Keine soziale Sicherheit auf Kuba: Die Revolution verliert ihre Werte

Die Lebensmittelpreise steigen, stundenlange Stromsperren sind Alltag. Das befördert häusliche Gewalt. Viele Ku­ba­ne­r:in­nen wollen nur noch weg.

Ein Mann sitz auf dem Bürgersteig und schläft.

Viele Ku­ba­ne­r:in­nen leben in Armut Foto: imago

HAVANNA taz | Seit zwei Monaten arbeitet Aligna Pérez erst an der Rezeption des Hotel Armadores de Santander in der Altstadt von Havanna. Die 21-jährige Hotelfachfrau, die Tourismus und Sprachen studiert hat, gehört zu den engagierten Mit­ar­bei­te­r:in­nen in dem 4-Sterne-Hotel gegenüber der alten Zollstation am Hafen von Habana. Hilfsbereit und lösungsorientiert agiert die kleine, agile Frau am Rezeptionstresen, hilft beim in Kuba oft nicht reibungslosen Internetzugang und bei Problemen auf dem Zimmer – auf Englisch, Italienisch und Spanisch.

Für sie ist die erste Anstellung im kubanischen Tourismussektor jedoch nicht viel mehr als ein Sprungbrett. Mit dem linken Arm ahmt sie den Startfortgang eines Flugzeugs nach und rollt genervt mit den Augen. „Hier gibt es für mich keine Perspektive. Von meinem Gehalt von 4.500 Pesos cubanos kann ich nicht leben, eine Chance auf eine Zukunft sehe ich nicht, also....“, sagt sie vielsagend.

Auswanderung ist derzeit das vorherrschende Thema in Kuba, neben der latenten Versorgungskrise und dem Verfall der Sozialsysteme.

Die Folgen werden immer sichtbarer. Verwahrloste Menschen, die die Müllcontainer nach Verwertbaren durchstöbern und alte Menschen, die vor dem Schließen der Bauernmärkte auf Lebensmittel hoffen, die billiger oder für umsonst abgegeben werden, sind nicht mehr die Ausnahme, sondern auch in besseren Stadtvierteln wie Vedado immer öfter zu sehen.

Wachsende Proteste – latente Repression

Nicht nur vor dem Hotel Armadores de Santander übernachten Menschen unter den Arkaden, bestätigt Aligna Pérez. „Wir sind in Lateinamerika angekommen, haben mit den gleichen Armutsphänomenen wie dort zu tun“, meint Iván García. Der kubanische Journalist, Korrespondent des Diario Las Américas aus Miami, kritisiert die Regierung für ihre Untätigkeit. „Ich sehe kein Konzept, weiß von keinen Initiativen, um gegenzusteuern – es wird einfach dabei zugesehen, wie sich die Gesellschaft immer weiter auseinander differenziert und die Kriminalität zunimmt“, schildert der 57-jährige seine Eindrücke.

Einbrüche und Raubüberfälle – noch vor wenigen Jahren eher selten auf der Insel – nehmen genauso zu wie Femizide. Die Zahl der Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts wird vor allem durch die sozialen Netze immer sichtbarer und die Stromabschaltungen, die inselweit zum Alltag gehören, tragen dazu bei. Acht Stunden sind es derzeit in Santiago de Cuba, in denen die Menschen im Dunkeln sitzen. In Camagüey, der drittgrößten Stadt des Landes sind es bis zu sechzehn Stunden. Dass zehrt nachhaltig an den Nerven großer Teile der Bevölkerung.

Demos gegen Stromsperren und Lebensmittelknappheit

Beleg dafür ist die Zunahme von Protesten wie in Santiago de Cuba, wo am 17. März einige hundert Menschen aus Protest gegen die Stromabschaltungen und den permanenten Lebensmittelmangel auf die Straße gingen. 17 der Protestierenden wurden in den Folgetagen festgenommen und ohne Angabe von Gründen festgehalten wie juristische Hilfsorganisation wie Cubalex genauso berichten wie Juan Elias Navarro. Der von der Staatssicherheit, der kubanischen Geheimpolizei, permanent beobachtete Facebook-Aktivist mit knapp 6.000 Followern, gehörte zu den ersten, die über die Abschaltung des Internets in dem betroffenen Stadtteil und die Verhaftungen ohne Angabe von Gründen berichteten.

Beides gehört zur mittlerweile typischen Reaktion der kubanischen Sicherheitskräfte auf die zunehmenden Proteste – selbst wenn es weder Anzeichen noch Berichte über Vandalismus gab. „So wird das Recht auf Demonstration, auf Protest, das es laut Verfassung gibt, verweigert“, kritisiert Navarro. Das bestätigen auch Ak­ti­vis­t:in­nen aus anderen Städten des Landes. Immer wieder wird desacato, so viel wie Missachtung der Behörden, als Handhabe gegen die Protestierenden ins Feld geführt. Gegen Kautionszahlungen von 50.000 Peso cubano, umgerechnet 380 Euro nach offiziellem Wechselkurs, wurden die meisten der 17 Protestierenden aus Santiago wieder freigelassen. Sie müssen nun mit einem Prozess rechnen.

Armut ist Alltag

Das ist Alltag in Kuba, genauso wie die prekäre Lebenssituation der Bevölkerungsmehrheit, deren Monatslohn zwischen dem offiziellen Mindestlohn von 2.100 Pesos cubano und rund 7.500 Pesos cubano pendelt. Davon kann jedoch kaum jemand leben, denn schon ein Pfund Bohnen auf dem Bauernmarkt kostet 350 Pesos cubanos.

Für einen Liter Benzin verlangen die Tankstellen 132 Peso cubano, ein gutes Mittagessen in einem Privatrestaurant ist selten unter 1.000 Peso cubano zu bekommen und für einen Liter einfaches Speiseöl müssen 900 Peso cubano bezahlt werden. Die Inflation hat die positiven Effekte der Währungsreform vom Dezember 2020 längst aufgefressen, urteilen Ökonomen wie Omar Everleny Pérez.

Er attestiert der Regierung ein bisher unbekanntes Maß an Hilflosigkeit. „Schon der Haushalt für dieses Jahr weist ein Defizit von über 18 Prozent auf, zusätzliche Maßnahmen sind nur über die Notenpresse finanzierbar, heizen aber die Inflation an“, so der Ökonom.

Die galoppiert, weil der kursierenden Geldmenge nicht ausreichend Produkte gegenüberstehen und die Bremsen im System wie das unattraktive Ankaufsystem für Agrarprodukte, acopio, die Bauern mit geringen Ankaufpreisen eher demotiviert statt motiviert. Eine altbekannte Realität in Kuba und Pérez plädiert dafür dieses System und andere Kontrollsysteme in der Inselökonomie ersatzlos zu streichen.

Genau davor schreckt die Regierung von Miguel Díaz-Canel zurück und wird daher immer unpopulärer und unglaubwürdiger. So ist innerhalb der kubanischen Gesellschaft Konsens, dass die Rent­ne­r:in­nen der Revolution mehr Unterstützung benötigen. Sie sind, so Experten wie Rita García, Direktorin des Christlichen Zentrums für Dialog und Reflexion (CCRD), ganz unten in der sozialen Pyramide der Insel angekommen.

Das christliche Zentrum unterhält ein Hilfsangebot in der Hafenstadt Cárdenas für 120 Rentner:innen. Doch der Bedarf ist viel höher und bisher hat die Regierung nur angekündigt mit sozialen Maßnahmen gegensteuern zu wollen. Auch ein Grund, weshalb so viele gehen.

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