Koloniales Erbe in Göttingen: Brot und Bier für deutsche Truppen

Eine Ausstellung im Städtischen Museum schlägt den Bogen von Lokalhistorie bis deutscher Kolonialzeit in China. Auslöser war ein besonderer Nachlass.

Porzellanbehälter einer deutschen Firma aus der Kolonialzeit, hier im Städtisches Museum Qingdao.

Das Städtische Museum Qingdao befasst sich mit der deutschen Kolonialzeit und verkauft Porzellanbehälter einer deutschen Firma Foto: Aurelien Foucault/dpa

GÖTTINGEN taz | Die Hafenstadt Qingdao liegt rund 8.000 Kilometer von Göttingen entfernt im Osten der Volksrepublik China. Sie hat zehn Millionen Einwohner, mehrere Universitäten und war Austragungsort der Segelwettbewerbe bei den Olympischen Sommerspielen 2008. Die beiden Orte verbindet keine Partnerschaft und sie haben wenig Ähnlichkeit miteinander. Dennoch ist es möglich, einen Bogen von der Göttinger Stadtgeschichte zu den deutschen Kolonialbestrebungen in China zu schlagen, wie die Ausstellung „Zwischen Göttingen und ‚Tsingtau‘“ im Städtischen Museum Göttingen beweist.

Die Jiaozhou-Bucht in China ist Ende des 19. Jahrhunderts ein bäuerliches Siedlungsgebiet, Qingdao ein kleines Fischerdorf. Am 14. November 1897 überfällt und besetzt die deutsche Marine die Region. Die Verwaltung von Jiaozhou untersteht nun dem Reichsmarineamt. Dieses hat große Pläne: Mit Qingdao als Zentrum soll eine deutsche Musterkolonie entstehen. Andere Kolonialmächte sollen mal sehen und staunen, was eine deutsche Kolonialverwaltung zu leisten imstande ist. Die von den Deutschen in Tsingtau umbenannte Hauptstadt wird in Zonen für die Kolonisten und die chinesische Bevölkerung aufgeteilt.

Im Ersten Weltkrieg kommt Jiaozhou 1914 unter die Verwaltung des japanischen Kaiserreichs. Die deutsche Kolonialzeit hat in Qingdao bis heute Spuren hinterlassen, darunter viele Herrenhäuser und eine der größten Brauereien Asiens.

Deutsche Kolonialmacht in China

Ewald Lehmann ist 13 Jahre, als seine Familie 1887 nach Göttingen zieht. Er macht dort das Abitur, bricht eine militärische Ausbildung ab, studiert stattdessen an der örtlichen Universität Jura. 1904 geht er nach Qingdao. Er wird dort Richter, sowohl für die deutsche als auch die chinesische Bevölkerung, übt dieses Amt zehn Jahre lang aus.

In seiner freien Zeit unternimmt er Ausflüge, zu Wasser und zu Lande, auch zum Beispiel ins Lao-Shan-Gebirge, eine Kultstätte des religiösen Daoismus. Auch hier hat die deutsche Kolonialmacht mehrere Gebäude errichtet, unter anderem eine Wanderhütte für Ausflüge.

Nach dem japanischen Angriff auf Jiaozhou kommt Ewald Lehmann in Gefangenschaft. Erst 1920 wird er entlassen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland bleibt Göttingen die Meldeadresse, doch Lehmann ist nun viel auf Reisen. Tuberkulosekrank, stirbt er 1935 in Davos.

Aus China hat Ewald seinem Vater Ernst Lehmann Briefe, Postkarten, Fotos und Objekte nach Göttingen geschickt, die nun in der Ausstellung präsentiert werden – darunter Münzen, Messingschalen, Seidenstickereien. In einem frühen Brief vom Dezember 1904 berichtet Ewald über das erste von ihm verhängte Todesurteil gegen den „lange gefürchteten berühmten Räuberbandenführer Kontan“. Überhaupt verhängt der Richter drastische Strafen vor allem gegen die chinesische Bevölkerung, bereits kleine Diebstähle werden mit 50 Stockschlägen geahndet.

Chinesische Tempel geplündert

Auch Ernsts Cousin Hans Wilde ist in der Kolonie zugange. Er schickt neben Briefen und Karten eine Kiste mit unterschiedlichen „Raritäten“ nach Göttingen. Darunter sind Gegenstände, die Wilde zufolge bei Plünderungen von chinesischen Tempeln gestohlen wurden.

Schon nach ein paar Monaten in China berichtet Ewald Lehmann per Brief nach Hause über sein erstes Todesurteil

Ernst Lehmann ist ein leidenschaftlicher Anhänger der deutschen Kolonialpolitik, Mitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft und des völkischen Alldeutschen Verbandes. 1908 wird er von Kaiser Wilhelm II. mit der Südwestafrika-Gedenkmünze ausgezeichnet. 1900 ziehen deutsche Truppen auf dem Weg in den „Boxerkrieg“ nach China durch Göttingen. Ernst Lehmann organisiert für sie am Bahnhof einen Empfang und lässt sie mit Brötchen, Zigarren und 200 Litern Bier bewirten.

Später ordnet und bewahrt er die Korrespondenz und Objekte, die sein Sohn und Hans Wilde nach Göttingen schicken. „Bis heute blieben Reste der Sammlung und das Wissen um Ewald Lehmanns Tätigkeit in ‚Tsingtau‘ in der Familie erhalten“, sagt Andrea Rechenberg. Bis vor wenigen Wochen war sie Leiterin des Museums und hat die Ausstellung mitkonzipiert. „Im Jahr 2023 übergaben Nachfahren der Lehmanns in der vierten und fünften Generation sie dem Städtischen Museum.“

Ausstellung „Zwischen Göttingen und ‚Tsingtau‘“, Städtisches Museum Göttingen, bis 9. 6.

Die Dokumente und Objekte bildeten zusammen eine einzigartige Quelle zur Göttinger Stadtgeschichte im wilhelminischen Kaiserreich und deren Verbindung zur europäischen Kolonialgeschichte.[https://museum.goettingen.de/ausstellungen/sonderausstellung/]

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