrönte Autorin und eine der wichtigsten literarischen Stimmen im deutschsprachigen Raum, hatte sich ihren Trip, von dem sie gerade zurückgekehrt war, anders vorgestellt. Nämlich zufrieden und im Bewusstsein, interessante, ja sogar freundschaftlich gewogene Gespräche geführt – und eine Lesung absolviert zu haben. „Mir geht es gut, ich bin wieder ausgeschlafen, aber die letzten Tage waren der Horror“, sagt sie der taz.

Auf dem Karachi Literature Festival war sie als Gast, um unter anderem aus ihrem Roman „Die Sommer“ vorzulesen, erfuhr aber mit der Landung auf dem Flughafen der pakistanischen Stadt, dass ihre Veranstaltung gecancelt worden und sie nicht mehr erwünscht sei, zumal die Moderatorin ihres Panels, die britische Literaturwissenschaftlerin Claire Chambers, auch Othmanns wegen mit ihrem Job nichts mehr zu tun haben wollte.

Was während der Anreise der Schriftstellerin und – mit Cemile Sahin – früheren Kolumnistin der taz, passiert war, erschloss sich ihr nicht sofort, aber das sie einladende Goethe-Institut klärte sie auf: In einem offenen Brief pakistanischer Intellektueller war ihr vorgeworfen worden, islamophob und zionistisch zu sein, Vorwürfe, die im vom Islamismus heimgesuchten Pakistan schon zu tödlichen Attentaten geführt haben.

Wörtlich heißt es in diesem, hier ins Deutsche übersetzt: „Wir, die Unterzeichnenden, schreiben als besorgte Pakistaner, um unsere tiefe Besorgnis und Empörung über die Entscheidung des Karachi-Literaturfestivals zum Ausdruck zu bringen, Ronya Othmann als Rednerin für die Veranstaltung im Jahr 2024 einzuladen. (…) Othmann ist eine in Deutschland lebende Schriftstellerin, die zionistische und islamfeindliche Positionen vertritt und an Podiumsdiskussionen teilgenommen hat, die darauf abzielen, pro-palästinensische Proteste in Deutschland als antisemitisch und islamistisch zu diskreditieren.“

Wahrheitswidrige Aussagen

Othmann sagt: „Mich hat das, als ich dieses Statement las, nur überrascht, weil bis zu meiner Ankunft in Karatschi niemand etwas gegen meine Teilnahme gesagt hatte. Ich bin eine in Pakistan unbekannte Schriftstellerin. Ich hatte ein Visum, nicht nur eines für Touristen, niemand hatte bis zum Ende meiner Anreise irgendwelche Einwände gegen mich.“

Konkret werden ihr zwei Beiträge zur Last gelegt: eine Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 22. Oktober 2023, in der sie sich mit dem islamischen Terror unter anderem der Hamas beschäftige, und der taz Talk vom 25. Oktober, Titel „Schulterschluss des Grauens“, in dem sie zusammen mit der Berliner Schriftstellerkollegin Mirna Funk ebenfalls über die Hamas-Massaker am 7. Oktober sprach.

Im offenen Brief, den es bei Othmanns Abflug noch nicht gab, steht wahrheitswidrig zu lesen, sie habe Stellung gegen Palästinenser in Deutschland und überhaupt bezogen. Wörtlich: Sie habe „das abscheuliche, rassistische und zutiefst entmenschlichende israelische Narrativ über die Nutzung von Palästinensern durch die Hamas als,menschliche Schutzschilde' wiedergegeben“, den sogenannt „Völkermord“ Israels in Gaza zu rechtfertigen. Obendrein sei sie eine Kritikerin des antiisraelischen Netzwerks BDS.

Ob es von deutschen Alliierten antizionistischer Kräfte in der Kulturszene Pakistans Argumentationshilfe für diesen offenen Brief gab, ist nicht geklärt, für Othmann aber naheliegend: „Wie hätte es sonst sein sollen?“ Der Schriftsteller Hasnain Kazim, ebenfalls nach Karachi eingeladen, solidarisierte sich umgehend mit Othmann und verzichtete auf eine Teilnahme am Festival.

Der Fall Kurt Westergaard

Othmann hat nun Angst, wegen der im Internet großen Fülle an lügnerischen Vorwürfen gegen sie, dass ihr künftig ein mieser Ruf vorauseile, gehe sie mal wieder auf Reisen: Im Irak und in anderen antiisraelisch gesinnten Staaten könne sie nicht mehr gefahrlos auftreten.

Ihr Fall erinnert an die Dämonisierung des dänischen Zeichners Kurt Westergaard, der wegen seiner Mohammed-Zeichnungen im Jahre 2005 („Karikaturenstreit“) auch aus Pakistan Todesdrohungen („Islamophobie“) erhielt – inklusive Handelsboykottdrohungen gegen Dänemark und brennenden Danebrogs, der Nationalflagge des Landes.

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