Union hetzt gegen das Bürgergeld: Mehr als Populismus ist da nicht

Die CDU will Erwerbslosen, die „zumutbare“ Arbeit ablehnen, Leistungen komplett kürzen. Ein konservatives Sozialpaket hat sie nicht zu bieten.

Carsten Linnemann blickt skeptisch

Die CDU plant drastische Kürzungen beim Bürgergeld Foto: Metodi Popow/imago

Mit dem Konzept einer „Neuen Grundsicherung“ würde die CDU gerne das Bürgergeld abschaffen. Das Konzept sieht im Gros graduelle Verschärfungen vor: Eine Vermögensprüfung soll statt nach 12 Monaten bereits ab dem ersten Tag vorgenommen, die Grenzen für das sogenannte Schonvermögen sollen gesenkt werden. Zentral sind vor allem härtere Sanktionen, zum Beispiel bei Terminversäumnissen. Dass oft psychische Erkrankungen Grund dafür sind, ignoriert die CDU.

Die größte Aufregung löste die Forderung aus, staatliche Unterstützung für unbegrenzte Zeit komplett zu streichen, wenn sich jemand weigert, eine „zumutbare“ Arbeit anzunehmen. „Wir gehen davon aus, dass Totalverweigerer keine Unterstützungsleistungen benötigen“, erklärte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.

Man fühlt sich erinnert an den Satz: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“ von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) aus dem Jahr 2001. Es war Schröders sprachliche Wegbereitung für Hartz IV, das wenige Jahre später eingeführt wurde. Was nun also unter dem Stichwort „Totalverweigerer“ wiederkehrt, ist die Idee eines kaltherzig strafenden Staates, die allerdings nicht erst die CDU erfand. SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat sich längst mit der Ampel auf diesen Pfad begeben.

Er will bei Arbeitsverweigerung Leistungsbezüge für zwei Monate komplett streichen. Die CDU spitzt das nun noch zu. 2019 urteilte das Bundesverfassungsgericht zwar, dass nur Kürzungen bis zu 30 Prozent zulässig sind. Aber CDU und Ampel sehen verfassungskonforme Wege für die Komplettstreichung des Existenzminimums. Menschen in Arbeit zu zwingen oder hungern zu lassen, das ist offenbar der neue, raue Ton in Zeiten des Fachkräftemangels.

Erstmal bessere Löhne

Und stößt leider in Teilen der Gesellschaft auf Zustimmung. Dabei macht die CDU selbst keinen Hehl daraus, dass die sogenannten „Totalverweigerer“ – übrigens ein guter Kandidat für das Unwort des Jahres – eine winzige Minderheit darstellen. Selbst bei aller denkbaren Härte: Es wird die deutsche Wirtschaft nicht retten. Das ist einfach Populismus statt Programm. Was dabei aus dem Fokus gerät: Das, was als „zumutbare Arbeit“ gilt, bedarf einer gesellschaftlichen Interpretation.

Der Verein Sanktionsfrei, der Erwerbslose unterstützt, berichtete zum Beispiel von einem ehemals Spielsüchtigen, der es ablehnte, in einer Spielhalle zu arbeiten. Oft ginge es auch um Fälle, wo Kita-Öffnungszeiten nicht mit den Arbeitszeiten zusammenpassen. Auf dem Rücken der Schwächsten versteckt die CDU die eigene programmatische Leere in der Post-Merkel-Ära, insbesondere bei der Frage, was konservative Sozialpolitik beinhalten soll.

So ist es kein Zufall, dass die CDU nicht so gern über die sogenannten Auf­sto­cke­r*in­nen redet, Menschen, die oft zu niedrigen Löhnen schuften und trotzdem Bürgergeld beziehen müssen. Täte sie es, müsste die CDU die Verhältnisse anprangern, die sie in ihrer Regierungszeit selbst gestützt hat. Deutschland hat nach wie vor im europäischen Vergleich einen großen Niedriglohnsektor. Das ist der Grund, warum der Lohnabstand so gering ist.

Wachsende Armut im reichen Land

Bessere Löhne sind es, die Deutschland dringend braucht. Die Dämonisierung von Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r*in­nen erfüllt also einen Zweck, ganz nach dem Motto: Teile und herrsche. Denn wer sich mit der Grundsicherung differenzierter auseinandersetzt, wird merken: Vielleicht ist er oder sie selbst doch nur eine Depression, einen Pflegefall oder eine Kündigung weit entfernt von denen, die da gerade an den Pranger gestellt werden.

Dass innenpolitisch darüber diskutiert wird, ob man den Ärmsten auch noch das letzte Hemd nehmen kann, ist umso absurder angesichts der Tatsache, dass das Problem aktuell auch jenseits der Landesgrenzen durchaus wahrgenommen wird. In dieser Woche veröffentlichte der Europarat einen Bericht zur wachsenden sozialen Ungleichheit in Deutschland. Das Ausmaß an Armut und sozialer Ausgrenzung stehe hier „in keinem Verhältnis zum Reichtum“.

Kritisiert werden: Kinderarmut, Altersarmut, Wohnungsnot, wachsende Obdachlosigkeit. Für alle diese Probleme liefert die Ampel keine ausreichenden Antworten und die Union erst recht nicht. Letztere positioniert sich lieber gegen die Kindergrundsicherung, gegen eine weitere Erhöhung des Mindestlohns, oder eine Verschärfung des Mietrechts.

Vielleicht könnte die CDU einmal mit der gleichen Verve gegen Steuerhinterziehung vorgehen. Da wäre letztlich auch mehr zu holen als vom Langzeitarbeitslosen: Den jährlichen Schaden schätzt die deutsche Steuer-Gewerkschaft auf mindestens 100 Milliarden Euro. Aber warum nach oben gucken, wenn man nach unten treten kann?

Korrekturhinweis: In einer früheren Version stand „Europäischer Rat“ statt Europarat. Wir bitten um Entschuldigung. 29.3.2024

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Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.

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