Experte über Wölfe in Sachsen-Anhalt: „Zecken sind gefährlicher“

In Halle an der Saale war für mehrere Stunden ein Wolf unterwegs. Wie das Tier dahin kam, erklärt Andreas Berbig, Leiter des Wolfskompetenzzentrums.

Ein wilder Wolf läuft schnell auf einer Wiese.

Wölfe sind nicht hinter Menschen her, aber man sollte sich ihnen auch nicht in den Weg stellen Foto: panthermedia/imago

taz: Herr Andreas Berbig, vergangene Woche war mitten in der Stadt Halle ein Wolf unterwegs. Wissen Sie, wie der heißt?

Andreas Berbig: Nein, das wissen wir nicht. Bisher können wir nur anhand der Fotos sagen, dass es sich um einen Wolf gehandelt hat. Aber solange wir nicht irgendeine verwertbare DNA bekommen, können wir nicht sagen, wo der herkam.

Andreas Berbig ist 62 Jahre alt und leitet das Wolfskompetenzzentrum Iden in Sachsen-Anhalt. Er beschäftigt sich seit 1989 mit Naturschutz und seit etwa 15 Jahren mit Wölfen. Bisher hat er nur aus dem Auto heraus einen lebendigen Wolf gesehen.

Das war das erste Mal, dass so ein Wolf in Halle unterwegs war, oder?

Nein, in Halle war das in der Vergangenheit schon einmal der Fall, aber auch in anderen Städten und Gemeinden wurden dem Wolfskompetenzzentrum schon solche Beobachtungen gemeldet. Und es dürfte noch weitere Fälle geben.

Wie meinen Sie das?

Wir wissen, dass Wölfe in der Nacht bebaute Bereiche frequentieren. In den meisten Fällen sieht sie niemand und sie fallen nicht auf. Aber, dass ein Wolf sich so wie in Halle relativ lange durch die halbe Stadt bewegt, das hatten wir in so einer Großstadt noch nicht.

Ist das denn gefährlich für Menschen, wenn Wölfe sich so in Orten bewegen?

Wir kriegen meistens durch Fotos und Filme dokumentiert und wir sehen in den meisten Fällen, dass sich diese Wölfe in der Situation nicht wohlfühlen. Sie sind da unbeabsichtigt und versuchen sich wieder der Situation zu entziehen. Das ist wie bei anderen Wildtieren auch. Die sind auf der Suche nach Nahrung oder zufällig in der Stadt. Die sind nicht hinter Menschen her, aber man sollte sich denen auch nicht in den Weg stellen.

Aber wenn der Wolf im bebauten Gebiet ist, hat er doch offenbar keine Angst vor Menschen. Wäre es nicht doch besser, den zur Sicherheit zu erschießen?

Man sollte ihm möglichst die Gelegenheit geben, dass er sich von selbst wieder entfernen kann. Das tut er dann auch in aller Regel. Da sehe ich keinen Anlass, um einzugreifen. Aber wenn ein Wolf einen Menschen in irgendeiner Weise bedroht, dann müssen wir handeln. Aber das ist deutschlandweit bisher nicht aufgetreten.

In Halle leben mehr als 200.000 Menschen. Wie geraten Wölfe denn in so große Städte?

Wie bei anderen Wildtieren auch, die gucken auch mal in Ortschaften, ob es da etwas zu fressen gibt. Und sie nutzen natürliche Leitlinien wie Flüsse. An denen laufen sie entlang. Wenn sich der Fluss durch eine Stadt zieht, dann führt er den Wolf auch da rein. In kleineren Dörfern gibts das auch.

Wie haben die Menschen reagiert, die den Wolf in Halle gesehen haben?

Die meisten haben uns nur eine Info mit Foto geschickt. Diese waren überwiegend sehr sachlich: „Ich habe einen Wolf gesehen.“ Über Fotos und Videos, bei denen man die wesentlichen Merkmale erkennen kann, können wir dann selbst prüfen, ob es wirklich ein Wolf ist.

Um das Jahr 2000 haben sich die ersten Wölfe wieder in der Lausitz angesiedelt. Laut der Bundesdokumentationsstelle gibt es mittlerweile wieder mindestens 1339 Wölfe, die in 254 Territorien in ganz Deutschland leben. In Sachsen-Anhalt sind es rund 200 Wölfe. Sind das viele?

Das kommt auf die Perspektive an. Erstmal zeigt das nur, dass der Naturraum und die Nahrungsverfügbarkeit so sind, dass sich Wölfe in der Dichte ansiedeln können. Aktuell ist da auch noch Platz für weitere Rudel. Aus Sicht der Tierhalter ist das natürlich anders.

Allein in Sachsen-Anhalt töteten Wölfe vergangenes Jahr 246 Nutztiere, also etwa Kühen und Schafen. Wird das mehr, wenn sich der Wolf weiter ausbreitet?

Ja, das kann passieren, vor allem wenn der Herdenschutz in der Fläche noch nicht ausgebreitet ist, wie wir uns das vorstellen. Noch immer stehen zu viele ungeschützte Tiere dem Wolf zur Verfügung.

Es sterben allerdings auch viele Wölfe bei Verkehrsunfällen. Vergangenes Jahr waren es 119 Fälle.

Ja, gerade wenn die Tiere noch jung sind und keine Erfahrung mit Straßen oder Eisenbahnlinien haben, kommt das vor.

Wenn Wölfe und Menschen sich also immer wieder begegnen, wie jetzt in Halle, besteht da nicht die Gefahr, dass es doch zu Übergriffen auf Menschen kommt?

Ich kann das nicht ausschließen. Das kennt man ja auch von anderen Tieren. Jedes Jahr gibt es Unfälle mit Wildschweinen. Aber mal ganz nüchtern betrachtet: Die Zecke ist gefährlicher als der Wolf. Durch sie sterben Menschen, weil sie sich mit Krankheiten infizieren.

Aber verstehen Sie, dass da eine besondere Angst vor dem Wolf da ist?

Ja klar. Ich weiß auch, dass ich mit den Argumenten die Ängste kaum bewältigen kann. Das ist bei Menschen eben so. Der eine hat mit dem Wolf gar keine Probleme und der andere sagt: „Der Wolf ist ein gefährliches Raubtier!“ Den wird kaum überzeugen, dass damit aus unserer Sicht keine Probleme verbunden sind.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.