Überteuerte Pflegeheime: Altern in guter Gesellschaft

Ein Platz in einem Pflegeheim ist nahezu unerschwinglich geworden. Die Kommunen müssen jetzt radikal umdenken.

Ein Senior geht mit Regenschirm spazieren.

Im Alter braucht man einen guten Pflegeschutz-Schirm Foto: Michael Gstettenbauer/imago

Alle wollen alt werden, aber niemand will es sein. „Alter“ ist in Deutschland ein Unwort. Statt eine älter werdende Gesellschaft als Chance zu sehen, reduzieren Politik und Profession den demografischen Wandel auf Überschriften wie „Pflegenotstand“, „Pflegekatastrophe“ und „Kostenlawine“. Uns droht die Zukunft einer ambulanten und stationären Pflege, die pflegebedürftige Senioren professionell versorgt beziehungsweise entsorgt – ohne Integration in ihr bislang gewohntes soziales und kommunales Leben.

„Professionell, teuer und kalt“ – wollen wir in einer solchen älter werdenden Gesellschaft leben? Das aktuelle Alternativmodell, die Familienpflege, ist ebenfalls ein Auslaufmodell. Wie und wo also wollen wir dann alt werden? In rein professionell betriebenen Pflegeheimen oder an Orten, in denen Pflegebedürftige eingebettet sind in kümmernde Netzwerke?

Fünf Millionen Pflegebedürftige gibt es heute in Deutschland, 2030 werden es sechs Millionen sein. Rund 800.000 leben heute vollstationär in Pflegeheimen, fünf von sechs Bedürftigen werden zu Hause versorgt, weil sie es so wollen. Über 90 Prozent der Älteren wollen möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben. Die meisten von ihnen werden von ihren Angehörigen gepflegt. Bald wird der Eigenbeitrag für einen Pflegeheimplatz bei rund 3.000 Euro im Monat liegen. 2020 waren es noch gut 2.000, im Jahr 2023 bereits 2.740 Euro. Weil das viele der betroffenen Senioren nicht zahlen können, springen Familien oder Sozialämter ein. Immer mehr Pflegeheime schließen aus Kostengründen, immer weniger kommen neu dazu.

Die nächste Generation Pflegebedürftige wird sich einen Platz ohnehin nicht mehr leisten können, weil ihre Renten niedriger ausfallen. Hinzu kommt: Die Lebenszeit in Pflegeeinrichtungen wird immer kürzer. Die durchschnittliche Verweildauer ist zuletzt um drei auf 25 Monate zurückgegangen.

Für Menschen ab 80 dann die „Beendigungsbehörde“

Vor drei Jahren hielt die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, eine viel beachtete Rede und malte ein düsteres Zukunftsszenario an die Wand: Im Jahr 2033 werde es keine ambulante Pflege mehr geben, sondern nur noch Heime, in denen die Pflegebedürftigen in Massen versorgt werden. Für Menschen ab 80 und mit schlechten Prognosen gebe es eine „Beendigungsbehörde“ für den Lebensabschluss. Finanziell leistungskräftigere Senioren leben dann in „Lebensabendhäusern“, wo sie professionell gut versorgt werden.

Hat diese rein professionell betriebene Pflege eine Zukunft? „Nein“, sagen der Theologe und Soziologieprofessor, Reimar Gronemeyer, und Oliver Schultz, Mitherausgeber der Zeitschrift Demenz, in ihrem jüngst erschienenen Buch „Die Rettung der Pflege“. Sie zerstöre die Eigenkräfte der Menschen. Stattdessen müsse an die Stelle der „Pflege“ treten: Anteilnehmen, Kümmern, Versorgen, das Sich-füreinander-(demokratisch)-Engagieren.

Demokratisch heißt: Die Aufgabe der Pflege wird resozialisiert und findet in der kommunalen Nachbarschaft statt. Das alte Modell der reinen Pflege(heime) läuft aus.

Die „Caring Society“ setzt auf einen Mix aus professioneller und lokaler Pflege. Es geht darum, Nachbarschaften zu schaffen, die den Alltag der Menschen, nicht nur der Älteren, lebenswert machen. Flexible Wohninfrastrukturen und Projekte, die Pflege in den Alltag integrieren und dabei die Pflegebedürftigen mit einbinden. Mit Pflegebedürftigen und ihren Familien werden Vereinbarungen getroffen: „Wie mobil wollt ihr sein? Wie können wir euch dabei unterstützen?“ Pflege wird lebensweltlich und integrativ.

„Age friendly“ ist weltweit ein Trend

Netzwerke aus Familie, Freunden und Nachbarschaft entstehen. Alters-WGs verbinden das Bedürfnis der Älteren, möglichst lange in den eigenen vier Wänden und nicht in einem Heim leben zu müssen, mit der Notwendigkeit, sie gut und effizient zu betreuen. Caring Communities fördern den Verbleib in der gewohnten Umgebung und verhindern präventiv den Wechsel in stationäre Pflege. In einer älter werdenden Gesellschaft sind funktionierende hybride Netzwerke unerlässlich, um im Alter gut versorgt zu werden. Kommunen, die sich zu „Caring Communities“ entwickeln, können damit viel gewinnen, wirtschaftlich, sozial und demokratisch: durch attraktive Wohn- und Nachbarschaftsformen, Quartierärzte und -schwestern, Telemedizin und einen Mix aus professioneller Pflege und ehrenamtlichem Kümmern.

Die Zukunft gehört diesen „altersfreundlichen Kommunen“. „Age friendly“ ist weltweit ein Trend, mehr als 150 Länder haben sich in dem WHO-Netzwerk „Age-friendly Cities and Communities“ zusammengetan. 2010 gegründet, will das Netzwerk Städte und Gemeinden ermutigen, altersfreundlich zu werden. Wer aufgenommen werden will, muss einen umfangreichen Kriterienkatalog erfüllen. Die finnische Stadt Tampere hat es geschafft, indem sie älteren Menschen eine barrierefreie Umgebung ermöglicht hat. Die lokale Stadtplanung setzt auf verkehrsberuhigte Zonen und altersgerechte Wege. Von der neuen urbanen Barrierefreiheit profitieren auch andere Bevölkerungsgruppen wie Eltern mit kleinen Kindern und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.

Unter den über 1.500 Mitgliedern sind aber nur wenige deutsche Städte und Gemeinden. Das muss sich ändern. Auch wenn es keinen Masterplan für eine kommunale Altersstrategie gibt, müssen sich Kommunen zu Orten für alle Lebensalter wandeln. Dabei kommt es vor allem auf die „jungen Alten“ an, die über Zeit, Geld und Fitness verfügen. Die lokale Pflege älterer Menschen wird zum neuen kommunalen Wachstumsmarkt. „Kommunal und präventiv vor ambulant und stationär“ ist der Weg in die altersgerechte Zukunft.

Dieser Text erscheint auch in der kommenden Ausgabe von „Kommunal“.

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